Edingen-Neckarhausen: Wasser soll bald aus Heidelberg und Mannheim kommen

Wegen Trifluoracetat-Belastung musste ein Brunnen des Pumpwerks Neckarhausen abgeschaltet werden. Verbraucher müssen mehr zahlen.

14.12.2016 UPDATE: 15.12.2016 06:00 Uhr 2 Minuten, 17 Sekunden

Das Trinkwasser in Edingen-Neckarhausen kommt vorerst nicht mehr aus dem Neckar. Grund ist die Verunreinigung durch Trifluoracetat. Foto: Pilz

Edingen-Neckarhausen. (nip) "Ich verstehe das nicht. Da bekommt der Verursacher eine Genehmigung erteilt, solche Stoffe einzuleiten, und wir müssen uns als Verband damit beschäftigen", stellte Hans Stahl, der stellvertretende Vorsitzende des Wasserversorgungsverbands "Neckargruppe", in der jährlichen Verbandsversammlung so verärgert wie besorgt fest. UBL-Gemeinderat Stahl vertrat kurzfristig Bürgermeister Simon Michler, der sich noch von einer Operation erholt.

Bei der Versammlung ging es um eine für Verband und Verbraucher ernst zu nehmende Sache: Am 10. Oktober veröffentlichte das Regierungspräsidium eine Pressemitteilung, wonach ein "unerwünschter Stoff" in den Neckar geleitet worden sei. Es handelt sich um Trifluoracetat (TFA), das Salz der Trifluoressigsäure, das durch ein Chemiewerk in den Fluss gelangte. Betroffen sind alle Wasserwerke ab etwa Höhe Bad Wimpfen, die vom Uferfiltrat des Neckars beeinflusst sind.

Fachleute schätzen die Gesundheitsgefährdung durch TFA als "sehr gering" ein, der Stoff werde schnell aus dem Körper ausgeschieden. Dennoch gehöre TFA nicht ins Trinkwasser. "Bis zum aktuellen Zeitpunkt sind keine negativen Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit bekannt", sagte Dr. Andreas Welker vom Gesundheitsamt. Allerdings gebe es wenig Datenmaterial, die Forschung müsse noch weitergehende Erkenntnisse gewinnen.

Bei TFA handelt es sich um ein Salz der Triflouressigsäure, das als Abbauprodukt bei der Herstellung von Pflanzenschutz- und Arzneimitteln entsteht. Gesetzliche Grenzwerte gibt es (noch) nicht, allerdings liegt der gesundheitliche Orientierungswert (GOW) bei einem Mikrogramm pro Liter. Laut Umweltbundesamt kann eine kurz- und mittelfristige Überschreitung der Konzentration von zehn Mikrogramm TFA pro Liter akzeptiert werden. Konzentrationen darüber müssten durch "geeignete Maßnahmen" abgesenkt werden.

Bei Beprobungen des Trinkwassers in Edingen-Neckarhausen am 29. September wurden TFA-Werte von 15 bis 22 Mikrogramm nachgewiesen. Seitdem wird alle vier Wochen nachgemessen: "Die Werte sind unverändert", teilte Rathausmitarbeiter Arno Kaiser auf Anfrage aus dem Publikum mit. Am 11. Oktober wurde der am höchsten belastete Brunnen des Pumpwerks Neckarhausen vom Netz genommen. Ferner teilte das Gesundheitsamt mit, dass bis zum 31. Dezember 2017 Maßnahmen zur Absenkung der Werte im Trinkwassernetz unter zehn Mikrogramm und bis Ende 2025 unter ein Mikrogramm greifen müssen.

Seitdem arbeitet der Verband, so Geschäftsführerin Elke Hugo, fieberhaft daran, die einzig denkbare kurzfristige Lösung umzusetzen: Im Januar soll ein Testlauf starten, um Wasser von den Verbandsmitgliedern Heidelberg (Stadtbetriebe) und Mannheim (MVV) zu beziehen; in beiden Städten wurden Konzentrationen von lediglich einem bis zehn Mikrogramm TFA pro Liter gemessen. Bislang pumpte der Verband Wasser nach Heidelberg; wenn die technischen Voraussetzungen wie Druckerhöhungsanlagen geschaffen sind, läuft das Wasser andersherum.

