Der Bedarf an Kinderärzten sieht in der Realität anders aus als auf dem Papier
Die Praxen sind voll. Was auf dem Papier super aussieht, ist im Praxisalltag manchmal kaum zu schaffen.

Von Stephanie Kern
Region Mosbach. Geht es nach der Kassenärztlichen Vereinigung Baden-Württemberg, ist die Versorgung mit Kinderärzten im Neckar-Odenwald-Kreis mehr als im Soll: 8,5 (ja, richtig gelesen) Kinder- und Jugendärzte sollte es im Kreis laut deren Bedarfsplanung geben. Es sind (laut Plan) sogar 9,75 Ärzte für die kleinen Patienten "vorhanden".
Soweit die Theorie, in der Praxis von Dr. Daniel Vater aus Schwarzach sieht man aber: Was auf dem Papier super aussieht, ist im Praxisalltag manchmal kaum zu schaffen. "Eines unserer großen Probleme ist der Weggang von Dr. Beck", sagt Vater. Nicht, dass er dem ehemaligen Neckarelzer Kinderarzt den Ruhestand nicht gönnt. Doch durch die Nicht-Nachbesetzung der Praxis wurde auch ein Kassensitz gesperrt. Vater selbst hat in seiner Praxis 1,75 Arztsitze und hat die Dreiviertel-Stelle auch mit einem angestellten Kinderarzt besetzt. "Weil der Bedarf so groß war, habe ich eine weitere Kinderärztin angestellt", erzählt Vater. Bezahlt hat er sie aus der eigenen Tasche, eine zusätzliche Vergütung gab es dafür nicht.
Man muss wissen, dass die Bedarfsplanung sich eigentlich gar nicht am "Bedarf" orientiert, sondern an der allgemeinen Verhältniszahl. Dass die KV eine Bedarfsplanung veröffentlicht, sei gesetzlich vorgegeben, erklärt Kai Sonntag, Pressesprecher der KV Baden-Württemberg. Anfang der 1990er-Jahre stiegen die Kosten für das Gesundheitssystem so stark an, dass sich die Bundesregierung überlegte, wie man die Beitragssätze stabil halten könnte. "Eine dieser Maßnahmen war, die Anzahl der Ärzte zu begrenzen." Heute hört sich das paradox an, doch damals rechnete man mit einer Ärzteschwemme für Deutschland. Als Ausgangszahl hat man die Anzahl der Ärzte aus dem Jahr 1990 genommen. Diese Zahl wurde inzwischen angepasst. "Aber nicht nach dem Bedarf, sondern nach der Frage, wie viele niedergelassene Ärzte mehr man sich als Land leisten kann", so Sonntag. "Deswegen haben wir die für die Patienten paradoxe Situation, dass bei den Kinder- und Jugendärzten ein Versorgungsgrad von 116 Prozent steht, sich aber gleichzeitig kein anderer Arzt niederlassen kann." Die Zahlen des Bedarfsplanes seien "mit allergrößter Vorsicht zu genießen", meint der Pressesprecher. Denn die Bedarfsplanung unterliege einer ganzen Reihe von "groben Mängeln" (Sonntag) und gebe "wenn überhaupt nur einen groben Überblick". Neben der Frage nach der Verhältniszahl steht auch die Abbildung des Tätigkeitsumfangs im Raum, die sei nämlich "nur rudimentär" gegeben.
Wie ...
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Von Stephanie Kern
Region Mosbach. Geht es nach der Kassenärztlichen Vereinigung Baden-Württemberg, ist die Versorgung mit Kinderärzten im Neckar-Odenwald-Kreis mehr als im Soll: 8,5 (ja, richtig gelesen) Kinder- und Jugendärzte sollte es im Kreis laut deren Bedarfsplanung geben. Es sind (laut Plan) sogar 9,75 Ärzte für die kleinen Patienten "vorhanden".
Soweit die Theorie, in der Praxis von Dr. Daniel Vater aus Schwarzach sieht man aber: Was auf dem Papier super aussieht, ist im Praxisalltag manchmal kaum zu schaffen. "Eines unserer großen Probleme ist der Weggang von Dr. Beck", sagt Vater. Nicht, dass er dem ehemaligen Neckarelzer Kinderarzt den Ruhestand nicht gönnt. Doch durch die Nicht-Nachbesetzung der Praxis wurde auch ein Kassensitz gesperrt. Vater selbst hat in seiner Praxis 1,75 Arztsitze und hat die Dreiviertel-Stelle auch mit einem angestellten Kinderarzt besetzt. "Weil der Bedarf so groß war, habe ich eine weitere Kinderärztin angestellt", erzählt Vater. Bezahlt hat er sie aus der eigenen Tasche, eine zusätzliche Vergütung gab es dafür nicht.
