Walldürn

Warum sich Achim Kaltwasser an #outinchurch beteiligt

Der frühere Walldürner Mesner Achim Kaltwasser setzt sich für mehr Vielfalt und Akzeptanz in der katholischen Kirche ein.

28.01.2022 UPDATE: 29.01.2022 06:00 Uhr 5 Minuten, 35 Sekunden
Achim Kaltwasser war bis 2005 in Walldürn als Mesner tätig. In einer deutschlandweiten Aktion setzt sich der Sakristan inzwischen „für eine Kirche ohne Angst“ ein. Foto: privat

Von Janek Mayer

Walldürn. "Ich mache bei ,#outinchurch' mit, weil ich meine Kirche liebe und an ihr leide." Achim Kaltwasser, 51 Jahre alt, ist eines der Gesichter der Initiative, die einen Wandel in der katholischen Kirche einfordert.

Weil er sich als Homosexueller im Alltag mit offensichtlicher Diskriminierung konfrontiert sieht, setzt er sich mit 124 weiteren Kirchenangestellten dafür ein, dass "LGBTIQ+"-Personen in der Kirche ohne Angst offen leben und arbeiten können. Dazu ist es nötig, dass die Kirche alle Menschen – unabhängig ihrer geschlechtlichen Identität oder sexuellen Orientierung – willkommen heißt.

Hintergrund

Dyke ist ein englischer Begriff, der ursprünglich eine Beschimpfung für frauenliebende Frauen war. Vergleichbar ist Dyke im Deutschen mit der Stigmatisierung als "Kampflesbe" für lesbische und feministische, und besonders für als in ihrem Auftreten maskulin

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Dyke ist ein englischer Begriff, der ursprünglich eine Beschimpfung für frauenliebende Frauen war. Vergleichbar ist Dyke im Deutschen mit der Stigmatisierung als "Kampflesbe" für lesbische und feministische, und besonders für als in ihrem Auftreten maskulin wahrgenommene Frauen. Trotz der Anfeindung hat sich die lesbisch-feministische Community den Begriff positiv angeeignet.

Queer nennen sich häufig Menschen, die von der heterosexuellen oder der zweigeschlechtlichen Norm abweichen. Der Begriff ist bewusst vage gehalten, weil er somit erlaubt, auf nähere Abgrenzungen und Definitionen weitgehend zu verzichten.

Heteronormativität wird manchmal auch als "Zwangsheterosexualität" beschrieben. Dieser zentrale Begriff der Queer-Theorie problematisiert die Tatsache, dass große Teile der Gesellschaft nur heterosexuelle Beziehungen zwischen Mann und Frau als normal empfinden. Queer-Aktivisten kritisieren, dass dabei das biologische Geschlecht mit der Geschlechtsidentität, der Geschlechtsrolle und der sexuellen Orientierung gleichgesetzt wird – und zwar für alle. Dadurch werden viele Menschen diskriminiert, die nicht in das heteronormative Raster passen.

LGBT oder LSBTTIQ: LGBT steht für die englischen Begriffe Lesbian (lesbisch), Gay (schwul), Bi (bisexuell) und Trans. Manchmal ist auch die Rede von LSBTTIQ, was dann lesbisch, schwul, bisexuell, transsexuell, transgender, intersexuell und queer meint.

Intersexualität: Bei intersexuellen Menschen sind nicht alle geschlechtsbestimmenden Merkmale wie Chromosomen, Hormone und Geschlechtsorgane biologisch eindeutig nur einem Geschlecht zuzuordnen. Sie verfügen - vollständig oder teilweise - über männliche und weibliche Merkmale. Ein anderer, alter Begriff ist Zwitter. Das lateinische "inter" bedeutet unter anderem "zwischen".

Transgender: Umfasst meist all jene, deren soziales Geschlecht nicht - oder nicht immer - mit dem biologischen identisch ist. Nicht jeder Transgender-Mensch möchte jedoch seinen Körper so verändern, wie es viele Transsexuelle wollen. Um die verschiedenen Gruppen zusammenzufassen, wird manchmal als Oberbegriff einfach die Vorsilbe mit einem Stern verwendet: Trans*. Das soll Offenheit signalisieren und auf die Vielfalt von Selbstbildern hinweisen, die im Laufe eines Lebens wechseln können. Manche reden hier von transgeschlechtlichen Menschen.