"Wir werden die Bevölkerung über den Testlauf unterrichten, der so circa fünf bis sechs Stunden dauern wird. Anfangs könnte das Wasser etwas trüb aus dem Hahn kommen", informierte Hugo. Auf den Verband kommen dafür bislang unbezifferte Kosten zu. Vorsorglich sind für den Haushalt 2017 erstmalig 82.000 Euro eingeplant. Außerdem wird er Einnahmeausfälle verkraften müssen, da Heidelberg den Wasserbezug von Edingen-Neckarhausen gestoppt hat. Wenigstens so lange, bis die Maßnahmen zur Werteabsenkung von TFA greifen.

Sicher ist, dass der Stoff nicht morgen aus dem Grundwasser verschwunden ist. "Es braucht ja Zeit, bis er über den Neckar ins Grundwasser gelangt ist. Und auch wenn der Verursacher in Bad Wimpfen die Einleitung reduziert hat, bleibt er dennoch da", meinte Stahl.

Die unfrohe Botschaft an die Verbraucher lautet: Das Trinkwasser wird teurer. "Wichtig ist doch aber, dass es sauber ist", so Stahl.

Allerdings denke man über eine Schadensersatzforderung an die Firma nach. Stahl fordert einen "regionalen Schulterschluss" und die Zusammenarbeit mit dem Land, um die Einleitung von Trifluoressigsäure in den Neckar zu stoppen. Edingen-Neckarhausen bezieht sein Trinkwasser aus Tiefbrunnen aus der Gemarkung. "Wir können die Bevölkerung beruhigen", sagte er weiter: Denn Neckarwasser kommt nicht ins Glas. Man wolle die Bürger weiter über die TFA-Belastung auf dem Laufenden halten, versprach Stahl.

Hintergrund

Von Frederick Mersi

Edingen-Neckarhausen. Die Aufregung war groß Anfang Oktober: Das Trinkwasser aus dem Neckar war mit Trifluoracetat (TFA) verunreinigt. Edingen-Neckarhausen stoppte die Trinkwasserentnahme und bezieht sein Wasser seitdem aus dem Grundwasser. Aber was

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Von Frederick Mersi

Edingen-Neckarhausen. Die Aufregung war groß Anfang Oktober: Das Trinkwasser aus dem Neckar war mit Trifluoracetat (TFA) verunreinigt. Edingen-Neckarhausen stoppte die Trinkwasserentnahme und bezieht sein Wasser seitdem aus dem Grundwasser. Aber was ist TFA eigentlich? Ist es für Menschen gefährlich? Und was wird gegen die Verunreinigungen unternommen? Hier die wichtigsten Fragen und Antworten:

Was ist Trifluoracetat (TFA)?

TFA ist ein Salz der Trifluoressigsäure. Es entsteht als Abbauprodukt bei der Herstellung von Pflanzenschutz- und Arzneimitteln.

Ist TFA für Menschen gefährlich?

Für Menschen ist TFA in den gemessenen Konzentrationen nach jetzigem Wissensstand ungefährlich. TFA ist persistent, das heißt: Wenn es in den menschlichen Körper gelangt, wird es auf dem schnellsten Weg wieder ausgeschieden. Laut dem Technologiezentrum Wasser (TZW), einem Institut des Deutschen Vereins des Gas- und Wasserfachs, wird das Salz als sehr "gering giftig" eingeschätzt. Das bedeutet, dass TFA für Menschen nicht gefährlich ist.

Warum hat Edingen-Neckarhausen die Trinkwasserentnahme gestoppt?

Für TFA gibt es zwar keine gesetzlichen Grenzwerte. Allerdings ist die wissenschaftliche Datenlage bis heute noch sehr gering. Im Trinkwasserbereich hat das Umweltbundesamt deswegen einen gesundheitlichen Orientierungswert von einem Mikrogramm pro Liter festgelegt. In Edingen-Neckarhausen wurden bis zu 16 Mikrogramm gemessen, daher wurde die Trinkwasserentnahme vorsorglich gestoppt.

