"Weinheimer Mittagstisch" für Bedürftige startete zum 18. Mal

Die RNZ hat sich mit einigen der Bedürftigen unterhalten.

16.01.2017 UPDATE: 17.01.2017 06:00 Uhr 2 Minuten, 35 Sekunden

Gestern hat die Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen in der Gemeinde St. Marien die Solidaritätsaktion "Weinheimer Mittagstisch" anlaufen lassen. Auch dieses Jahr übernehmen engagierte Ehrenamtliche (hier im Bild) die Zubereitung und Ausgabe der Mahlzeiten. F.: Dorn

Von Günther Grosch

Weinheim. Trotz Sonnenschein: Zur Mittagszeit zeigt das Thermometer minus drei Grad an. In der Nacht lag der Tiefstwert bei minus sieben Grad. Schlechte und gefährliche Zeiten für Menschen, die obdachlos sind, bei klirrender Kälte im Freien leben müssen und denen es nicht nur an menschlicher Wärme fehlt. Da kommen Einrichtungen wie der "Weinheimer Mittagstisch", der seit gestern wieder sieben Wochen lang und bis zum 4. März für Obdachlose und im Leben Gestrandete für einige Stunden Wärme und Geborgenheit bietet und Nahrung bereithält, gerade recht.

Knapp 50 Frauen und Männer kamen zum Auftakt ins Gemeindehaus von St. Marien. Sie bekamen Kaffee, Tee und süße Stückchen, warme Lauchsuppe, Nudeln und Geschnetzeltes, Salat und Gemüse sowie Nachspeisen. Außerdem konnten sie sich "zum Quatschen" mit Schicksalsgenossen treffen.

So wie Gerhard (Name geändert), der in den vorangegangenen Frostnächten in einer Kleingartenanlage Unterschlupf gefunden hat. Er kenne den Besitzer, erzählt der 63-jährige ehemalige Schlosser. Dieser habe ihm dort auch schon in der Vergangenheit bei Bedarf ein vorübergehendes "Wohnrecht" eingeräumt.

Anders "Tommy". Er habe sich aus Pappkartonagen und Zeitungen im Wald eine Bleibe und Notschlafstelle gebastelt. Wolldecken, Isomatte und einen Schlafsack bekam er bei der Weihnachtsfeier von Diakonie und Caritas: "Dazu einen Pullover und Handschuhe." Andere Hilfen von außen möchte er nicht in Anspruch nehmen. "Schlechte Erfahrungen", nennt er als Grund. Zum Mittagstisch kommt er, "weil ich hier Kumpels treffe". Übernachten in einer Notunterkunft kommt für ihn nicht infrage. "Dort wird zu viel gestohlen", sagt er: "Ich schaffe es auch so irgendwie." Die Eiseskälte mache ihm nichts aus: "Entweder wache ich am nächsten Morgen wieder auf oder eben nicht. Ist mir egal."

Er habe gestern in der zugigen Heidelberger Bahnhofshalle übernachtet, erzählt Helmut. Weil sich die Türen dort nicht schließen lassen, sei er schließlich in einen Zug eingestiegen, zum Aufwärmen. Als "Schwarzfahrer" solle er jetzt 60 Euro zahlen: "Doch woher das Geld nehmen, wenn es nicht einmal für ein warmes Essen reicht?".

"Es ist der bekannte Kreislauf", so Gertrud Oswald und Christine Gassmann, die Nachfolgerinnen von Inge Blöchle als Organisatorinnen des Mittagstischs: "Arbeitslosigkeit, Trennung von der Familie, übermäßiger Alkoholkonsum." Fünfzehn Frauen und Männer, darunter ein befreundeter Lokalredakteur, haben sich am Eröffnungstag in der Küche des Gemeindehauses eingefunden und die Öfen angeheizt. Elfeinhalb Kilo Schweinefleisch gilt es zu "schnetzeln", Salat zu säubern, Lauch, Karotten und Paprika zu schneiden, die Suppe anzurühren sowie Brot und Brötchen zu schmieren und zu belegen. Inzwischen ist auch Diakon Günter Huth eingetroffen und präsentiert die neueste Errungenschaft des von den sieben Gemeinden der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen (ACK) getragenen "Weinheimer Mittagstischs": Ein 15 Pfannen und Tabletts fassender Regalwagen, der den Helfern den Transport und das Warmhalten der Essen erleichtert. "Die Stadt hat einen erklecklichen Anteil der Anschaffungskosten übernommen", bedankt sich Huth.

Jede Woche ist eine andere Gemeinde mit der Zubereitung der Speisen dran. In der kommenden Woche ist es die Evangelische Gemeinde in der Weststadt. "50 Frauen und Männer stehen in St. Marien bereit, sodass abwechselnd jeden Tag ein anderes Team zum Einsatz kommt", zeigen sich Oswald und Gassmann stolz auf ihre Helferschar und ein Quartett aus Oberflockenbach: "Die Damen haben versprochen, am Mittwoch einen selbst gemachten Nachtisch mitzubringen." Ansonsten stehen an den einzelnen Wochentagen unter anderem Maultaschensuppe, Gemüsereis und Bratwürste, Nudelsuppe mit Ei, überbackene Schnitzel mit Kartoffelsalat, Rollbraten, Salzkartoffeln und Pudding auf dem Speiseplan. Dankbar sind die Organisatoren für die finanzielle Unterstützung, die sie von Spendern erhalten, und dafür, dass Bäcker, Metzger und Marktleute ihnen kostenlos Ware überlassen.

Schlag zwölf Uhr wird es still im Raum. Die "Mittagstischkerze" wird entzündet. Andrea lässt es sich nicht nehmen, ein Tischgebet zu sprechen. "So eine gute Suppe, mein lieber Mann!", begeistert sich Alfred, als er sich vor dem großen Topf noch einmal für einen Nachschlag anstellt. "Nicht nur reden, sondern handeln und mit warmen Händen etwas geben", nennt Christine Gassmann als Motto der im 18. Jahr laufenden Aktion. Bis zu 2500 Portionen seien in den vergangenen Jahren während der sieben Wochen ausgegeben worden.

"Das Feuer des Weinheimer Mittagstisches darf auch in Zukunft nicht ausgehen", hofft sie.

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