Finanznot in St. Leon-Rot?
Der Gemeinde fehlen Gewerbesteuer-Einnahmen in Höhe von 82 Millionen Euro.

Von Tobias Törkott
St. Leon-Rot. 82,4 Millionen Euro, das klingt nach Ablösesumme im Fußball, ist es aber nicht: "Das ist der Betrag, der der Gemeinde im Zeitraum von 2020 bis 2023 bereits fehlt und fehlen wird", erklärt St. Leon-Rots Kämmerer Ludwig Kudis. Deshalb wurde nun eine Ausgabensperre verhängt, quasi eine Haushaltssperre. Schuld ist der massive Rückgang der Gewerbesteuereinnahmen. Sogar der all die Jahre niedrige Grundsteuerhebesatz soll erhöht werden.
Freiwillige Zahlungen, wie beispielsweise an die Tafel in Walldorf, sind vorerst eingestellt – obwohl es dabei "nur" um 5000 Euro pro Jahr geht. Damit wollte St. Leon-Rot die Einrichtung unterstützen. Damit ist erst einmal Schluss. Nun "dürfen nur noch Ausgaben geleistet werden, zu denen die Gemeinde nach Gesetz oder gemäß Vertrag, der vor dem 16. August geschlossen wurde, zur Zahlung verpflichtet ist", so steht es in der Sitzungsvorlage.
Der Rat muss in seiner Sitzung am Dienstag, 20. September, im Harres nun rückwirkend beschließen, was die Verwaltung Mitte August aufgrund der Finanz-Situation entschieden hatte. Die Ratsmitglieder wurden – so will es die Gemeindehaushaltsverordnung – bereits am 15. August informiert. Kürzlich wurde auch im Finanzausschuss darüber gesprochen. Notwendig wird das, wenn sich das "Planergebnis des Ergebnishaushaltes wesentlich verschlechtert".
Und eine wesentliche Verschlechterung ist es in der Tat: Die Einnahmen aus der Gewerbesteuer gehen laut Verwaltungsangaben "drastisch zurück". Der Einbruch der Weltwirtschaft aufgrund der Corona-Krise trifft nun auch die eigentlich finanziell gut aufgestellte Gemeinde. In der Haushaltsdebatte im Frühjahr war der Tenor noch, St. Leon-Rot sei gut gerüstet.

"Wir holen quasi das nach, was andere Gemeinden bereits seit 2020 erlitten hatten", erklärt Ludwig Kudis, Kämmerer der Gemeinde, im Gespräch mit der RNZ. Damals – zu Beginn der Pandemie – erhielten viele Gemeinden Kompensationszahlungen wegen fehlender Steuereinnahmen vom Bund.
Auch St. Leon-Rot bekam anteilig Geld, was im Jahr 2020 die Rückgänge bei den Einnahmen aus der Gewerbesteuer ausgleichen sollte. Schon 2020 gab es Stimmen im Gemeindetag, dass die Kompensationszahlungen weiterlaufen sollten.
Kudis und sein Team sind mitten in den Vorbereitungen für die Sitzung am 20. September. Rückstände müssen aufgearbeitet und Zahlen vorbereitet werden. Zwar sind die Ratsmitglieder unterrichtet, doch in der kommenden Sitzung müssen konkrete Beschlüsse gefasst werden, um Geld einzusparen. Lange habe die Gemeinde gedacht, sie habe Glück gehabt und würde von der Krise nicht zu sehr getroffen. Doch die Mindereinnahmen bei den Gewerbetreibenden würden sich nun "später und gravierenderer" auswirken, so Kudis, der aber deutlich macht: "Betroffen hiervon sind fast alle Gewerbesteuerzahler."
Dennoch ist klar: Der Walldorfer Software-Riese SAP, der in der Gemeinde einen Standort hat, ist wohl der größte Gewerbesteuerzahler. Und auch der musste aufgrund von Pandemie und Ukraine-Krieg sein erwartetes Betriebsergebnis für das laufende Jahr um mehrere Hundert Millionen Euro korrigieren.

