Leser dürfen auf Teststrecke hinters Steuer einer Lokomotive
Die Sommertour führt diesmal hinter die Kulissen des Unternehmens Gmeinder.
Von Caspar Oesterreich
Mosbach. So viel Technik und Know-how in den Lokomotiven von Gmeinder auch steckt. Ohne eine einfache Halterung aus Blech in der Fahrerkabine dürfen die meisten der bis zu 90 Tonnen schweren Kraftpakete das Werk in Mosbach nicht verlassen. "Auch wenn heute eigentlich alles digital läuft – ein Platz für einen Fahrplan auf Papier mit Zuggewicht und Bremsweg ist immer noch Vorschrift im öffentlichen Bahnbetrieb", erklärte Werksleiter Michael Süßmann den Teilnehmenden der RNZ-Sommertour.
Fast 90 Abonnentinnen und Abonnenten hatten sich für den Besuch bei Gmeinder Lokomotiven beworben. 20 von ihnen traf das Losglück und bescherte ihnen einmalige Einblicke in das traditionsreiche, mittlerweile 111 Jahre alte Unternehmen.
Als sich die Sommertour’ler am Donnerstagnachmittag vor dem Haupteingang versammelten, verließen gerade die letzten Mitarbeiter das Werk. "Wir haben die Produktionshallen jetzt ganz für uns", begrüßte Süßmann die Besucher. Zu Beginn der Führung durften die erst einmal vor einem großen Flachbildschirm Platz nehmen. Anhand einer kurzen Präsentation ging Süßmann auf die Firmengeschichte ein.
1913 legten August Steinmetz und Anton Gmeinder den Grundstein für mittlerweile mehr als 5000 in Mosbach gefertigte Rangier- und Arbeitslokomotiven, Schmalspurloks und Sonderanfertigungen – immer öfter auch mit leistungsstarkem Hybrid- und E-Antrieb. Als die erste Diesellokomotive Deutschlands 1921 die Werkshalle verließ, war an die heutige Technik noch lange nicht zu denken. "Alle unsere Lokomotiven werden für den entsprechenden Einsatzbereich zugelassen, dürfen je nach Typ mit bis zu 100 Kilometern pro Stunde fahren", erklärte der Werksleiter den Zuhörenden.
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Dutzende Zertifikate über die Qualifikation der Mitarbeiter sowie umfangreiche Kontrollen ihrer Arbeit sein dafür von Nöten – von den Schweißnähten der Rahmen über die Kabelstränge in den Schaltschränken bis hin zur eingangs erwähnten Halterung für den analogen Fahrplan seien zahlreiche Vorschriften für die Zulassung zu beachten. "Ein großer Aufwand für unsere Einzelanfertigungen und Kleinstserien", so Süßmann.
Seit 2012 ist die Gmeinder Lokomotiven GmbH bei der Zagro Group eingegliedert. Die rund 80 festangestellten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Mosbach übernehmen nicht nur Konfiguration, Konstruktion und Fertigung der Lokomotiven exakt nach Kundenwunsch. Auch die Modernisierung seit Jahrzehnten etwa in Stahlwerken und Chemiekonzernen schuftender Zugmaschinen bieten die Experten an. "Für 2025 und 2026 sind die Auftragsbücher fast voll", berichtete der Werksleiter nicht ohne Stolz über die große Nachfrage nach der hohen Fertigungstiefe aus Mosbach.
Von der konnten sich die RNZ-Leser in den folgenden zwei Stunden intensiv überzeugen. Vom Materiallager aus führte Süßmann die Gäste zunächst zur Fertigungslinie für Kabinen und Koffer für jedwede Art von spezialisierten Schienenfahrzeugen – vom rein eklektischen E-Maxi bis hin zum umgerüsteten Unimog kann unter dem Dach der Zagro Group so gut wie jedes Vehikel mit ganz unterschiedlichen Aufbauten ausgestattet werden; Feuerwehren, Baufirmen, Industrieunternehmen und Verkehrsbetriebe konfigurieren sie haargenau nach ihren Bedürfnissen und Einsatzgebieten auf der Schiene.
Damals wie heute lautet das Credo von Gmeinder: Handarbeit. "Vom kleinen Steckerle bis zum fertigen Schaltschrank, vom Aufbau des Rahmens bis zur Lackierung der Lok – wir machen alles noch selbst", machte Süßmann in der Schweißerei deutlich. Anders gehe es aber auch nicht bei Einzelanfertigungen. An fast allen Arbeitsplätzen konnten die Sommertour’ler technische Zeichnungen mit Längenangaben, Winkeln und Materialstärke entdecken. "Die müssen hier echt was können", kommentierte ein Besucher.
Wie teuer denn eine neue Lokomotive sei, wollte ein RNZ-Leser wissen. Die Schätzungen der Gäste reichten von 60.000 bis 400.000 Euro. "Da sind Sie noch ziemlich weit entfernt", antworte Süßmann und nannte Kosten von "zwei Millionen Euro plus".
Das Schwergewicht, die DE 75 BB mit zwei Antrieben und einer Anzugskraft von 260.000 Newton, ist noch deutlich teurer – ein kleiner Kühlschrank für Getränke im Fahrerhaus immerhin inbegriffen. Vom Auftragseingang bis zur Auslieferung vergingen in der Regel 18 Monate, so Süßmann.
Dann stand auch schon das Highlight des Besuchs bei Gmeinder Lokomotiven an: Eine Testfahrt in einem 80 Tonnen schweren nigelnagelneuen Stahlkoloss, der sich dank Hybridantrieb ebenso emissions- wie geräuschlos über die Schienen bewegte. Bevor eine Lok das Werk in Mosbach verlassen darf, prüft Alexander Gebhardt das Gefährt zwei Wochen lang auf Herz und Nieren. "Ich habe jedes Mal ein Strahlen im Gesicht, wenn wieder eine Jungfernfahrt ansteht und ich die Lokomotive das erste Mal auf den Gleisen bewege", schwärmte der Inbetriebnehmer von seinem Beruf.
In drei Gruppen aufgeteilt nahm Gebhardt die Abonnentinnen und Abonnenten der Rhein-Neckar-Zeitung mit ins Führerhaus. Oben angekommen, erklärte der Prüfer den Anwesenden zunächst die Steuerung, zeigte auf diesen und jenen Knopf und bewegte ganz sachte zwei kurze Hebel, bevor sich die graue Lokomotive langsam in Bewegung setzte. Wie einfach das geht, das durften einige Sommertour’ler auf der Teststrecke dann auch selbst einmal ausprobieren. Als sie nach ein paar Minuten wieder von der Lokomotive herunterkletterten, war auch ihnen ein breites Grinsen ins Gesicht geschrieben.
Zum Abschluss der Tour warteten nicht nur Getränke auf die Gäste. Auch ein kleines Quiz mit elf Schätzfragen hatte Werksleiter Michael Süßmann noch vorbereitet. Wie flott der schnellste Zug auf Rädern fahren kann, wie viele Kilometer der längste Güterzug misst und in welcher Höhe die Tibet-Bahn verkehrt, mussten die RNZ-Leser erraten. Die besten drei wurden mit je einer Flasche Wein belohnt.