Legales Cannabis - gute oder schlechte Idee?
Was Gesundheitsamt, Polizei, Staatsanwaltschaft, Landgericht und Suchtberatung zum Plan der Ampel-Koalition sagen.

Von Caspar Oesterreich
Neckar-Odenwald-Kreis. Den illegalen Drogenhandel zurückdrängen, gleichzeitig von neuen Steuern profitieren und die Jugend besser schützen. Das wollen SPD, Grüne und FDP mit der Legalisierung von Cannabis erreichen. "Wir führen die kontrollierte Abgabe von Cannabis an Erwachsene zu Genusszwecken in lizenzierten Geschäften ein. Dadurch wird die Qualität kontrolliert, die Weitergabe verunreinigter Substanzen verhindert und der Jugendschutz gewährleistet", heißt es im Koalitionsvertrag. Die RNZ hat im Neckar-Odenwald-Kreis beim Gesundheitsamt, der Polizei, der Staatsanwaltschaft, im Landgericht und bei der Suchtberatung nachgefragt, wie sie die geplante Legalisierung beurteilen.
Hintergrund
Eine Abhängigkeit wird gemäß der WHO anhand von sechs Kriterien definiert. Werden mindestens drei Punkte über den Zeitraum eines Jahres erfüllt, gilt man als abhängig.
> Starker Wunsch und/oder Zwang, zu konsumieren;
> verminderte Kontrollfähigkeit (bzgl.
Eine Abhängigkeit wird gemäß der WHO anhand von sechs Kriterien definiert. Werden mindestens drei Punkte über den Zeitraum eines Jahres erfüllt, gilt man als abhängig.
> Starker Wunsch und/oder Zwang, zu konsumieren;
> verminderte Kontrollfähigkeit (bzgl. Beginns, Menge und/oder Beendigung der Einnahme);
> körperliche Entzugssymptome;
> Toleranzentwicklung (Wirkverlust bzw. Dosissteigerung);
> erhöhter Zeitaufwand und Vernachlässigung anderer Vergnügungen zugunsten des Substanzkonsums;
> fortgesetzter Konsum trotz eintretender Folgeschäden.
Die Suchtberatung in Mosbach mit Außenstelle in Buchen ist unter Tel.: (0 62 61) 86 71 40 und per E-Mail an info@suchtberatung-nok.de erreichbar. Weitere Infos unter www.suchtberatung-nok.de. (cao)
Gesundheitsamt: "Die voraussichtliche Cannabis-Legalisierung ist eine politische Entscheidung, die weit oberhalb der Ebene der Gesundheitsämter entschieden wurde", erklärt Dr. Martina Teinert. "Aus meiner persönlichen Erfahrung als Medizinerin stehe ich solchen Überlegungen skeptisch gegenüber", betont die Leiterin des Gesundheitsamtes. Denn Cannabis sei ein Rauschmittel, das gerade bei Jugendlichen zu erheblichen Gesundheitsproblemen und sozialen Konflikten führen könne. "Junges Alter bei Cannabiskonsum und Stress werden als signifikante Risikofaktoren für pharmakologische Effekte und psychopathologische Entwicklungen mit Entstehung von psychischen Erkrankungen diskutiert." Eine Freigabe von Cannabis würde aus Teinerts Sicht neue Konsumentenschichten erschließen und die Hemmschwelle zum Kauf senken.
Polizei: Eine Einschätzung zu einer Rechtsgrundlage, die es noch nicht gibt und von der noch kaum Details bekannt sind, werde man als regionales Polizeipräsidium aktuell nicht geben, teilt Carsten Diemer, Pressesprecher des Polizeipräsidiums Heilbronn, auf RNZ-Anfrage mit. Es gelte abzuwarten, ob durch die Legalisierung von Cannabis auch weitere Neuerungen folgen, etwa bei Drogenkontrollen im Straßenverkehr der Grenzwert von THC (der berauschende Wirkstoff in Cannabis-Blüten) im Blut angepasst wird. Denn wer beispielsweise am Samstag einen Joint raucht, sich am darauffolgenden Dienstag ohne jegliche Rauscherscheinungen ans Steuer setzt und kontrolliert wird, bewegt sich nach der aktuellen Rechtslage auf sehr dünnem Eis: Ein Nanogramm THC pro Milliliter Blut reicht für den Entzug der Fahrerlaubnis bereits aus. Bei unseren Nachbarn in der Schweiz ist der Grenzwert dreimal so hoch.
