Hirschbergs Bürgermeister Just über Flüchtlingskrise, Windkraft und Elternzeit

"Wir verstehen uns tatsächlich als Einheitsgemeinde", sagt Just – Das RNZ-Jahresinterview zum 40. Geburtstag Hirschbergs

28.12.2015 UPDATE: 29.12.2015 06:00 Uhr 6 Minuten

Jahresgespräch mit Manuel Just. Foto: Kreutzer

Von Laura Geyer

Hirschberg. Sein persönliches Ziel hat Manuel Just dieses Jahr erreicht: Die Hirschberger haben ihn als Bürgermeister wiedergewählt. Auch darüber hinaus blickt er auf wichtige Entscheidungen zurück, nicht alle davon unumstritten. Im Interview sagt Just, warum er die Bürger nicht früher zum Thema Flüchtlinge informiert hat, wie er zu Windrädern auf der Hohen Waid steht - und ob er findet, dass ein Bürgermeister Elternzeit nehmen kann.

Herr Just, gab es in 2015 noch ein wichtigeres Ereignis als Ihre Wiederwahl im April?

Oh, das ist aber gleich eine prägnante Frage! Also für mich persönlich natürlich nicht. Für die Gemeinde gibt es in einem Kalenderjahr jedoch immer viele wichtige Ereignisse. Dazu gehört die Informationsveranstaltung zum Thema Flüchtlinge; dazu gehört, finde ich, zum Beispiel auch die Sitzung des Gemeinderats am 29. September, in der wir unter anderem den Beschluss über die Sanierungssatzung im Rahmen des Landessanierungsprogramms herbeigeführt haben.

Hirschberg hat dieses Jahr auch sein 40. Jubiläum begangen...

... genau! Auch das war natürlich ein ganz, ganz wichtiges Ereignis, das wir meiner Meinung nach würdevoll und angemessen gefeiert haben.

Sind Leutershausen und Großsachsen eine Einheitsgemeinde geworden?

Formulieren wir es mal ganz vorsichtig: Ich glaube, die Menschen haben erkannt, dass sie mit den Alternativen, die sie zum damaligen Zeitpunkt hatten, zumindest nicht besser gefahren wären.

Das ist aber sehr vorsichtig formuliert!

(lacht) Ich glaube schon, dass die beiden Ortsteile mit dem Zusammenschluss gut gefahren sind und die Menschen das auch erkennen. Es ist gelungen, die Besonderheiten in beiden Ortsteilen zu bewahren und sich an anderen Stellen effizienter aufzustellen. Diese Vorteile verbinden die beiden Ortsteile. Ich glaube insofern, dass wir nach 40 Jahren ein hervorragendes Ergebnis eines Zusammenwachsens erzielt haben und uns tatsächlich als Einheitsgemeinde verstehen.

Sie haben sich auf die Fahne geschrieben, für eine intensive Bürgerbeteiligung zu stehen. Wie vereinbaren Sie das mit der nicht-öffentlichen Verhandlung der Flüchtlingsfrage?

Ich bin persönlich der Meinung, dass es nicht der richtige Weg ist, mit den Bürgern über einen möglichen Standort für die Unterbringung von Flüchtlingen zu beraten. An jedem Standort wären Ängste und Befürchtungen entstanden. Jeder hätte versucht, seinen Standort mit Nachteilen zu belegen und andere gut zu reden, um die Meinungsbildung des Gemeinderates zu beeinflussen. Deswegen haben die Verwaltung, ich, aber auch der Gemeinderat beschlossen: Das ist ein Thema, das nicht geeignet ist für Bürgerbeteiligung im eigentlichen Sinne, was aber nicht bedeutet, dass wir eine Abkehr vom Thema Bürgerbeteiligung als solches wollen.

Warum haben Sie die Hirschberger nicht zumindest früher informiert?

Dass die Entscheidung nicht öffentlich getroffen wurde, ist richtig, dass die Menschen nur informiert worden sind und nicht beteiligt im eigentlichen Sinne, ist auch richtig. Aber dass wir sie nicht oder zu spät informiert haben, das kann ich so nicht stehen lassen. Entweder waren die Entscheidungen noch nicht in trockenen Tüchern, oder, nachdem es sicher war, musste man solch einer Veranstaltung auch einfach einen gewissen Vorlauf einräumen. Ich brauchte das Landratsamt, um das große Ganze darzustellen. Und die Bürger sollten die Möglichkeit haben, sich auf den Termin einzustellen.

Das heißt, sie wollen die Bürger auch bei zukünftigen Entscheidungen erst dann informieren, wenn die Sache in trockenen Tüchern ist?