War die Verunreinigung schon länger bekannt?

Die Fluorverbindung im Wasser sei neu, erklärte das Regierungspräsidium Stuttgart. Das sei auch der Grund, weshalb es keinen gesetzlichen Grenzwert gebe. Das Landesministerium für Verbraucherschutz hat einen Maßnahmenwert von zehn Mikrogramm pro Liter Wasser festgelegt. Alle Werte zwischen dem gesundheitlichen Orientierungswert von einem Mikrogramm und dieser Grenze sind vorübergehend duldbar.

Wie ist das TFA in den Neckar gelangt?

Verursacher der erhöhten Werte ist ein Werk des Chemiekonzerns Solvay in Bad Wimpfen. In einer der Anlagen wird dort Trifluoressigsäure produziert. Diese ist zwar stark ätzend, aber selbst nicht ins Trinkwasser gelangt. Nur das neutralisierte Salz, TFA, wurde durchs Abwasser in den Neckar geleitet.

Leitet Solvay immer noch TFA in den Neckar?

Ja, aber sehr viel weniger als zuvor: Die Anlage zur Produktion von Trifluoressigsäure wurde heruntergefahren. Dirk Schulte, Sprecher von Solvay, sagte zudem, dass die Produktion der Säure bald ohnehin nach Salindres in Frankreich verlegt werden soll. Daher sei aktuell nicht geplant, diese Anlage wieder hochzufahren. Die anderen drei Anlagen des Werks sind noch in Betrieb, allerdings nicht mehr parallel. Dort entstehen sehr viel geringere Mengen TFA, das weiterhin über das Abwasser in den Neckar gelangen kann.

Unternimmt Solvay etwas gegen die Verunreinigungen?

Dafür wurde im Unternehmen eine eigene Arbeitsgruppe gegründet. Laut Solvay-Sprecher Schulte will man zudem "so schnell wie möglich" neue Technik in den Anlagen installieren, um die Verunreinigungen zu minimieren. "Das muss aber erst genehmigt werden, und allein das dauert meist acht bis zwölf Monate", so Schulte. Dass gar kein TFA mehr in den Neckar gelangt, sei aber unmöglich: "Es gibt keine Nullkonzentration."

Woher bezieht die Gemeinde jetzt ihr Trinkwasser?

Momentan kommt das Trinkwasser durch Brunnen aus dem Grundwasser, also nicht mehr aus dem Neckar. Bei der Sitzung des Wasserversorgungsverbands "Neckargruppe" heute Abend sollen aber weitere Maßnahmen beschlossen werden. Zu deren Inhalt wollte die Gemeindeverwaltung im Vorfeld der Sitzung keine Auskunft geben.

Was machen andere Mitglieder des Versorgungsverbands?

Die Stadtwerke Heidelberg beziehen kein Wasser mehr aus Edingen-Neckarhausen. Stattdessen wurde der Anteil des Trinkwassers erhöht, das vom Zweckverband Hardt in Sandhausen bezogen wird - "um auf der sicheren Seite zu sein", wie eine Sprecherin erklärte. Mehr kosten soll das aber nicht, auf die Verbraucher komme auch keine Erhöhung der Wassergebühren zu.

Werden die TFA-Werte im Neckar weiterhin kontrolliert?

Ja, die Landesanstalt für Umwelt, Messungen und Naturschutz (LUBW) hat wegen der Verunreinigungen ein Sondermessprogramm für den Neckar aufgelegt. Zudem sind 2017 im Rhein-Neckar-Raum Sondermessungen im Grundwasser vorgesehen.

Wer könnte einen gesetzlichen TFA-Grenzwert festlegen?

Dafür wäre der Bund zuständig. Allerdings müsste nachgewiesen werden, dass TFA für die menschliche Gesundheit schädlich ist.

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