Ungerechte Schulbauförderung

"Liebesbrief" vom Landrat an Stuttgart

Achim Brötel übt heftige Kritik am Land wegen Verteilung der Fördergelder - Kluft zwischen armen und reichen Landkreisen wächst

01.12.2017 UPDATE: 02.12.2017 06:00 Uhr 2 Minuten, 47 Sekunden

Gymnasium in Osterburken. Archivfoto: Burkard Gassenbauer

Neckar-Odenwald-Kreis. (lra) Selbst einige Nächte darüber zu schlafen, hat nicht geholfen. Im Gegenteil. Der Frust über die Auswahl der förderberechtigten Landkreise, die von den 3,5 Milliarden Euro des Bundes für Schulsanierungen profitieren sollen, sei in dieser Zeit eher noch gewachsen, bekennt Landrat Dr. Achim Brötel freimütig. Und: Eben diesem Frust hat der Landrat deshalb jetzt auch in geharnischten Briefen nach Stuttgart Luft gemacht. Adressaten sind Ministerpräsident Winfried Kretschmann, Finanzministerin Edith Sitzmann, Kultusministerin Dr. Susanne Eisenmann, sowie die beiden Fraktionsvorsitzenden von Bündnis 90/Die Grünen und der CDU im Landtag, Andreas Schwarz und Prof. Dr. Wolfgang Reinhart.

Worum geht es? Der Bund unterstützt die Länder zum Ausgleich unterschiedlicher Wirtschaftskraft bei der Stärkung der Investitionstätigkeit finanzschwacher Gemeinden und Gemeindeverbände mit insgesamt 3,5 Milliarden Euro. Die konkrete Auswahl der förderfähigen Gebiete ist allerdings Sache der Länder selbst, die aus einem gemeinsam mit dem Bund festgelegten Strauß von Kriterien wählen können. Das Land Baden-Württemberg hat sich dabei für die durchschnittlichen Sozialhilfenettoausgaben der Jahre 2013 bis 2015 entschieden.

Wie man ausgerechnet auf diesen Maßstab kommen kann, werde, so Brötel, aber wohl eines der letzten ungelösten Rätsel der Menschheit bleiben. Die Höhe von Aufwendungen könne jedenfalls nie ein Maßstab dafür sein, ob eine Kommune finanzschwach oder finanzstark ist. Wer eine hohe Finanzkraft hat, könne sich auch hohe Aufwendungen leisten, ohne damit irgendein Problem zu haben. Wer diese Finanzkraft nicht hat, sondern statt dessen sehr viel genauer hinschauen und vor allem auch sehr viel mehr haushalten muss, werde bei diesem Auswahlschema also gezielt bestraft.

Das führe jetzt, wie vor Kurzem bekannt geworden ist, ganz konkret etwa zu dem geradezu grotesken Ergebnis, dass von den landesweit zehn steuerkraftstärksten Kreisen sechs als angeblich "finanzschwach" eingestuft werden, darunter auch der Rhein-Neckar-Kreis oder der schuldenfreie Landkreis Biberach. Umgekehrt sollen von den zehn steuerkraftschwächsten Kreisen sogar sieben angeblich "finanzstark" sein, darunter auch beispielsweise der Neckar-Odenwald-Kreis und der Main-Tauber-Kreis. Verkehrte Welt? Mitnichten, schimpft Landrat Dr. Brötel, sondern offenbar schlicht politische Realität im Baden-Württemberg des Jahres 2017. Mittel, die eigentlich dafür gedacht sind, die Kluft zwischen armen und reichen Landkreisen zu verringern, würden so also dazu führen, dass diese Kluft in Wirklichkeit noch sehr viel größer wird.

Für den Neckar-Odenwald-Kreis bedeute diese absurde Entscheidung, so der Landrat weiter, dass er für die anstehende große Sanierungsmaßnahme am Ganztagsgymnasium Osterburken (GTO), die voraussichtlich mindestens neun Millionen Euro kosten wird, nicht auf eine Finanzhilfe aus den Mitteln des Bundes hoffen kann. Diese Gelder gingen statt dessen zumindest teilweise in künstlich schlecht gerechnete andere Landkreise, die in Wirklichkeit aber wesentlich finanzstärker sind, als es der Neckar-Odenwald-Kreis jemals sein könne.

Für den Neckar-Odenwald-Kreis bleibe somit als letzte Hoffnung nur noch der kommunale Sanierungsfonds des Landes Baden-Württemberg. Für diesen auf die Jahre 2017, 2018 und 2019 begrenzten Fonds gebe es bis zum heutigen Tage aber noch nicht einmal eine über das Entwurfsstadium hinausgekommene Verwaltungsvorschrift, die die Ausführung regeln würde, obwohl das erste Förderjahr quasi schon vorbei ist.

Das Regierungspräsidium habe zudem bereits mitgeteilt, dass aufgrund fehlender personeller Kapazitäten für die baufachliche Prüfung etwaiger Anträge, selbst wenn sie sofort eingereicht werden könnten, nicht vor Mitte 2018 mit entsprechenden Förderbescheiden zu rechnen sei. Da Ausschreibungen erst anschließend erfolgen könnten und bei Schulbaumaßnahmen aus guten Gründen möglichst die Ferienzeiten genutzt werden sollten, hei-ße das ganz konkret, dass auch das Jahr 2018 damit im Prinzip schon wieder für eine Realisierung ausscheidet. Es sei ihm, so Brötel weiter, absolut unbegreiflich, warum man derartige Verfahren von Landesseite nicht beschleunigen könne.

Und: Natürlich habe der Neckar-Odenwald-Kreis die klare Erwartungshaltung, dass der kommunale Sanierungsfonds des Landes nach den Ergebnissen der neuesten Steuerschätzung nicht nur deutlich aufgestockt werde, sondern dann auch ausschließlich denjenigen Landkreisen offen stehe, die das Finanzministerium jetzt als angeblich "nicht finanzschwach" eingestuft hat, und dass dann dort vor allem tatsächlich nach echten Kriterien der Finanzschwäche entschieden und priorisiert werde. Wenn das so nicht eintrete, würden Kreise wie der Neckar-Odenwald-Kreis nämlich sogar doppelt benachteiligt.

Wir alle, so Brötel abschließend in seinem "Liebesbrief" nach Stuttgart, beklagen uns immer darüber, dass die Politikverdrossenheit weiter steigt und radikale Parteien mehr und mehr Zulauf finden. Wer solche Entscheidungen wie die zur Auswahl angeblich "finanzschwacher" Landkreise treffe, brauche sich darüber allerdings sicher nicht mehr beklagen, sondern trage in Wirklichkeit ein gerütteltes Maß an Mitverantwortung für diese Entwicklung.

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