Schönbrunn

Wie Corona das Leben von Pfarrerin Nadine Jung-Gleichmann verändert hat

Gesicht zeigen, auch wenn wir Masken tragen

06.10.2020 UPDATE: 07.10.2020 06:00 Uhr 3 Minuten, 52 Sekunden
„Mit Unsicherheit leben ist nicht einfach“: Pfarrerin Nadine Jung-Gleichmann reflektiert über Veränderungen durch Corona. Foto: jbd

Von Jutta Biener-Drews

Frau Jung-Gleichmann, was fällt Ihnen am Ende dieses Sommers zum Slogan "Gesicht zeigen" ein?

Ans Masken tragen haben wir uns wohl in den vergangenen Monaten gewöhnen müssen. "Masken zu tragen" gehört im tieferen Sinn ja viel länger und bestimmender zu unserem Leben und Alltag. Vielleicht sind diese Aspekte jetzt erst in dieser besonderen Zeit deutlich geworden, weil der Mund-Nasen-Schutz eben nur wenig vom Gesicht des anderen zeigt. Das Gesicht hinter den Masken, die eigentliche Person müssen wir oft suchen, entdecken oder wenigstens erahnen. Das ist uns jetzt durch die buchstäblichen Masken bewusster geworden.

Wie jetzt offensichtlich im Blick auf Corona dienen uns Masken ja oft zum Schutz – vor Gefahren oder Verletzungen. Dabei soll aber doch das Gesicht dahinter nicht verschwinden oder undeutlich werden. "Gesicht zeigen" – auch wenn wir äußerlich Masken tragen müssen. Zum "Gesicht zeigen" gehört für mich: Zuhören, offen und freundlich anderen begegnen, aber auch widersprechen, wenn in Verschwörungstheorien und Vorurteilen Menschen verurteilt und diskriminiert werden. Wer Gesicht zeigt, ist sich auch seiner Verantwortung bewusst, steht für etwas ein und versteckt sich eben nicht hinter anderen Meinungen und Gruppen. Ja, Masken tragen und Gesicht zeigen sind wirklich spannende Themen!

Hintergrund

Wie hat Corona in diesem Sommer Ihr Leben verändert, wollten wir zum Abschluss unserer Serie auch von der evangelischen Pfarrerin Nadine Jung-Gleichmann wissen. Sie ist seit 2010 in Schönbrunn für an die 1 600 Gemeindemitglieder in fünf

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Wie hat Corona in diesem Sommer Ihr Leben verändert, wollten wir zum Abschluss unserer Serie auch von der evangelischen Pfarrerin Nadine Jung-Gleichmann wissen. Sie ist seit 2010 in Schönbrunn für an die 1 600 Gemeindemitglieder in fünf Ortsteilen zuständig. Außerdem gibt sie acht Stunden Religionsunterricht an der örtlichen Grundschule. Die 44-Jährige ist verheiratet und Mutter zweier Söhne im Alter von sechs und 13 Jahren. Sie stammt aus Thüringen und ist in der Nähe von Sonneberg aufgewachsen. In ihrer Freizeit macht sie gern Musik, singt – am liebsten mit anderen im Chor – und leitet den Kirchenchor der Gemeinde. Außerdem liebt Nadine Jung-Gleichmann die Gartenarbeit, Lesen und Unternehmungen mit der Familie. (jbd) 

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Die sich jetzt noch verschärfende Masken- und Abstandspflicht hat in diesem Sommer unmittelbare Kontakte und spontane Nähe oft unmöglich gemacht. Wie erleben Sie das – und wie gehen Sie damit in ihrem persönlichen Umfeld um?

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Das stimmt. Vieles an spontaner Gemeinschaft war ja plötzlich gar nicht mehr möglich. Viele regelmäßigen Treffen mussten ausfallen, Gemeindegruppen mussten pausieren. Gemeindeleben – das ohne wirkliche Begegnungen kaum denkbar ist – war viel schwieriger. Besonders hart fand ich die Kontaktbeschränkungen für Senioren und kranke Menschen. Da hat es viel an Einsamkeit gegeben, und es ist viel Phantasie gefragt, wie wir trotzdem Gemeinschaft und Nähe schaffen können: Besuche im Vorgarten und mit Abstand, Gespräche über den Gartenzaun, Impulse und Grüße der Kirchengemeinde, die in den Orten verteilt worden sind.

Das waren keine einfachen Wochen, als wir für "scheinbar normale" Dinge neue Wege suchen mussten. Und doch zeigte sich auch, dass sich auch viele gute Wege haben finden lassen. Eine Hilfe waren auch die technischen Möglichkeiten, mit denen sich Distanzen überbrücken lassen konnten. Was jetzt bei schwierigerem Wetter im Herbst und Winter auf uns zukommen kann, wissen wir noch nicht. Es wäre gut, wenn wir gerade jetzt, trotz und mit Masken und Abständen, neu entdecken, einander wirklich zu sehen!

