Weinheim: Sieben Flüchtlingsschicksale auf der Bühne

Asyldialoge mit der "Bühne für Menschenrechte": Keine Requisiten oder Action, stattdessen 110 Minuten wortgetreue Biografien

18.10.2015 UPDATE: 19.10.2015 06:00 Uhr 1 Minute, 59 Sekunden

Willkommens- und Ankommenskultur ist das Thema, verdichtet auf knapp 110 Minuten und vor dem Hintergrund einer rigiden europäischen Asylpolitik eindrucksvoll in Szene gesetzt von der "Bühne für Menschenrechte" aus Berlin in der Alten Druckerei. Foto: Kreutzer

Von Günther Grosch

Weinheim. Der Elektriker Wazir aus Pakistan, Rajana aus Kasachstan, Anna, geboren in Kambodscha, Hawar aus dem Irak, Sara, Milan und Timur: Sieben Namen, sieben Flüchtlingsschicksale. Willkommens- und Ankommenskultur ist das Thema. Angst und Befürchtungen auf der einen Seite, Kraft und Zusammengehörigkeitsgefühl auf der anderen: Verdichtet auf knapp 110 Minuten und vor dem Hintergrund einer rigiden europäischen Asylpolitik eindrucksvoll in Szene gesetzt von der "Bühne für Menschenrechte" aus Berlin am Samstagabend in der Alten Druckerei.

Das Arrangement ist einfach. Kein Bühnenbild, keine Requisiten, Kostüme, "Action". Stattdessen "Standbild" von sieben Akteuren vor sieben Mikrofonen. Sechs "Schauspieler" stehen nebeneinander und tragen Texte vor, ein Gitarrist setzt die musikalischen Akzente.

Wazir wird in seiner Heimat von der Polizei gesucht. Er hat an einer Demonstration vor dem Haus eines Politikers teilgenommen. "Wir wollten nur mit ihm sprechen", sagt Wazir, "aber er hat behauptet, wir hätten versucht, ihn umzubringen." Vor Gericht hieß es dann "versuchter Mord". In Pakistan drohen Wazir 20 Jahre Gefängnis.

Wortfetzen, Gedankenspiele, direkte Ansprache. Arrangiert zu einer Wortcollage, die nachdenklich wie betroffen macht und bei der persönlichen Auseinandersetzung mit dem Thema Asyl und Abschiebung niemandem eine Fluchttür offen lässt. Es ist ein Spiegelbild des Jetzt und Heute und starker Tobak zugleich, den das Publikum vorgesetzt bekam.

Nazi-Gangs und rechtsextreme Übergriffe in Griechenland. Polizeigewalt, Folter und Misshandlungen im bulgarischen Asylgefängnis. Dublin-Verordnung. "Die deutschen Gesetze sind nicht dein Freund." Die Bühne für Menschenrechte und Regisseur Michael Ruf geben in ihrem "dokumentarischen Theater" die wortgetreuen Biografien, Schicksale und Erlebnisse von Menschen wieder, die auf ihren oft wochen- und monatelangen Fluchtwegen über verschiedene Länder hinweg "rettenden deutschen Boden betreten" haben.

Die "Asyl-Dialoge" erzählen von Trennungslinien und Koalitionen. Von Feigheit und Mut, Konflikten und Hilfen. Der Wortlaut der Dialoge stammt aus Interviews, welche die Theatermacher zuvor geführt haben. Neben Begegnungen, die Menschen veränderten, erlauben sie einen Blick auf nicht immer rechtskonforme Anweisungen an die Unterstützer zur Abschiebungsverhinderung. Und sie gewähren Einblicke in den von den Flüchtlingen selbst oder durch Aktivisten organisierten Widerstand mit Hilfe von Blockaden und Tricksereien.

Wie dies Anna, Dolmetscherin beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge versucht. Sie muss Rajana, die mit ihrer Familie aus Tschetschenien nach Deutschland geflohen ist, ins Krankenhaus bringen, um sie vor der Abschiebung zu bewahren. Eine Nacht würde ausreichen. "Was muss ich sagen, damit eine Person mindestens eine Nacht im Krankenhaus bleiben darf?", fragt Anna einen befreundeten Arzt: "Blut im Stuhl und Bauchschmerzen".

Menschenrechte, angeprangert auf einer Theaterbühne: Lässt sich das rüberbringen? Das Publikum spendet viel Beifall. Doch das von Pfarrer Stefan Royar mehrfach wiederholte Angebot zu Publikumsgespräch und offener Diskussion will niemand annehmen.

Gut die Hälfte der Zuschauer macht sich sofort auf den Heimweg, der andere Teil tauscht sich lieber untereinander aus. Tenor: "Ich beneide keinen Entscheider, der mitunter über Leben oder Tod befinden muss." Und: "Wir dürfen nicht auf die Zahlen sehen, sondern auf das Schicksal jedes Einzelnen, das dahinter steht."

Es sind zu wenige Bürger da, die sich in kontroverser Weise mit dem Flüchtlingsthema beschäftigen, heißt es in den Gesprächen. Hinzu kommt die "Furcht vor einer aufkommenden Pogrom-Stimmung, die wir auf keinen Fall wollen".

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