"Das darf niemals in Vergessenheit geraten"
Erschütternde Briefe erzählen die Geschichte der jüdischen Familie Oppenheimer, die vor 80 Jahren Opfer der NS-Verfolgung wurde.

Von Hans-Dieter Siegfried
Wiesloch. Gaby Oppenheimer zeigt sie – jene Briefe, die ihre Großmutter Rositta aus der Zeit, als die Oppenheimers Opfer der Judenverfolgung wurden, gesammelt hatte. Heute vor 80 Jahren wurden Rositta und Leopold Oppenheimer von Heidelberg aus ins französische Gurs deportiert, mit ihnen der Sohn Hans, der später im Konzentrationslager Buchenwald starb und dies nur wenige Tage vor der Befreiung. Der andere Sohn, Max, Gabys Vater, konnte zuvor über Genf nach London emigrieren, ihm war die Ausreise auf abenteuerliche Weise im März 1939 gelungen. Seinen Vater und seinen Bruder sollte er nie wieder sehen.
Leopold Oppenheimer wurde 1943 im Lager Majdanek, im damals von Deutschland besetzten Polen, ermordet, Ehefrau Rositta überlebte jene furchtbare Zeit und machte sich nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges auf Spurensuche. Sie fand bei einer französischen Familie viele Briefe von Sohn Hans, die sie aufbewahrte und später weitergab. 1946 kehrte sie nach Wiesloch zurück. So auch Max, der ein Jahr später aus England wieder in die Heimat kam und dort 1952 seine Frau Gertrud heiratete.
Hintergrund
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Ein Jahr später kam Tochter Gaby zur Welt. Max Oppenheimer, der als Journalist und Historiker arbeitete und sich intensiv in Büchern und Publikationen mit dem Thema Antifaschismus beschäftigte, promovierte mit 65 Jahren an der Universität in Bremen, 1994 verstarb er.
"Mich hat die Geschichte meiner Familie geprägt. All das, was geschehen ist, darf niemals in Vergessenheit geraten", begründet Gaby Oppenheimer ihr Motiv, eben die alten Briefe und zahlreiche weitere Erinnerungsstücke auch anderen Personen zugänglich zu machen. "Wir müssen aus den Geschehnissen unsere Lehren ziehen und so etwas darf niemals wieder geschehen", untermauert sie ihre Einstellung. Sie verwies auf die Tatsache, dass ein "Jude" lediglich seine religiöse Ausrichtung lebe, dies allerdings von den Nazis im Dritten Reich mit einer anderen Bewertung und willkürlichen Vorwürfen letztendlich umgedreht wurde. Gaby selbst ist heute noch hin und wieder in Schulen unterwegs, um über ihre Familiengeschichte und die damit verbundenen Grausamkeiten zu berichten.
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Auch eine Ausstellung war ursprünglich geplant, da jedoch die heutige Gedenkfeier im Palatin aufgrund der aktuellen Corona-Situation abgesagt wurde, besteht dazu keine Gelegenheit. Es sind erschütternde Briefe, die Gaby vorweisen kann. So ein Schreiben von Leopold an seinen Sohn Hans, im September 1941 im Lager in Gurs verfasst. Darin schrieb er unter anderem "Die Zeiten sind heute so, dass wir nicht wissen, ob wir Dich, liebes Kind, im Leben noch einmal sehen, und dieses Gefühl ist es, was den Abschied so schwer macht".
Ein Bild, leicht vergilbt, zeigt das Hochzeitsfoto ihrer Großeltern, die sich im Januar 1919 in Wiesloch das Ja-Wort gaben. Diese Erinnerung ist nur ein Teil der noch vorhandenen Familiengeschichte der Oppenheimers, die Gaby aufbewahrt hat. Dokumente, Fotos und alte Ausweise befinden sich in ihrem Besitz als stetige Mahnung an jene für die Familie so tragische Zeit. 1942, also zwei Jahre nach der Deportation nach Gurs, hatten Rositta und Leopold die Familiengeschichte der Oppenheimers verfasst, um sie ihrem Sohn Hans zu dessen 21. Geburtstag zu überreichen.
Darin ist unter anderem aufgeführt, dass die Oppenheimers bereits seit Jahrhunderten in der Heidelberger Region ansässig war. Der Handel mit Tabak, Hopfen und Getreide prägte lange das geschäftliche Leben, so hatte beispielsweise Leopolds Familie in Dossenheim einen großen Hof – man baute Hopfen an. Er selbst war später als Bauingenieur aktiv.

Gabys Vater Max war, bevor er sich über die Schweiz nach England absetzen konnte, selbst im Konzentrationslager in Dachau. Mit Hilfe eines Freundes der Familie gelang es ihm, aus dem Lager freizukommen. Entsprechende Unterlagen wurden als "Beweis" hinterlegt, obwohl die eigentlich notwendigen Papiere gar nicht existierten. Zuvor musste er die Folgen der Novemberpogrome 1938 miterleben. So ist den Unterlagen zu entnehmen, dass er auf Bitten seiner Mutter von Frankfurt – dort arbeitete er – nach Wiesloch eilte, um ihr beizustehen.
Denn in der Nacht war die Wohnung der Oppenheimers von einem SA-Trupp zerstört und der Vater sowie der Bruder Hans verhaftet worden. Leopold, damals 57 Jahre alt, konnte sich nur durch das Vorzeigen seiner Auszeichnungen, die er im Ersten Weltkrieg erhielt, vor einer frühzeitigen Deportation retten, diese sollte knapp zwei Jahre später dennoch erfolgen.
Hans Oppenheimer erinnert in seinem Tagebuch an die Deportation am 22. Oktober 1940. Morgens um sieben Uhr kam die Gestapo und mit einem Sonderzug ging es nach Gurs. Die gesamte Fahrt – am Ende musste auf Lastwagen umgestiegen werden – dauerte vier Tage. Im "Camp de Gurs" sollen nach Überlieferungen im Winter 1940/41 von den 6500 Deportierten zwischen 600 und 1000 Menschen gestorben sein. Dennoch hat etwa ein Drittel der Menschen überlebt, durch Flucht oder Untertauchen.