Kann man Ihren Beruf überhaupt ausüben, wenn man sich die Menschen buchstäblich vom Leibe halten muss? Wie geht das?

Für alle Berufe, die nah und eng mit Menschen zusammenarbeiten, ist diese Zeit eine echte Herausforderung. Und auch für Pfarrerinnen und Pfarrer ist Abstand halten und trotzdem mit Menschen in Kontakt stehen kompliziert, das stimmt. Ich denke, es kommt vor allem auf die Haltung zueinander an, die Menschen spüren. Da kann man mit äußerlichem Abstand auch innerlich verbunden und einander nah sein.

Mit den neuen Konfirmanden konnten wir wieder mit den regulären Konfirmandentreffen starten. Allerdings haben wir unsere Treffen in unseren größten Raum verlegt, die Schönbrunner Kirche. Das Konficamp mussten wir verschieben, hoffentlich auf den nächsten Sommer. Die festlichen Konfirmationsgottesdienste konnten nicht stattfinden. Jetzt im Oktober planen wir die Konfirmationen in mehreren Gottesdiensten in überschaubarer Runde.

Die Gottesdienste werden sicherlich einen anderen Charakter haben als sonst, werden aber vielleicht eine nicht weniger intensive Station auf dem Lebensweg der Jugendlichen sein. Auch für unsere Gottesdienst am Sonntag haben wir gute Konzepte gefunden. Unsere fünf Kirchen sind groß genug, sodass wir meistens noch Raum hätten. Es ist zwar schade, dass wir nicht wie gewohnt singen können. Aber Musik gibt es trotzdem in den Gottesdiensten.

Die Unsicherheit darüber, ob sich private oder berufliche Vorhaben überhaupt realisieren lassen, ist inzwischen fast schon normal. Können Sie dadurch bei sich und anderen Verhaltensänderungen festmachen?

Wir hoffen alle, dass das bald wieder anders wird. Mit Unsicherheit leben ist nicht einfach. In der Anfangszeit im Frühjahr gab es zwar auch dieses Unsicherheitsgefühl, aber mit der langen Dauer wird es schon belastender. Es wirkt sich bei uns stark aus zum Beipsiel bei den Konfirmationen, aber auch vielen Hochzeiten. Zeitweise war es sogar bei Beisetzungen schwierig; das ist belastend. Andererseits bin ich dankbar, dass die Krise bei uns noch relativ kontrolliert verläuft. Ich möchte nicht mit Frankreich, England oder USA tauschen! Wenn wir aus dieser Zeit mitnehmen, dass wir viel weniger mit unseren Plänen in der Hand haben, als wir manchmal denken, kann das ein Gewinn sein.

Und wo sehen Sie Entwicklungen, die Sie womöglich sogar begrüßen?

Die Pandemie hat auch die Kirche und die Kirchengemeinde noch einmal neu und anders auf die technischen Möglichkeiten der Vernetzung aufmerksam gemacht. Gut fände ich, wenn wir da dran bleiben könnten an der Nutzung von sozialen Netzwerken und der Vernetzung auch übers Internet. Auch für unsere Konfirmanden haben wir eine spezielle App, die wir zur Zeit gemeinsam ausprobieren.

Die letzten Monate haben auch gezeigt, dass Menschen – gerade in der Krise – zusammenstehen: Hilfe in der Nachbarschaft, mal ein spontaner Anruf und die Frage "Wie geht’s", einander im Blick haben. Das waren und sind gute Erfahrungen. Ich hoffe, dass viel davon erhalten bleibt. Diese Wochen, in denen wir ja auch schon Ideen sammeln für die nächsten Feste und wissen, dass einiges ganz anders sein wird als in den letzten Jahren, bieten ja auch die Chance, einmal ganz neue und andere Dinge auszuprobieren. Vielleicht ist dann manches dabei, was nicht nur in der Krise gut war, sondern auch bleiben wird.

Mit Grönemeyer gefragt: Was bleibt alles anders für Sie nach diesem Sommer?

Ein guter Satz. Diese Krisenerfahrung hat uns schon verändert. Wir wissen mehr, dass wir nicht alles bis zum letzten "ausreizen" können. Die Frage, was wirklich zählt und wo echte Sicherheiten sind, ist deutlicher geworden.

Manche Aufgeregtheit und Oberflächlichkeit verliert an Bedeutung. Und: Wir können kritische Zeiten gemeinsam bestehen, wenn wir nicht gegeneinander stehen, sondern zusammen. Gut wäre, wenn wir weiter verantwortlich miteinander umgehen und uns gleichzeitig dabei erinnern, dass es naiv wäre zu denken, wir selbst könnten steuern und sichern, wovon unser Leben abhängt.

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