Warum ein Professor aus Wiesloch im ukrainischen Kriegsgebiet lehrt
Thorsten Krings, Professor aus Wiesloch, lehrte an der Universität von Dnipro. Der nächste Unterricht findet im April statt.

Von Armen Hesse
Wiesloch. "Die Hinfahrt fand im Dunkeln statt, die Rückfahrt bei Tag. Nach den Erlebnissen in Dnipro noch einmal die Zerstörung im ganzen Land zu sehen, war erschreckend", erzählt Thorsten Krings. Dazwischen lagen vier Tage Lehre in der viertgrößten Stadt der Ukraine. Dnipro liegt etwa 400 Kilometer südöstlich von Kiew und nur rund 80 Kilometer entfernt vom Atomkraftwerk Saporischschja – und damit in unmittelbarer Nähe zu den stark umkämpften Gebieten.
Seinen Alltag verbringt Krings eigentlich damit, an der Dualen Hochschule Baden-Württembergs (DHBW) in Heilbronn zu lehren. Er ist dort Professor für Personalwesen, Mitarbeiter- und Unternehmensführung. In seiner Freizeit engagiert er sich im Wieslocher Gemeinderat und beschäftigt sich mit Comics, einer alten Leidenschaft. Was den Wieslocher dazu brachte, im September zum ersten Mal in die Ukraine zu reisen, war die persönliche Empfindung zu Kriegsbeginn.

"Den Krieg überall in den Medien zu sehen, da habe ich mich machtlos gefühlt. Ich wollte den Menschen dort etwas anbieten", sagt Krings über seine Motivation. Also hat er das getan, was er am besten kann. "Ich habe die Universität in Dnipro kontaktiert und wir waren uns schnell einig." Ein Kurs zu Mitarbeiterführung sollte es werden. Zunächst ging es nach Warschau und von dort aus 26 Stunden mit dem Bus nach Dnipro. "Als wir ankamen und ich den ausgebombten Busbahnhof gesehen habe, da wurde mir klar: Du bist im Krieg."
"Natürlich habe ich mir die Frage gestellt: Warum habe ich das gemacht? Aber im selben Moment, wenn man das sieht, wusste ich, warum", berichtet er. Bereits in der ersten Nacht habe er seinen ersten Bombenalarm erlebt. Damals dachte er nur, "alle deine Grundrechte aus dem gesicherten Leben sind jetzt weg. Wie muss es den Leuten gehen, die das jeden Tag erleben."
"Dieser Kontrast ist schwer vorstellbar"
Unterrichtet hat Krings vier Tage lang, an wechselnden Orten. "Bereits am ersten Tag ging der Bombenalarm los und wir mussten in einen Bunker aus den 1950er-Jahren. Das war eine seltsame Erfahrung. Aber vier Tage gemeinsam im Bunker zu verbringen, das schweißt sehr zusammen." Erschreckend sei, wie schnell man sich daran gewöhne, so Krings. "Es ist Krieg, aber alles ist normal. Die Leute sitzen im Café, haben sich schick gekleidet und nur fünf Minuten später sitzen sie im Bunker. Dieser Kontrast ist schwer vorstellbar."
Selbstverständlich habe er dort keine klassischen Vorlesungen gehalten, dafür sei alles zu wenig planbar gewesen. Stattdessen habe er mit Fallstudien gearbeitet, das sei für die Studierenden neu gewesen. Überhaupt sei es für viele von ihnen das erste Mal gewesen, dass sie in Präsenz Unterricht hatten. "Absurd war auch, dass trotz der Situation ein extrem respektvoller Umgang geherrscht hat. Das kenne ich so nicht. Alle standen auf, als ich den Raum betreten habe, um mich zu begrüßen. Da musste ich ihnen erst einmal sagen, dass sie nicht jedes Mal aufstehen müssen."
Für die Studierenden sei das Studium sehr wichtig. Trotz aller scheinbaren Normalität sei die Situation schwierig: "Die Motivation, im Krieg zu studieren ist sehr hoch. Es ist ein Akt des inneren Widerstands." Viele Gespräche haben sich aber auch um andere Dinge gedreht. "Wie geht es euch denn?", hat Krings sie zu Beginn gefragt. Gewöhnt haben sie sich an die Situation, sei als Antwort gekommen. Sie wollten sich nicht daran hindern lassen, zu tun, was ihnen wichtig sei.

Schwierig sei vor allem die Einsamkeit gewesen, durch die Verbindung aus Krieg und Pandemie. Alle Kurse haben online stattgefunden. "Es ist wichtig für sie, zu sehen, dass man sich um sie kümmert und sie nicht vergessen worden sind." Dadurch, dass es die ersten Präsenzveranstaltungen gewesen seien, haben sie zum ersten Mal die Gelegenheit gehabt, andere Studierende kennenzulernen.
"Die Leute reißen sich jetzt zusammen", erzählt Krings. "Alle haben schreckliche Dinge erlebt. Freunde sind einfach verschwunden." Das alles sei nach wie vor Realität und dürfe nicht überschattet werden von anderen Konflikten. Man dürfe den Krieg in der Ukraine nicht vergessen, so der Hochschullehrer. "Der Krieg ist nicht vorbei, wenn er endet. Dann erst beginnt die emotionale Aufräumarbeit. Man muss etwas tun, wenn man kann." Er selbst gehe jetzt vieles ruhiger an und lasse sich nicht mehr so schnell von Nichtigkeiten aufregen. Aus dieser Erfahrung heraus wolle er das Engagement auch langfristig aufrechterhalten.
Im April sei der nächste Unterrichtsblock geplant. Bis dahin bietet Krings den Studierenden wöchentlich einen Deutschkurs an, in dem er Konversation mit ihnen übt. "Ihr Niveau ist hoch, aber sie brauchen Übung und Kontakt zu einem Muttersprachler – und wollen wissen, dass der Kontakt bleibt." Von seiner Hochschule sei der Wille nicht da, ein Projekt aufzubauen, antwortet er.
Von seine Studenten haben ihn manche nach Adressen gefragt und unterhielten jetzt Brieffreundschaften. "Jeder Kontakt ist wichtig." Zum Abschied haben die ukrainischen Studierenden ihm ein Herz mit der ukrainischen Fahne genäht und ihm ein Regimentsabzeichen geschenkt.