Weinheim: OB Bernhard will keine Flüchtlingsstandorte zurückziehen

"Wir müssen unsere eigenen Wege weitergehen" - Polizeiarbeit ist weiteres Thema im Jahresinterview

29.12.2015 UPDATE: 30.12.2015 06:00 Uhr 7 Minuten, 8 Sekunden

Das Arbeiten im Krisenmodus habe ihn schon immer eher herausgefordert als abgeschreckt, sagt OB Heiner Bernhard im Rückblick auf das Jahr 2015. Foto: Kreutzer

Von Philipp Weber

Weinheim. Arbeiten im Krisenmodus? Er sehe darin eher eine Herausforderung als ein Schreckensszenario, sagt Oberbürgermeister Heiner Bernhard. Das ist in diesen Zeiten kein Fehler, denn schwierige Situationen barg das Jahr 2015 zuhauf: Der Flüchtlingszugang vergrößerte sich deutlich, die Stadthalle wurde nach einem weiteren NPD-Treffen für Parteiveranstaltungen gesperrt, und die Haushaltslage ist komplizierter als in den Jahren zuvor.

Im RNZ-Jahresinterview verrät Bernhard unter anderem, wie er mit den Bürgerprotesten am Flüchtlingsstandort Klausingstraße umgehen will, warum er das Vorgehen der Polizei am 21. November sehr gut nachvollziehen kann - und wieso es gar nicht so einfach ist, jedes Jahr ein Schlossparkfestival steigen zu lassen.

Herr Bernhard, es ist gerade mal drei Jahre her, da waren die Gewerbeentwicklung, der Bahnlärm und der Einzelhandel die großen Themen. Schöne Zeiten, oder?

(Lacht). Ach wissen Sie, es gibt bei der Arbeit hier im Rathaus eigentlich nie besonders schöne oder schlechte Zeiten. Das Tagesgeschäft beansprucht immer unsere volle Konzentration. Wenn Sie mit Ihrer Frage auf das Flüchtlingsthema anspielen: Das ist eine Sache, die wirklich viel Einsatz und Zeit einfordert. Menschen helfen zu können, bringt aber auch viel Freude und Arbeitszufriedenheit mit sich, jedenfalls bei mir. Ohnehin hat mich das Arbeiten im Krisenmodus schon immer eher herausgefordert als abgeschreckt.

Der letzte Vor-Ort-Termin mit den Anwohnern in der Klausingstraße hatte was von Krisenmodus: Nachdem der Gemeinderat den dortigen Spielplatz als Standort für die Anschlussunterbringung von Flüchtlingen ausgewiesen hatte, beteiligten sich 300 Bürger an einer Protestveranstaltung. Führende Stadträte wie Wolfgang Metzeltin (SPD) wollen diesen Standort jetzt überprüfen. Eine gute Idee?

Bevor die Verwaltung dort Hochbauplanungen aufsetzt, muss sie abwarten, wie sich die Dinge entwickeln: Wir machen keine Planungen, die der Gemeinderat am Ende gar nicht beschließt. Das wäre weder sinnvoll, noch ökonomisch. Allerdings ermitteln wir auch, welche Privatgrundstücke in der Umgebung laut ursprünglicher Baugenehmigung als Spielplätze ausgewiesen waren - und ob dort wirklich gebaut wurde…

… Sie spielen auf Äußerungen von SPD-Stadtrat Constantin Görtz an? Er vermutet ja, dass die Spielplätze in den Innenhöfen des benachbarten Wohngebiets abgebaut wurden, weil es den Anwohnern zu laut wurde.

Genau. Der heutige Spielplatz befindet sich auf einer städtischen Fläche. Diese kann aber nicht dauerhaft dafür herangezogen werden, erst Recht nicht zugunsten von Privateigentum. Ein Kompromiss wäre, städtisches Geld für einen Ausweichspielplatz auf privatem Grund zur Verfügung zu stellen. So begegnen wir dem Argument, es gebe zu wenige Spielplätze. Allerdings wird sich der Gemeinderat in der ersten Hälfte des Jahres 2016 ohnehin noch sehr intensiv mit dem Thema Anschlussunterbringung befassen müssen.