In dieser Frage ja.

Das ehemalige Bauhofgelände könnte noch einmal als Standort für die Flüchtlingsunterbringung ins Spiel kommen. Wie sieht es mittelfristig mit dem alten Feuerwehrhaus, der Schillerschule oder dem Pavillon aus?

Stand heute stehen die ehemals öffentlichen Gebäude, die der Gemeinde Hirschberg gehören, eigentlich nicht für dieses Thema zur Verfügung.

Laut dem gerade eingebrachten Haushaltsplan muss Hirschberg im Jahr 2016 den höchsten Kredit seiner Geschichte aufnehmen: 2,3 Millionen Euro. Wie finden Sie das, gerade als Kämmerer "Schulden-Bürgermeister" zu werden?

Also die Formulierung finde ich jetzt ein bisschen an der Realität vorbei. Selbst wenn die Gemeinde diese Summe aufnehmen müsste, wären wir immer noch deutlich unter dem Landes- und dem Kreisdurchschnitt der Verschuldung. Dennoch, da habe ich ja auch keinen Hehl draus gemacht, ist die Entwicklung alles andere als erfreulich. Der evangelische Kindergarten und die Martin-Stöhr-Schule hätten den Gemeindehaushalt sowieso schon gefordert, und jetzt kommt mit den Flüchtlingen ein Thema dazu, mit dem niemand rechnen konnte. Insoweit müssen wir in der Tat eine Talzone durchschreiten. Im Jahr 2018 wird aber ein Bausparvertrag frei, das ist eine gute Dreiviertelmillion. Damit kann man den Verschuldungsgrad der Gemeinde zeitnah wieder reduzieren.

Sie fordern, dass der Gemeinderat Prioritäten setzt. Was sind denn Ihre Prioritäten?

Dass die Gemeinde Hirschberg ein besonderes Augenmerk auf die Kinder legt, ist, denke ich, offensichtlich. Das spiegelt sich in der Sanierung des Kindergartens wieder; wir machen dieses Jahr mit einer relativ üppigen Investition die Grundschule Großsachsen fit, und die nächsten zwei Jahre stehen weitere Bauabschnitte in der Martin-Stöhr-Schule an. Wir haben nach der Entscheidung zur Gemeinschaftsschule gesagt: Wir werden mittelfristig keine weiterführende Schule mehr am Ort haben, aber dafür sollen die Kinder bis zum Ende der vierten Klasse bei uns die bestmöglichen Voraussetzungen bekommen. Das ist einer der Schwerpunkte, den ich auch für die Zukunft gesichert haben möchte.

Ein leidiges Thema ist seit Langem der Verkehr, vor allem in Großsachsen. Ende November hat der Gemeinderat beschlossen, das umstrittene Verkehrsgutachten in Auftrag zu geben. Was erhoffen Sie sich davon?

Man muss realistisch sein: Wir arbeiten seit vielen Jahrzehnten an diesem Problem und haben eigentlich noch nie eine zufriedenstellende Lösung hinbekommen. Wir dürfen nicht von diesem Planer erwarten, dass er das Problem vollständig lösen wird. Ich wünsche mir natürlich inständig, dass er eine Lösung findet; wenn nicht, dann ist das aber auch ein Ergebnis: Auf dieser Strecke, mit der Signalgebung, die uns technisch zur Verfügung steht oder stehen könnte, sind keine besseren Ergebnisse zu erzielen. Dann müssen wir vielleicht in der Tat wieder über größere Lösungen nachdenken.

Welche Chance hätte eine Ortsumgehung "L 541a"?

Letztendlich ist es egal, wie man das Kind beim Namen tauft. Die Frage ist: Ist eine Ortsumgehung der einzig richtige Weg, um das Verkehrsproblem zu lösen, und wenn ja, wer bezahlt das? Und da gibt es eigentlich nur vier Beteiligte: Der Bund, der wird das wohl nicht tun. Das Land: Wenn es ein Abgeordneter hinbekommt, dass das Land dort eine Straße baut und die dafür anfallenden Kosten zu 100 Prozent übernimmt, bin ich ihm sehr dankbar. Der Kreis: Allein mir fehlt der Glaube, bei den Aufgaben, die der Kreis in den nächsten Jahren hat. Und die Gemeinde Hirschberg: Sie wissen, wie die finanzielle Lage aussieht. Nicht darstellbar.

Thema Sterzwinkel: Wie es aussieht, bekommen Sie nun doch noch Ihren größeren Edeka...

