"Die Infektwelle rollt und rollt"
Kinderarzt Daniel Vater berichtet über die Lage bei der Kinderimpfung und der Ausbreitung des RS-Virus.

Von Stephanie Kern
Schwarzach. Im Juli 2019 hat Dr. Daniel Vater die Kinderarztpraxis Dr. Heckmann in Schwarzach übernommen, seitdem ist er vor Ort der Ansprechpartner für die kleinen Patienten und ihre Eltern. Im Hinblick auf die womöglich kommende Kinderimpfung haben viele Eltern Beratungsbedarf, zudem machen viele Kinder in diesem Jahr deutlich mehr Infekte durch. Im RNZ-Gespräch berichtet Vater von seinen Erfahrungen in der aktuellen Situation.
Woran können Eltern erkennen, ob sich ihr Kind mit dem Coronavirus infiziert hat?
Am Testergebnis. Um es ausführlich zu beantworten: Man erkennt es nicht, die Symptome bei Kindern unterscheiden sich nicht so gravierend von denen anderer Infektkrankheiten. Was aber schön ist und uns auch hilft, ist, dass viele Eltern vorher anrufen, auch schon mal einen Schnelltest machen. Das macht es einfacher. Das Thema Geschmacksverlust, das ja bei Erwachsenen ein eindeutiges Zeichen zu sein scheint, ist jetzt bei den Kindern nicht unbedingt ein führendes Symptom. Um ehrlich zu sein, habe ich es nur bei älteren Kindern als Symptom gesehen.
Wie verläuft die Krankheit Covid-19 denn bei den Kindern?
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Die Frage beantworte ich naturgemäß jeden Tag sehr häufig. Gerade vor dem Hintergrund der Impfungen interessiert es die Eltern natürlich. Die Chance, dass ein Kind wegen des Coronavirus’ im Krankenhaus behandelt werden muss, geht gegen null. Der Verlauf bei Kindern ist verhältnismäßig harmlos und entspricht dem anderer Infektverläufe. Was ich aber bestätigen kann, ist, dass es ein bisschen längerfristig nach den Infektionen zu einer verminderten Leistungsfähigkeit kommen kann – also: Die Kinder können beim Sport nicht mehr so mitmachen, müssen bei ihren Hobbys langsamer machen oder bekommen sogar psychische Probleme. Das sieht man immer häufiger, und das habe auch ich schon hier gesehen.
Betrifft das alle Kinder gleichermaßen?
Nein, das betrifft eher Jugendliche als kleine Kinder. Aber all das macht es für die Eltern natürlich schwierig, über eine Impfung ihrer Kinder zu entscheiden.
Wenn wir jetzt schon beim Thema Impfung sind: Die EMA hat den Impfstoff von Biontech für Fünf- bis Elfjährige zugelassen, eine Entscheidung der ständigen Impfkommission steht noch aus. Ist das Thema bei Ihnen in der Praxis schon präsent?
Die Nachfrage nach der Impfung dieser jungen Kinder ist schon riesig – obwohl die Stiko-Empfehlung fehlt. Es gibt viele Eltern, die es für ihre Kinder möchten, ich würde sagen, es stehen schon weit über 100 Namen auf der Liste.
Sie sind ja auch Vater, was machen Sie denn mit ihren Kindern?
Das werde ich natürlich auch oft von den Eltern meiner Patienten gefragt: Meine Kinder warten tatsächlich schon ein bisschen auf die Impfung, und ich werde sie auch impfen. Nicht, weil ich Angst vor einem schweren Verlauf hätte. Aber die Arbeit in der Praxis zeigt mir, dass Kinder sich oft bei ihren ungeimpften Eltern oder Familienangehörigen anstecken. Ich bin zwar geimpft, aber naturgemäß viel im Kontakt mit Patienten, und ich möchte es vermeiden, dass meine Kinder es sich von mir oder beim Besuch des Papas in der Praxis holen.
