Wirte sehen keine echte Perspektive in Öffnungsplänen
"Wenn wir einmal öffnen, müssen wir auch offen bleiben" - Schon das Wetter sorgt für Ungewissheit

Von Caspar Oesterreich
Neckar-Odenwald-Kreis. Beginnt in knapp zwei Wochen die Rückkehr zur Normalität? Angesichts leicht sinkender Infektionszahlen macht die Landesregierung immerhin Hoffnung auf Lockerungen in den Pfingstferien. Liegt die Sieben-Tage-Inzidenz mehrere Tage in Folge unter 100, könne es unter anderem Möglichkeiten für Außengastronomie und Hotellerie geben, erklärte Sozialminister Manne Lucha am vergangenen Dienstag. Nach mehr als sechs Monaten im Lockdown endlich ein Lichtblick für die Branche, könnte man vermuten. Doch die Euphorie hält sich in Grenzen, wie Gastronomen und Hoteliers aus dem Neckar-Odenwald-Kreis im Gespräch mit der Rhein-Neckar-Zeitung berichten.
Seit dem 2. November sind Restaurants und Hotels weitgehend geschlossen. Abgesehen von ein paar verkauften Speisen zum Liefern oder Mitnehmen und den wenigen Geschäftsreisenden, die sich in den Odenwald verirren, blieb der Umsatz ein halbes Jahr lang aus. Gleichzeitig ließen November- und Dezemberhilfe sowie die nachfolgenden Überbrückungshilfen teils mehrere Monate auf sich warten – sofern sie überhaupt schon angekommen sind.
"Wir sind natürlich froh um jede Perspektive, die man uns gibt, anstatt uns wie bisher in Gänze zu ignorieren", sagt Bernadette Martini, Inhaberin der Mosbacher Gaststätte Lamm, zu den vorsichtig angekündigten Lockerungen. Mit den Unterstützungsleistungen klappe es mittlerweile zwar besser und sie sei froh, im Vergleich zu anderen europäischen Ländern in Deutschland überhaupt einen Anspruch darauf zu haben. "Die neuen Öffnungspläne allerdings sehe ich mit sehr hohen Risiken verbunden", gibt die stellvertretende Dehoga-Vorsitzende im Neckar-Odenwald-Kreis zu bedenken.
"Im Freien ist das Ansteckungsrisiko im Faktor 20 geringer. Wenn man das noch mal verbindet mit einer entsprechenden Teststrategie, mit der Vorlage des Impfausweises, wenn man voll geimpft ist, dann kann man da schon Schritte in diese Richtung machen", begründete Ministerpräsident Winfried Kretschmann die bei niedriger Inzidenz anvisierte Öffnung etwa von Biergärten und Hotelbereichen. "Wie da die Kontrolle ablaufen soll, kann ich mir nicht vorstellen", erwidert Martini.
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Ihre Mitarbeiter könnten das jedenfalls nicht leisten: "Es gibt Dutzende verschiedene Bescheinigungen, jeder, der testen darf, kann eine ausstellen. Wie sollen meine Angestellten da eine Fälschung erkennen?" Eine digitale Lösung ähnlich der Luca-App, die zur Nachverfolgung der Kontakte genutzt wird, sei deshalb "wahrscheinlich unabdingbar".
Tanja Littig, Geschäftsführerin des Mosbacher Amtsstübles, könnte sich vorstellen, selbst Corona-Tests anzubieten. "Die Kosten müssten aber die Gäste tragen, ab einem bestimmten Bestellwert könnte man den Betrag dann wieder verrechnen", überlegt sie sich schon Marketingstrategien. Gleichzeitig befürchtet sie aber, dass gerade Stammkunden, die sonst regelmäßig das Mittagsangebot nutzen würden, vor täglichen Tests zurückschrecken könnten.
Angelika Wagner, Inhaberin vom Landhaus Remise in Schwarzach, ist generell noch skeptisch, "ob ich an Pfingsten direkt öffne, sofern es dann wirklich erlaubt ist". Schließlich sei bisher nur ein Teil ihrer Belegschaft geimpft. "Die Gesundheit geht immer vor. Und außerdem kann ich nicht von meinen Kunden verlangen, geimpft zu sein, wenn ich es selbst noch nicht bin", erklärt sie. Unklar sei außerdem, wie mit einer Familie umzugehen sei, bei denen die Eltern geimpft, die Kinder jedoch noch nicht immunisiert sind. "Ich bin mir noch nicht sicher, ob wir bei den ganzen Ungewissheiten wirklich schon soweit sind, wieder zu öffnen", sieht Götz Grundmeier, Geschäftsführer des Sockenbacher Hofs in Strümpfelbrunn, noch deutlichen Nachholbedarf in der Detailplanung.
Unwägbarkeiten bereitet auch das Thema Wetter: "Wenn wir zunächst nur die Außengastronomie öffnen dürfen und dann plötzlich ein Gewitter aufzieht, muss ich die Gäste im Regen stehen lassen", gibt Littig zu bedenken. "Den Betrieb hochfahren, um dann nur vom Wetter abhängig zu sein, ist keine wahre Perspektive", sagt Grundmeier. "Wenn wir öffnen, müssen wir auch offen bleiben, bei Regen genauso wie bei einem erneuten Anstieg der Inzidenz über 100."
Eine Aussage, die alle Gastronomen zur Sprache bringen. "Erst zu öffnen und dann eine Woche später wieder schließen zu müssen, wie es bei den Schulen mit der Bundesnotbremse der Fall war, wäre die absolute Katastrophe für uns", macht Martini klar. "Ein Super-GAU für die gesamte Branche", sagt Littig. "Schließlich würden dann nicht nur wir auf den Lebensmitteln in den Speisekammern sitzen bleiben, auch unsere Lieferanten hätten plötzlich große Probleme."
Das baden-württembergische Sozialministerium teilte auf RNZ-Anfrage mit: "Vor dem Hintergrund des aktuellen Pandemiegeschehens ist auf die bundeseinheitliche Notbremse bei Inzidenzen über 100 und die damit verbundene Einschränkungen hinzuweisen. Ziel muss sein, das Infektionsgeschehen einzudämmen sowie die Infektionszahlen und die hohe Auslastung der intensivmedizinischen Kapazitäten zu senken." Weitere Details werde man im Laufe der kommenden Woche bekannt geben. Gespräche "mit relevanten Akteuren zu einem Arbeitspapier mit Eckpunkten zu Öffnungsschritten" habe es bereits gegeben.
"Wir brauchen mindestens eine, besser zwei Wochen Vorlaufzeit, bevor wir wieder öffnen können", betont Martini. Um die Warenlager zu füllen und auch alle Mitarbeiter in Kurzarbeit sowie die Aushilfskräfte wieder zusammenzutrommeln. "Der Fachkräftemangel stellte die Branche schon in der Vergangenheit schon vor Probleme. Durch die Coronapandemie hat sich der Personalmangel in vielen Betrieben noch einmal zugespitzt", gibt sie zu bedenken.



