Mit Wissen gegen das Vergessen
Beim Aktionstag von KZ-Gedenkstätte und APG Neckarelz waren alle Klassen und Lehrkräfte des Gymnasiums involviert.

Von Pia Geimer
Neckarelz. Ein gemeinsamer Projekttag des Auguste-Pattberg-Gymnasiums (APG) mit der KZ-Gedenkstätte Neckarelz ist ein Novum in der Zusammenarbeit der beiden Institutionen, obwohl seit langer Zeit bereits eine enge Bildungspartnerschaft besteht. Geplant worden war der gemeinsame Aktionstag anlässlich des zehnjährigen Bestehens der ansprechend gestalteten Gedenkstätte an historischem Ort hinter der Clemens-Brentano-Grundschule in Neckarelz. Dort, wo sich zwischen 1944 und 1945 ein Konzentrationslager der Nazis befunden hat.
Dorothee Roos als Leiterin der KZ-Gedenkstätte ist es ein besonderes Anliegen, dass nach Möglichkeit alle Mosbacher Schüler und Schülerinnen Bescheid wissen sollten über diesen unbequemen Ausschnitt der deutschen Geschichte so nah vor der eigenen Haustür. Auch das APG bietet allen Klassen 9 oder 10 jeweils einen Besuch in der Gedenkstätte an. Um die bestehende Bildungspartnerschaft weiter zu festigen, war auf Initiative der Lehrkräfte Michelle König und Andreas Link ein gemeinsamer Thementag geplant worden, bei dem es einen Spendenlauf und eine Menschenkette zwischen Schule und Gedenkstätte geben sollte.
Dass durch den Ausbruch des Ukrainekrieges dieser Aktionstag und das gesamte Thema eine neue, bittere Aktualität erlangen würde, ahnte damals noch niemand. Aber seit dem gewaltsamen Überfall rücken Krieg und Hunger, Verschleppung, Vertreibung und Tod wieder ganz nah in den Fokus der Aufmerksamkeit. Mehr als 70 Jahre nach dem Ende der nationalsozialistischen Diktatur fordert erneut ein entfesselter Totalitarismus Zehntausende von Opfern, zerstören Größenwahn und Machtgier unzählige Existenzen. Diese Gegenwart und die Erkenntnis, dass so etwas mitten im 21. Jahrhundert möglich war, macht Angst und lässt uns auch die Vergangenheit in einem anderen Licht betrachten.
Die schweigende Menschenkette, die sich zum Auftakt des Projekttages kurz nach Schulbeginn vom APG am Elzweg entlang bis zur KZ-Gedenkstätte zog, galt also nicht nur dem stillen Gedenken an die Geschehnisse von 1944/45, sondern ebenso den Menschen, die gerade in der Ukraine um ihr Leben fürchten. Der Aktion hatten sich auch die Viertklässler der Clemens-Brentano-Grundschule mit ihrer Lehrerin Astrid Kirchesch und Rektorin Annette Schabbeck angeschlossen. Jeder Schüler trug dabei einen Zettel mit dem Namen und den Daten eines Häftlings aus dem KZ bei sich.
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Nachdem Schulleiter Dr. Thomas Pauer, der vom APG aus mit dem Fahrrad an der geschlossenen Menschenkette vorbeigefahren war, die Schweigeminute aufgehoben hatte, verteilten sich die Schülerinnen und Schüler mit ihren begleitenden Lehrkräften auf die unterschiedlichen Stationen: Einige Klassen wanderten weiter zum sogenannten Goldfischpfad, andere besuchten mit dem KZ verknüpfte Orte in Neckargerach, Waibstadt oder Binau. Eine Gruppe zog an der Elz entlang bis zur Johannes-Diakonie, einige Klassen widmeten sich der Besprechung von Büchern und Filmen zum Thema oder bekamen eine Führung in der Gedenkstätte selbst. Zeitgleich startete auf der "Tempelhausrunde" am APG ein Spendenlauf.
"Vergessene" Geschichte
Der Tag hatte für die APG-Schüler zur Einstimmung mit einer kurzen Ansprache durch Dorothee Roos begonnen, die eindrückliche Worte fand. Noch bis 1993 – bevor der Verein KZ-Gedenkstätte gegründet wurde – war in der Bevölkerung kaum bekannt, dass es in Neckarelz ein Konzentrationslager gegeben hatte. Man wusste, dass in der Schule ausländische "Fremdarbeiter" untergebracht waren, die im Gipsstollen in Obrigheim arbeiteten. Aber dass dort Häftlinge gequält, ausgehungert und sogar getötet wurden, konnte und wollte sich kaum jemand vorstellen. Mit einer berührenden Passage aus den Lebenserinnerungen des ehemaligen KZ-Häftlings Maurice Voutey, die Roos vorlas, machte sie deutlich, wie wichtig auch heute noch die Erinnerungskultur ist, wie schnell Spuren für immer verschwinden können und Wahrheiten vergessen werden, wenn sich niemand darum kümmert.