Transsexualität: Bezeichnet das starke Gefühl, mit dem "falschen" Geschlecht auf die Welt gekommen zu sein. Den Betroffenen ist es oft ein Bedürfnis, ihren Körper mit Hormonen oder mit Operationen dem bevorzugten Geschlecht anzugleichen. Die US-Amerikanerin Caitlyn Jenner (66), früher männlich Bruce, ist die derzeit wohl bekannteste Transsexuelle.

Queer: Das Wort aus dem Englischen wird sehr unterschiedlich übersetzt: eigenartig, verquer, schwul - teils auch als Schimpfwort. Politisch wurde es in den USA zum Dachbegriff für verschiedene Randgruppen. Bei uns fasst das Wort queer heute oft viele Menschen zusammen, die ihre Identität, ihre Sexualität oder beides als abweichend von der Mann-Frau-Norm empfinden. Das kann auch Asexualität, Menschen in mehr als einer Partnerschaft und solche, die zwischen Geschlechterrollen wechseln, einbeziehen.

Cis-Menschen/Cisgender: Wer sich mit dem Geschlecht identifiziert, das ihm bei Geburt zugewiesen wurde, wird Cis-Mensch genannt. Dies trifft auf den weitaus größten Teil der Bevölkerung zu. Das lateinische "cis" bedeutet "diesseits" - als Gegenwort zu "trans", "jenseits" und "über".

Transvestit: Menschen, die das Bedürfnis haben, immer mal wieder für längere oder kürzere Zeit in die Kleidung des anderen Geschlechts zu schlüpfen. Auch Haare, Accessoires und Bewegungsstil passen sie an - und zwar im Bewusstsein, diesem Geschlecht nicht anzugehören.

Travestiekünstler/Drag Queen: Männer, die zum Spaß oder zur Unterhaltung Frauenkleidung tragen und dies besonders exaltiert tun. Künstler wollen so für mehr Offenheit und Toleranz werben. Berühmt ist etwa die österreichische Gewinnerin des Eurovision Song Contest 2014, die Drag Queen Conchita Wurst, verkörpert von Tom Neuwirth (27). rie/dpa 

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In Walldürn ist Achim Kaltwasser vielen als Mesner in der Basilika und Stadtrat für die CDU in guter Erinnerung. Heute ist er als Sakristan in der Kirche St. Stephan und als Mitarbeiter der ökumenischen City-Kirchenarbeit in Karlsruhe tätig. Die RNZ hat sich mit ihm über die Aktion "#outinchurch", das schwierige Verhältnis zu seinem Arbeitgeber, die Hoffnung auf mehr Akzeptanz in der Kirche und die Rolle eines jeden Einzelnen unterhalten.

Herr Kaltwasser, Sie haben im ARD-Interview gesagt: "Das Schlimmste, was passieren kann, ist, dass keine Reaktionen kommen." Können Sie das näher erläutern?

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Achim Kaltwasser: Immer wenn man eine neue Aktion startet, hat man erst einmal Bedenken, ob und wie wohl das Thema bei den Menschen wahrgenommen wird. Für viele aus der Gruppe "#outinchurch" war das Outing kein einfacher Schritt gewesen. Solch ein Schritt verändert das Leben eines jeden Einzelnen. Zumal es eine noch nie dagewesene Aktion ist. Wir haben sehr viel Energie, Zeit und Mut in diese Aktion gesteckt – natürlich mit dem Wunsch, dass wir gehört und gesehen werden; dass wir eine Veränderung für unsere Kirche bewirken; auch dass die Bischöfe reagieren und agieren; im besten Fall, dass Rom aufhorcht. Das alles ist mit großer Wucht eingetreten. Das Schlimmste wäre jetzt, wenn die Aktion zur Kenntnis genommen werden würde und keine sichtbaren Konsequenzen in der Kirche gezogen würden. Wir möchten unserer Kirche nicht schaden. Im Gegenteil, wir sehen uns als ein wichtiger Teil dieser Kirche, lieben unsere Kirche, aber wir leiden auch an ihr. Wir möchten ein Teil der Veränderung zum Guten sein. Die Welle der Solidarität hat gezeigt, dass ich mir die Sorge hätte nicht machen müssen, dass nichts passiert.

Foto: dpa

Wie schwierig war es für Sie, an der Aktion "#outinchurch" teilzunehmen?