In Heidelberg hat der Gemeinderat kürzlich alle Standorte auf einmal festgelegt, mit einem fraktionsübergreifenden Beschluss. War das angesichts eines Themas, bei dem man es ohnehin nicht jedem Recht machen kann, das bessere Vorgehen?

Ich hätte mir vorstellen können, dass auch der Weinheimer Gemeinderat als gewähltes und politisches Gremium abwägt und auf gemeinsamer Basis entscheidet. Aber man hat einen anderen Weg gewählt. Allerdings hinkt der Vergleich mit Heidelberg auch ein wenig: Auch dort hat man Wissen von außen ins Gremium geholt. Dort durften die Stadtteilvereine und Bezirksbeiräte Standortvorschläge beisteuern. Und die asylrechtliche Situation ist eine andere: Heidelberg ist eine kreisfreie Stadt. Die vorläufige Unterbringung von Asylbewerbern und die Anschlussunterbringung von Menschen mit Bleibeperspektive fallen dort zusammen. Die dortigen Containerstandorte sind folglich nicht für die Ewigkeit gedacht, sondern eher mit den beiden Weinheimer Hotels, die der Kreis befristet angemietet hat, zu vergleichen. In Weinheim müssen wir unseren eigenen Weg weitergehen. Deshalb halte ich es für sehr problematisch, Standortentscheidungen rückgängig zu machen. Wenn wir uns darauf einlassen, graut es mir vor dem Winter 2016/17, wenn die Menschen vor der Tür stehen. Es ist doch unvorstellbar, Hallen für die Anschlussunterbringung auszuweisen - und auf der anderen Seite zum Teil vorbildliche Kreisunterbringungen in der Stadt zu haben

Und doch entstand in der Klausing-straße der Eindruck, dass es diejenigen getroffen hat, die die kleinste Lobby in den Gremien hatten. Immerhin ist man von den Standorten in Steinklingen, in Sulzbach und am Heisenberg-Gymnasium zunächst abgerückt. Auch in Lützelsachsen und Ofling werden es erst mal weniger Gebäude.

Ich kann verstehen, dass dieser Eindruck entstanden ist. Trotzdem ist er falsch. Der Standort Klausingstraße wurde von der Verwaltung zwar ursprünglich wegen seiner Spielplatzbelegung ausgeschlossen. Die gemeinderätliche Standortfindungskommission hat ihn aber trotzdem für eingeschränkt geeignet gehalten. Deshalb war er auch Teil der Öffentlichkeitsveranstaltung am 30. November. Bilder des Standorts hingen aus und wurden mehrfach gezeigt. Und wir haben völlig unmissverständlich gesagt, dass die Klausingstraße aus Sicht der Findungskommission zu den besten 16 Optionen zählt. Außerdem haben wir im Verlauf der Veranstaltung drei schriftliche Fragen zu diesem Standort bekommen. Deshalb wehre ich mich entschieden gegen den Eindruck, wir hätten an dieser Stelle handwerkliche Fehler gemacht.

Aber die Klausingstraße hat trotzdem nicht die größte Rolle gespielt …

Nein, hat sie nicht, weil die Kommission zunächst vier von 16 Standorten als "Plätze ohne Fragezeichen" vorgeschlagen hat - irgendeinen Weg mussten wir ja beschreiten. Dass diese vier Standorte eine höhere Kritikdichte provozieren würden, war abzusehen. Es wurde aber auch klar gesagt, dass die zwölf übrigen Standorte ebenfalls in der Diskussion bleiben. Die Leute, die jetzt so lautstark protestieren, hätten damals gerne ins Rolf-Engelbrecht-Haus kommen können.

