Reformadventisten holen 43 Ukrainer nach Mosbach
"Wir machen, was wir können". 29 Kinder und 14 Erwachsene

Von Ursula Brinkmann
Mosbach. Am Montag um 15.30 Uhr telefoniert die RNZ mit Daniel Haug. Er ist im polnischen Breslau und hat gerade 29 Kinder und 14 Erwachsene aus der Ukraine "übernommen", um sie nach Mosbach zu bringen. "Das kam alles so plötzlich", sagt der Neudenauer. Seine Frau Dina stammt aus der ukrainischen Stadt Kriviy Rih; sie haben einen einjährigen Sohn namens Levi. Und sie gehören der Internationalen Missionsgesellschaft der Siebenten-Tags-Adventisten an (IMG oder auch Reformadventisten genannt). Ihre Glaubensgemeinschaft hat am Mosbacher Hardberg ein Gemeindezentrum, das noch in derselben Nacht zum Auffanglager für Familienangehörige, Glaubensgeschwister und weitere Familien aus Kriviy Rih wird.
21 Stunden später trifft die RNZ Dina und Daniel Haug am Gemeindehaus in der Friedrich-Ebert-Straße. Am Eingang stapeln sich Kartons und Körbe mit Lebensmitteln, Kuchenspenden daneben. Im Treppenhaus lagern Mineralwassergebinde, Kisten mit Obst und Gemüse, Haushaltsutensilien, Kindersitze. Menschen tragen Plastiksäcke mit Kleidern und Schuhen hinein. In einem kleinen Saal werden sie von Helferinnen sortiert. Im größeren sitzen und stehen Kinder, Jugendliche und Erwachsene, reden, spielen, essen, blicken auf Handys.
"Gerade habe ich eine Nachricht bekommen, dass Kriviy Rih von den Russen angegriffen werden soll." Dina Haug ist nervös. Sie zeigt auf dem Handy ein Bild eines brennenden Gebäudes in dem Dorf, in dem ihr Vater lebt. "Er und zwei meiner Brüder bleiben." Sie dürften auch nicht fort, werden aber nicht kämpfen, das verbietet ihnen ihr Glaube. Ihre Mutter hat sich zusammen mit einer Schwiegertochter und deren Familie ebenfalls auf den Weg raus aus der Ukraine gemacht.
Daran, dass nun wirklich Krieg ist, daran hatte keiner so richtig geglaubt. Die Warnrufe von der Mosbacher Angehörigen seien lange nicht so ganz ernst genommen worden. "Doch dann hat es sich letzte Woche gedreht", berichtet Daniel Haug. Wie ein Lauffeuer habe es sich verbreitet, dass aus Mosbach ein Evakuierungstross komme. "Die Entscheidung, mitzufahren, ist bei den meisten in weniger als zwei Stunden, bei manchen in letzter Minute gefallen." Zeit, Sachen zu packen, blieb kaum.
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Schließlich waren es 43 Personen, die am Samstagabend in Kriviy Rih in einen Zug stiegen und bis an den polnisch-ukrainischen Grenzübergang Yagodyn fuhren. Autos erschienen den Flüchtenden zu riskant für diesen schwierigsten Teil der Reise. Unterwegs in der Ukraine, berichteten sie später, seien zeitweise der Antrieb des Zuges abgestellt und die Lichter gelöscht worden – aus Sorge, zum Ziel eines Angriffs zu werden. An der Grenze übernahm ein weiterer von Dinas Brüdern, der in Katowice lebt, die Flüchtenden. Ein bemerkenswerter Wimpernschlag der Geschichte: Einer der Jungen vollendete sein 18. Lebensjahr kurz nach dem Grenzübertritt. Eine Stunde später, und er hätte nicht mehr aus der Ukraine ausreisen dürfen, da alle Männer zwischen 18 und 60 Jahren das Land nicht mehr verlassen dürfen. Auf eine Bus- folgte eine weitere Zugfahrt, bis die ukrainische Gruppe am Montagmittag Breslau erreichte.
Als die Personenzahl klar war, begann auf der deutschen Seite das Planen. Daniel Haug und Miguel Cabrera (stellvertretender Leiter IMG-Ortsniederlassung in Mosbach) schafften es, vier Kleinbusse mit je neun Plätzen zu organisieren. 720 Kilometer beträgt die Distanz von Mosbach nach Breslau. Nachts um 3.30 Uhr fuhren Daniel Haug und drei Busse los, Miguel folgte später im eigenen Siebensitzer. In der Zwischenzeit wird in Mosbach alles vorbereitet. "Uns schlug förmlich eine Welle der Hilfsbereitschaft entgegen", sind die Reformadventisten sehr dankbar für alles, womit sie unterstützt werden. Aktuell quält sie vor allem die Frage, wie das Gemeindezentrum geheizt werden kann. "Mit unseren Heizölvorräten sind wir auf die Unterbringung von so vielen Personen nicht vorbereitet."
Ziemlich genau 24 Stunden nach dem Aufbruch ist der Flüchtlingstreck zurück. Wieder ist es Nacht. Beim Treffen mit der RNZ am frühen Dienstagnachmittag steht den Helfern die Müdigkeit noch im Gesicht, ebenso den 43 Menschen aus der Ukraine. Mehr aber beschäftigt sie die Sorge um die, die in die Ukraine sind. Eine der Geflüchteten beschreibt es in einer Nachricht: "Das ist der schlimmste Abschied meines Lebens. Wir wissen nicht, wann wir uns wiedersehen."
Die Gemeindeglieder, ihre Unterstützerinnen und Unterstützer haben Kontakte zu den Behörden geknüpft. Einige haben Angehörige in Deutschland. Die Netzwerke rattern. Wo die Geflüchteten in der nahen Zukunft unterkommen, das weiß man im Gemeindezentrum jetzt noch nicht. Wie so vieles andere auch nicht. "Wir machen das ja zum ersten Mal, aber wir machen, was wir können."
Spendenkonto: Internationale Missionsgesellschaft "STA Reform", Vereinigte Volksbank eG Bramgau Osnabrück Wittlage, Iban: DE93.2659.0025.8228 3966 01, Verwendungszweck: Flüchtlingshilfe Ukraine.