Sagen wir es mal so: Wir halten es seitens der Verwaltung für richtig, dem Edeka-Markt mehr Fläche einzuräumen. Im ersten Entwurf des Sterzwinkels waren 1200 Quadratmeter vorgesehen. Dann hat der damalige Einzelhandelsgutachter ermittelt: Wenn man auf 800 runtergeht, hat der bestehende Markt Ecke Brunnengasse/Breitgasse eine Überlebenschance. Dem war nicht so. Und dann muss man sich doch die berechtigte Frage stellen: Warum geht man nicht auf das zurück, was man ursprünglich vorhatte, um wenigstens diesen Markt zu stärken? Allerdings hängt das ja noch von einigen Faktoren ab.

In Hirschberg hat sich massiver Widerstand gegen den Bau von Windkraftanlagen geregt. Was ist Ihre Meinung zu dem Thema?

Ich sehe das auch sehr kritisch. Unser Freizeitwert ist in weiten Teil im Wald begründet. Da sind die Mountainbiker und die Reiter, die Jogger, die Wanderer. Diesen Bereich mit solchen Anlagen zu industrialisieren, da habe ich ein gewisses Problem mit. Die Energiewende ist eine große Herausforderung, davor kann man nicht die Augen verschließen. Aber ich tue mich sehr schwer mit einer Anlage in vorderster Reihe - und mit Blick auf den Flächenverbrauch letztendlich auch dahinter.

Nach Jahren der Großprojekte (2012), des Aufarbeitens (2013) und des Weichenstellens (2014 und 2015) - was wird 2016 für ein Jahr?

Wenn wir mal das Thema Flüchtlinge beiseite lassen, vermute ich, 2016 und 2017 werden die Jahre der größeren Sanierungen. Natürlich wird es auch das eine oder andere neue Projekt geben. Aber speziell die Martin-Stöhr-Schule und der evangelische Kindergarten, das sind schon sehr große öffentliche Einrichtungen. Wenn diese beide Projekte durch sind, was bleibt dann an großen Gebäuden? Der evangelische Kindergarten in Großsachsen steht relativ gut da. Bei der Alten Turnhalle haben wir unsere Hausaufgaben für die nächsten Jahre erledigt. Bei der Grundschule haben wir zumindest auf zwei Seiten einen Anbau gemacht. Bleiben die gewaltigen Brocken der beiden Hallen und der katholische Kindergarten in Leutershausen.

Die Hallen haben Sie erst mal vertagt?

Mit Blick auf die Finanzen muss man sagen, dass das in den nächsten zwei Jahren völlig unrealistisch ist. Auch wenn wir wissen, dass das keine zehn, 15 Jahre mehr auf sich warten lässt.

Privat steht Ihnen im neuen Jahr ein besonderes Ereignis bevor: Sie werden zum zweiten Mal Vater. Wann ist es denn soweit?

Der errechnete Termin ist Anfang März.

Finden Sie, dass ein Bürgermeister Elternzeit nehmen darf?

Spannende Frage... (überlegt lange) Selbstverständlich steht Bürgermeistern das gleiche Recht zu wie allen anderen auch. Ich könnte es mir für mich persönlich aber nicht vorstellen. Dafür übe ich meinen Job viel zu gerne aus, und außerdem glaube ich, inzwischen ein ganz gesundes Maß gefunden zu haben, wie ich Beruf und Familie in Einklang bringe. Ich denke, in allen Berufen leiden die Kinder immer mal wieder darunter, dass der Vater, manchmal auch die Mutter, nicht zur Verfügung steht. Aber alles in allem glaube ich schon, meiner Tochter und künftig auch meinem Sohn die erforderliche Aufmerksamkeit zuteil werden zu lassen.

(Der Kommentar wurde vom Verfasser bearbeitet.)
(zur Freigabe)
Möchten sie diesen Kommentar wirklich löschen?
Möchten Sie diesen Kommentar wirklich melden?
Sie haben diesen Kommentar bereits gemeldet. Er wird von uns geprüft und gegebenenfalls gelöscht.
Kommentare
Das Kommentarfeld darf nicht leer sein!
Beim Speichern des Kommentares ist ein Fehler aufgetreten, bitte versuchen sie es später erneut.
Beim Speichern ihres Nickname ist ein Fehler aufgetreten. Versuchen Sie bitte sich aus- und wieder einzuloggen.
Um zu kommentieren benötigen Sie einen Nicknamen
Bitte beachten Sie unsere Netiquette
Zum Kommentieren dieses Artikels müssen Sie als RNZ+-Abonnent angemeldet sein.