Man muss wissen, dass die Bedarfsplanung sich eigentlich gar nicht am "Bedarf" orientiert, sondern an der allgemeinen Verhältniszahl. Dass die KV eine Bedarfsplanung veröffentlicht, sei gesetzlich vorgegeben, erklärt Kai Sonntag, Pressesprecher der KV Baden-Württemberg. Anfang der 1990er-Jahre stiegen die Kosten für das Gesundheitssystem so stark an, dass sich die Bundesregierung überlegte, wie man die Beitragssätze stabil halten könnte. "Eine dieser Maßnahmen war, die Anzahl der Ärzte zu begrenzen." Heute hört sich das paradox an, doch damals rechnete man mit einer Ärzteschwemme für Deutschland. Als Ausgangszahl hat man die Anzahl der Ärzte aus dem Jahr 1990 genommen. Diese Zahl wurde inzwischen angepasst. "Aber nicht nach dem Bedarf, sondern nach der Frage, wie viele niedergelassene Ärzte mehr man sich als Land leisten kann", so Sonntag. "Deswegen haben wir die für die Patienten paradoxe Situation, dass bei den Kinder- und Jugendärzten ein Versorgungsgrad von 116 Prozent steht, sich aber gleichzeitig kein anderer Arzt niederlassen kann." Die Zahlen des Bedarfsplanes seien "mit allergrößter Vorsicht zu genießen", meint der Pressesprecher. Denn die Bedarfsplanung unterliege einer ganzen Reihe von "groben Mängeln" (Sonntag) und gebe "wenn überhaupt nur einen groben Überblick". Neben der Frage nach der Verhältniszahl steht auch die Abbildung des Tätigkeitsumfangs im Raum, die sei nämlich "nur rudimentär" gegeben.
Wie groß der Bedarf ist, wird im Gespräch mit dem Kinderarzt Vater schnell klar: Allein im ersten Quartal 2023 haben er und seine beiden Kollegen über 100 U3-Untersuchungen vorgenommen. Das heißt: 100 Säuglinge kamen zur ersten großen Untersuchung in die Praxis. "Und die kommen alle im nächsten Quartal wieder zur U4", meint Vater. Zudem habe man einen Großteil der Patienten von Wolfgang Beck übernommen. "Das ist nur machbar dank meiner Angestellten."
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Neben den hohen Patientenzahlen sind die Praxen auch oft mit Bürokratie belastet. "Die Dokumentationspflicht hat sich stark ausgeweitet." Und auch die Untersuchungen werden aufwendiger. Insgesamt gibt es zehn dieser Vorsorgeuntersuchungen für Kinder, die letzte ist die U9. Vergütet werden 20 Minuten, der reale Zeitaufwand liegt allerdings deutlich höher. "20 Minuten sind da einfach nicht realistisch."
Und dann war da noch dieser Winter, in dem RS-Virus und Influenza neben Corona grassierten. "So etwas habe ich noch nie erlebt", meint Vater. "Es war eine Kombination aus dem Zusammentreffen mehrerer Atemwegsinfekte und den zahlreichen Corona-Lockerungen. Das hat die Patientenzahlen explodieren lassen." Im Dezember waren es häufig mehr als 250 Patienten pro Tag. "Da waren wir alle wirklich sehr gefordert und erschöpft." Aktuell werde es etwas weniger. "Trotzdem ist noch sehr viel los."
Besonders aufreibend und aufwendig: Täglich habe er Säuglinge mit Atemnot an die Kinderklinik überwiesen – doch auch die waren überlastet, und so gab es für viele kein Bett und stattdessen die tägliche Kontrolle beim Kinderarzt. "Und das in einer Situation, in der noch nicht alle Beck-Patienten einen neuen Kinderarzt haben." Denn obwohl Vater keine Beck-Patienten mehr aufnimmt, werden sie natürlich im Akutfall behandelt und bekommen auch einen Impftermin, verspricht der Schwarzacher Arzt.
Und trotz der hohen Arbeitsbelastung fühlt sich Vater genau am richtigen Fleck: "Ich wollte schon immer niedergelassener Arzt werden." Den Schritt habe er noch keinen Tag bereut, denn man bekommt unheimlich viel zurück. "Ich finde es schön, Kinder in ihrer Kindheit zu begleiten, zu sehen, wie ein Kind sich entwickelt. Und da ist dann auch die stressige Zeit wieder gut auszublenden."
Auf ein Problem weist aber Kai Sonntag noch hin: "Nur wenn wir mehr Arztsitze haben, haben wir nicht automatisch mehr Ärzte." Am Ende fehlten eben auch die Mediziner, die sich niederlassen wollen, die die Versorgung der Patienten und Patientinnen gewährleisten. "Das Problem ist doch, dass bestehende Arztpraxen keinen Nachfolger finden."