Das war nicht schwierig für mich. Einmal ganz praktisch gesehen, hat die Kette sehr gut funktioniert, dass jeder jemanden kennt, der wiederum jemanden kennt ... So hat sich die Gruppe gefunden. Von meiner Entscheidung her mitzumachen war es für mich gar keine Frage. Ich will Veränderung, und ich weiß, wie viele Menschen dies auch wollen. Ich weiß, wie viel Leid und Trauer bei queeren gläubigen Menschen ist, und dies darf nicht sein. Da ich schon nach dem "Nein" aus Rom in Karlsruhe einen Segnungsgottesdienst organisiert habe und ich mit den christlichen queeren Menschen in Karlsruhe bestens vernetzt bin, gab es nur eine Entscheidung für mich.

Haben Sie Ihre Homosexualität anfangs geheim gehalten?

Ja, zum einen, weil ich mich erst einmal selbst finden musste, da ich zuvor auch wundervolle klassische Beziehungen hatte, und zum anderen, weil ich sehr schnell zu der Überzeugung gekommen bin, dass mein Intimleben niemanden etwas angeht außer mich.

Wie sind Sie bei Ihrer Tätigkeit als Mesner in Walldürn mit der Thematik umgegangen?

In einer Kleinstadt wie Walldürn ist es leider immer noch eine ganz andere Situation wie zum Beispiel in einer Großstadt wie Karlsruhe. Ich merke selbst bei meinem engen Freundeskreis von Walldürn, dass ein positives, dennoch anderes Denken herrscht. Ich bin damals so damit umgegangen, wie ich heute damit umgehe. Wer mich fragt, bekommt eine Antwort von mir. Welche, entscheide ganz alleine ich. Der Thematik gegenüber bin ich in meinem Beruf schon von jeher aufgeschlossen gegenübergestanden. Auch in Walldürn waren mir immer alle willkommen. Ich war sehr bemüht, eher ungewöhnliche Gruppierungen nach Walldürn einzuladen. In der Wallfahrtsstadt Walldürn wurden solche kirchenpolitischen Themen aber auch nicht aufgegriffen. Dort herrschte eher eine einfache, traditionelle, kontemplative Stimmung. Auch dort hat schon seit jeher eine kleine konservativere Seite Entwicklung be- und verhindert.

Haben Sie je mit dem Gedanken gespielt, Ihren Arbeitgeber, der Ihren Lebensstil als unmoralisch ansieht, zu verlassen?

Ja, das habe ich. Noch vor wenigen Wochen, als das "Nein" aus Rom zur Segnung von queeren Menschen kam, als immer mehr Missbrauchsfälle aufgedeckt wurden, nachdem klar war, wie viel Kriminalität, Frauenfeindlichkeit und Diskriminierung in dieser Kirche ist, habe ich meinem Dekan gesagt, dass ich von dieser Institution weg muss. Für so etwas bin ich nicht angetreten, in so einer Kirche kann ich nicht sein. Davon kann ich kein Teil sein. Diese Gedanken entstanden aber nie wegen meines Lebensstils, sondern es ist eine andere Gewissensfrage.

In einem früheren Interview erwähnen Sie Probleme bei einem Segnungsgottesdienst, bei dem der Rosenkranz als "Waffe" gegen Sie eingesetzt wurde. Was ist da passiert?

Nach dem "Nein" aus Rom war die Bestürzung groß. Schon wieder schadet Rom der Kirche vor Ort. Schon wieder müssen wir uns an der Basis entschuldigen und Menschen auffangen. In Karlsruhe war schnell klar, dass wir trotz dieses Segnungsverbots queere Menschen einladen, ihnen Mut zusprechen und sie auch segnen werden. Die groß angelegte Aktion "#liebegewinnt" fand ebenso große Resonanz wie "#outinchurch". Zu meiner Verwunderung hat sich vor dem Hauptportal eine Gruppe von vier Menschen positioniert und angefangen, den Rosenkranz zu beten. Der Rosenkranz ist für mich eine wundervolle Gebetsform, die am richtigen Ort und zur richtigen Zeit sehr meditativ sein kann. Jedoch waren diese Personen der traditionellen, konservativen Seite zuzuordnen. Es hat mich betroffen gemacht, dass dieses wertvolle Gebet missbraucht wurde, um es gegen unsere Aktion und gegen die Menschen zu verwenden.