Themenwechsel: Der Gemeinderat hat die Stadthalle und das Engelbrecht-Haus für überregionale Parteiveranstaltungen gesperrt. In Weinheim haben viele erleichtert reagiert. In überregionalen Medien war jedoch von einer drastischen Reaktion auf die Geschehnisse rund um den letzten Bundesparteitag der NPD die Rede. Verstehen Sie diesen Widerspruch?

Man musste schon aus persönlicher Betroffenheit heraus erleben, wie sehr die Innen- und insbesondere die Nordstadt am 21. November - ich sage mal: verändert waren. Trotzdem habe ich Verständnis dafür, dass dies auf sehr verschiedene Weise wahrgenommen wird. Ich bin sehr froh um den Beschluss. Ich bedauere nur, dass er nicht ein Jahr früher zustande gekommen ist. So hatten die Autonomen ein Jahr Zeit sich vorzubereiten. Dementsprechend sah ihr Auftreten dann auch aus. Weinheim hatte Glück, dass sich die Szene am 21. November auf mehrere Städte verteilt hat. Und was die Sperrung für Parteien anbelangt: Ich habe nachschauen lassen. Es gab in den letzten Jahren kaum programmatisch ausgerichtete Veranstaltungen anderer Parteien in der Stadthalle. Der Schaden für die demokratischen Parteien dürfte überschaubar bleiben.

Die Polizei hat nach dem NPD-Bundesparteitag so viel Kritik einstecken müssen, dass sie sogar eigenes Videomaterial vorgeführt hat. Trotzdem haben wir keine Annäherung zwischen den Beamten und den Weinheimer Demobündnissen beobachten können.

Ich habe (als früherer Leiter des Heidelberger Ordnungsamts, Anm. d. Red.) bereits einige härtere Polizeieinsätze erlebt. Glauben Sie mir: Die Polizei hat überhaupt keine Lust, sich zu fetzen. Dafür ist die Polizeiarbeit viel zu aufreibend. Und die Befehlslage gibt so etwas ohnehin nicht her. Wenn aber weitgehend ungeschützte Beamte mit Gewalt angegangen werden, muss jedem klar sein, dass die Polizei reagiert. Im juristischen Sinne ist das sogar die Aufgabe der Polizisten. Als so genannte Hilfsbeamte der Staatsanwaltschaft haben sie Straftaten zu ermitteln, Festnahmen durchzuführen und die Straftäter dem Strafverfahren zuzuführen. Es liegt in der Natur der Sache, dass dies gegebenenfalls auch mit körperlichem Zwang verbunden ist. Offenbar gab es in der Hektik aber auch Szenen, die selbst Polizeipräsident Thomas Köber nicht gefallen haben. Ich will das aber nicht allzu hoch hängen - und das sage ich bewusst. Ich plädiere noch einmal dafür, Ursache und Wirkung nicht zu vertauschen.

Das Bündnis "Weinheim bleibt bunt" - zu dem auch die Stadt gehört - hat im Vorfeld der "Videoschau" vehement Aufklärung gefordert, auch in Sachen Polizeiarbeit.

Zunächst ist die Stadt als gesellschaftliche Akteurin sehr gerne Bündnismitglied. Das war besonders wichtig, als es darum ging, dem NPD-Auftritt ein buntes Festival entgegenzusetzen. Aber deshalb lasse ich mir nicht jede einzelne Bündniserklärung vorlegen. Tatsache ist doch, dass die Polizei nichts zu verbergen hatte. Selbst das Propagandavideo eines Russia-Today-Reporters, das Polizeigewalt dokumentieren sollte, wurde noch auf dem Revier gezeigt. Und noch einmal: Bei den Einsätzen, die ich gesehen habe, sind die Polizisten jedes Mal lange Zeit stoisch stehen geblieben, obwohl sie provoziert wurden. Es muss schon einiges passieren, bis es zu Konsequenzen kommt.