Greifbare Schicksale
Deutsche Geschichte zum Anfassen bietet das vor zehn Jahren neu eingerichtete Museum hinter der Neckarelzer Grundschule. In vier Räumen hat der Besucher Gelegenheit, auf Entdeckungstour zu gehen und nicht nur etwas über die Entstehungsgeschichte zu erfahren, sondern vor allem auch die menschlichen Schicksale hinter den Bildern und dort ausgestellten Gegenständen zu entdecken und auf sich wirken zu lassen. Für die Schüler, die den Projekttag direkt in der Gedenkstätte absolvierten, legte Roos den Schwerpunkt ihrer Führung auf das perfide Netzwerk der Ausbeutung, in das dieses KZ und andere seiner Art eingebunden waren.
Das ganze Ausmaß wird beim Blick auf das Kartenmaterial im Raum "Natzweiler am Neckar" deutlich: Die "Ostverschiebung" der von den Nazis betriebenen Konzentrationslager in Frankreich (z. B. Natzweiler im Elsaß) sorgte dafür, dass sich ab 1944 entlang des Neckars eine ganze Kette neuer Lager ausbreitete. Um kriegswichtige Produktionsstätten vor Luftangriffen zu schützen, verlegte man zudem ganze Fabriken in Stollen unter die Erde. So wurden im Obrigheimer Gipsstollen (Tarnname Goldfisch) jetzt Motoren für Kampfflugzeuge zusammengebaut – und dafür brauchte man die Zwangsarbeiter, die von den beiden Lagern Neckarelz I und II aus über die damalige Neckarbrücke und den "Goldfischpfad" zur Arbeit marschierten.
Die Ausstellung im Raum "Goldfisch" erinnert an die schwere Arbeit im Stollen, die viele der durch Hunger und Krankheiten geschwächten Häftlinge nicht lange durchhalten konnten. Das weniger bekannte Lager Neckarelz II befand sich auf dem heutigen Gelände der Firma Eisenguss in der Nähe des alten Bahnhofs 200 Meter weit entfernt von Lager I. Dass es existierte, belegen erhaltene Rapportbücher, die die Umverteilung von Häftlingen dokumentieren. Die Reste dieses Lagers II sind nicht mehr zu besichtigen, aber es stehen noch mehrere Baracken an derselben Stelle wie 1945 und auch ein paar Gleisreste der alten Bahnstrecke sind dort noch zu sehen. In den nächsten Jahren wird das Industriegelände aufgelöst und neu bebaut, dann werden diese allerletzten Spuren wohl für immer verschwinden.
Goldfischpfad und weitere Stationen
Am Projekttag waren Schülergruppen auch unterwegs zu den anderen mit der Gedenkstätte zusammenhängenden Orten in der Region: Der Goldfischpfad war der Arbeitsweg der Häftlinge von den Lagern hinüber zur unterirdischen Motorenfabrik "Goldfisch". In Guttenbach und Binau befand sich die SS-Kommandantur, der Fuhrpark in Neunkirchen. Kranke Häftlinge wurden ins Krankenlager Neckargerach oder gleich ins Sterbelager Vaihingen geschafft – einer der Gründe, warum es im Hauptarbeitslager Neckarelz vergleichsweise wenige Tote gab.
Trotzdem sind im Rapportbuch auch "Abgänge durch Tod" aufgelistet, die Leichen wurden auf dem verwaisten jüdischen Friedhof in Binau in Massengräbern verscharrt. Abgänge gab es auch in der Einrichtung, die heute die Johannes-Diakonie beherbergt. Dort waren zahlreiche Bewohner dem "Euthanasie-Programm" zum Opfer gefallen, mit dem die Nazis ihrer Ansicht nach "unwertes Leben" auszumerzen versuchten. Die aus Mosbach oder Schwarzach deportierten Opfer wurden mit Giftgas getötet und ihre Leichen in einem fahrbaren Krematorium verbrannt. Als Todesursache wurde im Totenschein lapidar "Nervenentzündung" vermerkt.

Spendenlauf "Tempelhausrunde"
Lebhafter Betrieb war während des gesamten Vormittages am Neckarufer zwischen APG und Tempelhaus zu verzeichnen: Je drei Klassen begaben sich gemeinsam auf den ausgewiesenen Rundkurs. Dabei galt es, in 30 Minuten eine möglichst weite Laufstrecke zu absolvieren. Die gelaufenen Kilometer wurden am Ende von betreuenden Lehrkräften vermerkt. Auch der hauseigene Schulsanitätsdienst des APG war an der Strecke, um bei kleinen Blessuren schnell Erste Hilfe leisten zu können. Ob die von den Schülern erlaufenen Sponsorenbeträge wie geplant zugunsten der KZ-Gedenkstätte verwendet oder den Menschen in der Ukraine gespendet werden, soll nun gemeinsam entschieden werden.