Abgesehen von diesem Vorfall klingt es bei Ihnen so, als wären viele Gemeinden selbst offen für das Thema Homosexualität. Woran machen Sie das fest?

Viele Gemeinden und die Mehrzahl der Gläubigen haben keine Vorurteile gegenüber nicht-heterosexuellen Menschen. In meiner eigenen Pfarrei zum Beispiel musste ich mich zu keiner Zeit rechtfertigen, sondern werde selbstverständlich und ohne jegliche Diskriminierung angenommen. Dies muss ja auch eigentlich genauso sein – und zwar in allen Gemeinden. Die Aktion "#liebegewinnt" beziehungsweise "#outinchurch" und unsere Petition "#OutInChurch – Für eine Kirche ohne Angst", die bereits 70.000 Menschen unterschrieben haben, hat dies noch einmal deutlich unterstrichen. Karlsruhe ist nach dem Münster in Freiburg die zweite wichtige Kirche der Erzdiözese, wir haben sehr gut ausgebildete Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sowie Priester. Hier setzen wir uns mit solchen Themen auseinander und positionieren uns.

Das Problem sehen Sie eher in Rom. Woran liegt das Ihrer Meinung nach?

Dies schätze ich so ein, wie es der Reporter in Rom im Film "Wie Gott uns schuf" gesagt hat. Die sogenannte traditionelle Seite ist in Rom noch zu stark und weiß sich in den Vordergrund zu rücken. Papst Franziskus lässt aber immer wieder seine Position durchklingen. Als Oberhaupt der katholischen Kirche ist ihm aber auch daran gelegen, dass es zu keiner Spaltung kommt. Dies war oft in der Geschichte die Konsequenz. Solche kirchenpolitischen Probleme können auch nicht weltumfassend gleich beurteilt werden. Es braucht Freiheit der einzelnen Länder, Kulturen und Bischofskonferenzen, um das Kirchenrecht der Situation und den Menschen anzupassen. Denn das Kirchenrecht soll den Menschen dienen – und nicht die Menschen dem Kirchenrecht.

Haben Sie begründete Hoffnung, dass die katholische Kirche beim Thema "LGBTIQ+" in naher Zukunft einen deutlichen Schritt nach vorne vollzieht?

Ja, das habe ich. Alle Bischöfe haben sich positiv auf "#outinchurch" geäußert. Unsere Petition spricht für sich. Ebenso die unerträglich hohen Zahlen der Kirchenaustritte. Wer jetzt immer noch nicht begriffen hat, dass sofortige Veränderung notwendig ist, schadet der Kirche noch mehr. Alle Beteiligten setzen große Erwartungen auf den synodalen Weg, der in den nächsten Tagen weitergeht. Wir haben unsere Forderungen klar ausgesprochen und allen Bischöfen zukommen lassen. Keinen Schritt nach vorne werden wir nicht akzeptieren.

Was kann jeder Einzelne tun, um die Situation für queere Menschen in der Kirche zu verbessern?

Als Erstes kann jede und jeder Einzelne unsere Anliegen und die Intention mit in sein Gebet nehmen – ob ausgetreten oder nicht. Ich weiß, dass viele Menschen sich zwar von der Kirche getrennt haben, nicht aber von ihrem Glauben. Das beruhigt mich oft bei den vielen Gesprächen mit ausgetretenen Menschen. Es wäre wichtig, nicht aus der Kirche auszutreten, auch wenn ich jeden einzelnen Menschen mehr als verstehen kann, der es nicht mehr in dieser Kirche aushält. Wir müssen aber auftreten statt austreten. Wenn alle gehen, überlassen wir die Kirche den falschen Menschen, und dazu bin ich nicht bereit. Sensibel sein kann jede und jeder, hinsehen und laut werden, wo Diskriminierung, Rassismus, Homophobie, Frauenfeindlichkeit oder andere Formen von Ausgrenzung stattfinden. Ganz praktisch kann jeder und jede unsere oder auch ähnliche Petitionen unterschreiben, Menschen unterstützen und ermutigen, zu ihrem von Gott gewollten und gesegneten Leben zu stehen.

Info: Informationen zur Initiative gibt es unter www.outinchurch.de, die Dokumentation "Wie Gott uns schuf" findet sich in der ARD-Mediathek.

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