Von der Nordstadt nach Lützelsachsen: Dort sagte Bürgermeister Torsten Fetzner im Verlauf einer Flüchtlingsdiskussion im Oktober, dass der Kreis seine Unterbringung in der Winzerhalle im Februar räumen muss: Abriss und Neubau der Halle seien ja schon im Gemeinderat beschlossen worden. In der Haushaltseinbringung sagten Sie jedoch, dass nach Fertigstellung der Hallenpläne für Oberflockenbach und Lützelsachsen erst mal Pause ist. Was stimmt?

Die Haushaltsberatungen werden das zeigen. Im Moment stellt sich die Sachlage so dar: Die Flüchtlinge müssen tatsächlich vor Beginn der nächsten Vegetationsperiode raus, wenn wir den Abriss durchziehen wollen. Sonst ist das aus artenschutzrechtlichen Gründen monatelang deutlich erschwert. Die entsprechenden Unterschriften vom Kreis haben wir. Unabhängig davon müssen wir uns jedoch fragen, ob es sinnvoll ist, die Halle jetzt abzureißen. Vor allem dann, wenn der Gemeinderat unserer Auffassung in den Haushaltsverhandlungen folgt. Bliebe die alte Halle erst einmal an Ort und Stelle, könnte Lützelsachsen dort weiter sein Winzerfest ausrichten. Und für die Flüchtlinge könnte der Kreis die Zeitschiene um einige Monate verlängern - anstatt in großer Eile und für viel Geld Alternativen schaffen zu müssen.

Während und nach der Haushaltseinbringung hieß es, man dürfe nicht die Flüchtlinge dafür verantwortlich machen, dass die Stadt gleich an mehreren Stellen auf die Geldbremse treten muss. 11,3 Millionen Euro für die Anschlussunterbringung in festen Häusern - und noch mal 1,2 Millionen Euro für Container. Ist das nicht viel?

Das ist ohne Zweifel teuer. Aber anders als bei den meisten anderen Projekten können wir hier auf eine Förderung des Landes hoffen. Die liegt bei 25 Prozent der Baukosten, sofern Stuttgart den Geldtopf weiter auffüllt. Die Flüchtlinge sind zudem reguläre Einwohner, was ebenfalls Ausgleichszahlungen nach sich zieht. Und die Asyl- und Sozialleistungen zahlen ebenfalls andere Stellen. Damit ist der Kostendeckungsgrad an dieser Stelle wesentlich besser, als zum Beispiel bei den Sporthallen. Für Letztere sind aber nicht die Flüchtlinge ausschlaggebend, sondern unsere kommunale Normenhierarchie: So hat die Stadt auch die Pflicht, funktionierende Schulbauten zu stellen. Deshalb müssen wir das Schulzentrum in der Weststadt vorziehen. Das Kulturzentrum in diesem Stadtteil ist - im Gegensatz zu den Hallen - nicht mal mehr in der Planung. Mir tut das weh. Auch das Engelbrecht-Haus kann uns jederzeit auf die Füße fallen. Übrigens ist das Thema Anschlussunterbringung im kommenden Jahr nur mit rund 5,2 Millionen Euro im Etat, der Rest kommt in den folgenden Jahren.

Ein erfreulicheres Ereignis waren die Schlossparkkonzerte, unter anderem mit Max Herre. Nächstes Jahr kommt die Kultband "Pur". Klappt es am Ende doch noch mit einem großen Festival in jedem Jahr?

Mich würde es freuen. Aber wir müssen uns wohl damit abfinden, dass es hierzu erst einmal keine langfristige Zusage vom Gemeinderat gibt. Das ist auch sehr verständlich, da sich die Nachbarschaft beschwert - und auch das Verkehrsaufkommen nicht leicht zu bewältigen ist. Grundsätzlich wollen wir solche Kulturschwerpunkte aber in Weinheim halten - vielleicht lässt sich ja auch leichter darüber reden, wenn wieder eine große Band an unsere Tür klopft.

Letzte Frage: Was macht das Sportabzeichen?

Es ist gemacht, nach neuesten Kriterien. Es ist ein Sportabzeichen in Gold.

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