Dennoch betont Kudis, dass der Rückgang die gesamten Gewerbesteuereinnahmen betreffe. Viele Unternehmen würden ihre Ergebnisse nach unten korrigieren. Möglich ist das bis zum Zeitpunkt der Abschlüsse und das hat Auswirkungen auf die Gewerbesteuer.
Die fehlenden 82,4 Millionen Euro setzen sich folgendermaßen zusammen: Wegen Korrekturen bei der Gewerbesteuer ist in der Sitzungsvorlage die Rede von einer Verschlechterung von 13,8 Millionen Euro für 2022. Etwa derselbe Betrag kommt noch aufgrund von Änderungen, die das Vorjahr betreffen, hinzu. Insgesamt sinkt die Liquidität daher laut Kämmerei um etwa 26 Millionen Euro.
Und auch für das kommende Jahr ist die Prognose schlecht: Mit einem Minus von ebenfalls 13,8 Millionen bei den Gewerbesteuereinnahmen wird kalkuliert. Da St. Leon-Rot zudem noch Rückzahlungen aus der Gewerbesteuer aus den Vorjahren zu tätigen hatte, fehlen letztlich die genannten 82,4 Millionen Euro. Die Gemeinde habe laut Kudis Vorkehrungen getroffen, Rückstellungen wurden gebildet. Diese hätten das Ergebnis nun auch etwas abgefedert. Dennoch sagt Kudis, der seit April 2020 im Amt ist, dass die Gemeinde auf dem falschen Fuß erwischt worden sei.
Die direkten Folgen für St. Leon-Rot sind massiv. Die Einschränkungen werden laut Vorlage überall im öffentlichen Raum bemerkbar sein. Da der Gemeinderat die Etathoheit beim Haushalt besitzt, muss dieser nun entscheiden (siehe Artikel links). "Jedoch nicht zulasten der Gemeinde, damit es keine Schadensersatzforderungen gibt", erklärt der Kämmerer. Laufende Bauvorhaben stoppen, ist somit eher unwahrscheinlich.
Von einem "Cut", also einem Schnitt, will Kudis nicht sprechen. "Alles, was im Ansatz da ist, wird aufgeschoben. Sobald es die wirtschaftliche Situation zulässt, können Ausgaben wieder getätigt werden. Die Mittel verfallen nicht." Ausnahmen gibt es, wenn ein eventueller Schaden abgewendet werden muss. So soll nicht in "bestehende Strukturen" und laufende Bauarbeiten eingegriffen werden. In Zukunft sollen Arbeiten aber einer "Wirtschaftlichkeitsberechnung" unterzogen werden. Was derzeit im Planungsstand ist, soll so vorbereitet werden, dass auch kurzfristig eine Ausschreibung möglich ist. Dazu werden auch laufende Zuschüsse für Vereine oder Organisationen weiter gewährt.
Wie lange die Sperre andauern wird, darauf will sich Kudis nicht festlegen. Eine Glaskugel besitze er nicht. Prognosen sind aufgrund der drohenden Energie-Krise und des Krieges in der Ukraine schwierig. Dem Rat wird nun von Seiten der Verwaltung vorgeschlagen, die Sperre vorerst bis zum Ende des Jahres zu beschließen. Kudis sagt aber auch: "Wir müssen im Haushalt 2023 Prioritäten setzen."
Busfahren kostet ab 2023 wieder
Der Rückgang der Gewerbesteuereinnahmen trifft die Gemeinde St. Leon-Rot ins Mark. Nun muss der Rat in der kommenden Sitzung im St. Leon-Roter Harres die Einsparungen, die die Verwaltung vorschlägt, beschließen. Viele Maßnahmen, die erst vor Kurzem beschlossen wurden, sind vorerst Geschichte.
> Nahverkehr: Massiv ist die Entscheidung, den Pilotversuch "Kostenloses Busfahren" einzustellen. Zum Jahresende ist damit vorerst Schluss. Die Kosten hätten sich laut Verwaltung in diesem Jahr vervierfacht: 80.000 Euro statt 20.000 Euro. Für 2023 lautet die Prognose sogar 100.000 Euro.
> Testzentrum: Das Testzentrum vor dem Harres schließt zum 31. Dezember 2022 seine Türen. Im Juli hatte der Rat noch über den Weiterbetrieb bis zum Jahresende entschieden. Nun heißt es in der Vorlage, dass die Gemeinde damit beauftragt wird, die Verträge aufzulösen.
> Spielplätze: Auch die Neugestaltung der Spielplätze hinter dem Feuerwehrhaus in St. Leon und am Parkring in Rot ist derzeit "nicht vertretbar", so die Vorlage. Insgesamt waren dafür 1,5 Millionen Euro veranschlagt. In Rot wurden bereits Geräte für 100.000 Euro erneuert. Auf dem Spielplatz in St. Leon seien laut Verwaltung ebenfalls viele Geräte stark abgenutzt. "Um trotz der schwierigen finanziellen Situation das bisherige Spielangebot zu erhalten", sollen nun für den Bereich in St. Leon 100.000 Euro vom Rat bewilligt werden.
> Gewerbesteuer: Der Gewerbesteuerhebesatz wird angehoben. Die Verwaltung soll eine Änderungssatzung erstellen. Der Hebesatz muss mindestens dem Niveau des kommunalen Finanzausgleiches von 290 von Hundert entsprechen. Aktuell liegt er bei 280 von Hundert.
> Weitere Punkte: Neben den 5000 Euro für die Walldorfer Tafel wird auch die Stellenbesetzung der mobilen Jugendarbeit hinten angestellt. Zudem wird über die Anschaffung von Weihnachtsbäumen entschieden. Eine Beleuchtung gibt es durch die Verordnung der "Sicherung der Energieversorgung des Bundes" sowieso nicht.