Die Gruppe der Fünf- bis Elfjährigen macht etwa ein Prozent der Bevölkerung aus. Ist es überhaupt sinnvoll, diese Gruppe in großem Stil durchzuimpfen?
Sie haben recht: Jetzt pauschal zu sagen, dass man dieses eine Prozent der Bevölkerung durchimpfen soll, ist wenig sinnvoll. Man muss es individuell betrachten, etwa ob ein Kind selbst ein großes Risiko hat, schwer zu erkranken, oder ob es im nahen Umfeld Risikopatienten gibt. Was für mich auch ein Argument für die Impfung ist, sind die Varianten: Je länger ein Infektgeschehen aktiv ist, desto größer ist die Möglichkeit, dass sich Varianten bilden.
Das spräche doch aber eher für eine Impfpflicht, oder? Wie sehen Sie das?
Eine Impfpflicht für bestimmte Berufsgruppen, etwa in der Pflege beziehungsweise im Gesundheitswesen oder auch unter Lehrern, erachte ich schon als sinnvoll. Aber eine generelle Impfpflicht, und dann auch noch für Kinder, da sehe ich doch eher ein Fragezeichen, und da hätte ich auch Bedenken.
In den Kinderarztpraxen und in den Kinderkliniken sorgt ja auch gerade ein anderes Virus für viele Patienten: das RS-Virus. Was hat es damit auf sich?
Das RS-Virus gibt es schon seit eh und je. Es ist eigentlich ein normales Virus, das einen Teil des normalen Infektgeschehens im Winter ausmacht. Dass es dieses Jahr so eine Riesenwelle ist, liegt am Zeitpunkt. Normalerweise sehen wir im November die ersten Fälle, dieses Jahr hatten wir die schon im September. Das ist untypisch. Auch wir in der Praxis hatten mehrere Säuglinge, die wir mit einer richtig schweren Bronchitis ins Krankenhaus einweisen mussten. Die Krankheit ist eigentlich in erster Linie für Säuglinge und Frühchen gefährlich – aber man darf sie nicht unterschätzen.
Wie viel ist eigentlich aktuell in Ihrer Praxis los?
Es ist wirklich wahnsinnig viel. Seit Juni, also direkt nach den Pfingstferien, erleben wir eine Infektwelle, die rollt und rollt und rollt. Manche Kinder kommen wirklich von einem Infekt in den nächsten, die Eltern sind zum Teil auch verzweifelt. Wir arbeiten mehr als sonst. Manchmal ist der Kalender schon um 8.30 Uhr so voll, dass eigentlich kein weiteres krankes Kind mehr kommen kann. Das ist Wahnsinn.
Was können die Eltern denn tun, damit die Kinder ein bisschen besser über den Winter kommen?
Uns allen tut frische Luft gut, und natürlich sollte man auch auf eine gesunde und ausgewogene Ernährung achten.
Am Donnerstag wurden neue Maßnahmen beschlossen, irgendwie schweben Schul- und Kita-Schließungen immer wie ein Damoklesschwert über den Familien. Was ist, wenn dieser Schritt wieder gegangen wird?
Das darf nicht passieren. Aus Elternsicht empfinde ich Kinder in dieser Pandemie in vielerlei Hinsicht als die Opfer, und ich hoffe, dass die Eltern sich das nicht noch mal gefallen lassen. Ich bin der Meinung, dass es dann wirklich Krawall gibt. Ich hoffe da aber auf die Vernunft der Politiker. Aus fachlicher Sicht habe ich schon gesehen, dass die vielen Lockdowns was mit den Schülern gemacht haben. Es gibt viele, die da nicht gut durchgekommen sind, und einige, die wegen einer schweren Depression sogar in der Klinik behandelt werden musste. Auf die Gefahr hin, mich zu wiederholen: Dass wir Kindergärten und Schulen schließen, das darf nicht noch einmal passieren.