Im Landkreis wurden im vergangenen Jahr 63 Fahrer, die unter Drogeneinfluss unterwegs waren, von der Polizei erfasst (2019: 80, 2018: 106 und 2017: 79). "In schätzungsweise 80 Prozent der Fälle handelte es sich dabei um Cannabis", erklärt Diemer. Die Statistik sei aber immer abhängig von der Kontrollintensität, und auch die Lockdowns mit Ausgangssperren spielten im vergangenen Jahr eine Rolle, so der Polizeisprecher. Bei den Unfällen unter Drogeneinfluss wurden 2020 zehn Fälle registriert, in den beiden Jahren davor waren es jeweils sechs, 2017 drei. Überdies weist die Statistik im gesamten Verantwortungsbereich des Polizeipräsidiums Heilbronn 2020 insgesamt 1487 Rauschgiftdelikte mit Cannabis aus, 2019 waren es 1528, 2018 in der Summe 1497 und im Jahr davor 1372 Fälle.
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Staatsanwaltschaft: Die Fallzahlen der Betäubungsmittel-Delikte wegen Cannabis seien bei der Mosbacher Staatsanwaltschaft "unverändert hoch und dürften etwa 75 bis 80 Prozent der gesamten BtM-Delikte ausmachen", berichtet Erster Staatsanwalt Florian Sommer. "Bei etwa 120 bis 130 monatlichen Neueingängen im BtM-Bereich werden regelmäßig etwa 20 wegen Geringfügigkeit eingestellt. Der auf die Einstellungen wegen Geringfügigkeit entfallende Arbeitsaufwand ist verschwindend gering."
Eine Bewertungen der Sinnhaftigkeit zukünftiger Gesetzgebungsvorhaben stehe der Staatsanwaltschaft nicht an, so Sommer. "Insgesamt lässt sich sagen, dass die nunmehr im Koalitionsvertrag vorgesehenen Änderungen insbesondere Auswirkungen im Bereich der sogenannten Kleinkriminalität haben dürften, die bereits jetzt weder quantitativ noch qualitativ den Schwerpunkt unserer Arbeit bildet. Erhebliche Entlastungen der Strafverfolgungsorgane dürften daher nicht zu erwarten sein."
Landgericht: Die Formulierung im Koalitionsvertrag lege nahe, dass nur der Erwerb von Cannabis zum Eigenkonsum legalisiert werden soll, wohingegen etwa Handeltreiben und die sonstige Veräußerung, Einfuhr und Anbau strafbar bleiben dürften, erklärt Katja Heim, Vorsitzende Richterin am Mosbacher Landgericht. Für Jugendliche solle der Konsum weiterhin verboten bleiben. "Ausgehend davon dürfte die beabsichtigte Neuregelung voraussichtlich nicht zu einer wesentlichen Entlastung der Strafgerichte führen." Denn Strafverfahren, die allein den Erwerb von Cannabis zum Eigenkonsum durch Erwachsene zum Gegenstand haben, "machen beim Amtsgericht Mosbach nur ungefähr zwei Prozent aller Strafverfahren aus. Beim Landgericht Mosbach würden wahrscheinlich gar keine Strafverfahren wegfallen."
Richter seien stets dem geltenden Gesetz unterworfen und zur Unabhängigkeit verpflichtet. Die Frage, ob eine Legalisierung aus Sicht der Justiz sinnvoll wäre, kann Heim deshalb nicht pauschal beantworten. Da die Einzelheiten der Umsetzung noch nicht feststehen, könnten die Auswirkungen auf das Amts- und Landgericht noch nicht verlässlich abgeschätzt werden. "Aus dem Kollegenkreis wird lediglich auf die Gesundheits- und Suchtgefahren, auch für Erwachsene, hingewiesen. Zudem wird angemerkt, dass sich Cannabis – wie Strafverfahren in der Vergangenheit gezeigt haben – häufig als Einstiegsdroge in die Betäubungsmittelszene erwiesen hat." Ob der illegale Drogenhandel durch die geplante Neuregelung zurückgedrängt werden kann, bleibe abzuwarten.
Suchtberatung: Dr. Martina Kirsch begrüßt eine Entkriminalisierung von Cannabis-Konsumenten und den kontrollierten Verkauf. "Ich denke, dass sich dann viel besser Präventionsarbeit betreiben lässt", sagt die Leiterin der Suchtberatungsstellen im Neckar-Odenwald-Kreis. Als sinnvoll würde sie eine ähnliche Regelung wie in Casinos und Spielhallen betrachten. Dort müssen Informationen zu Sucht und Beratungsangeboten ausliegen. "Von den zusätzlichen Steuereinnahmen sollte auch die Präventionsarbeit profitieren."
Wer kiffen wolle, könne sich schon heute mit geringem Aufwand quasi in jeder Stadt, in jeder Gemeinde Cannabis besorgen. "Wie viel THC und CBD – und auch andere Substanzen – dann da drin sind, weiß aber niemand." Ein kontrollierter Verkauf würde dagegen Klarheit in Sachen Qualität schaffen. Wichtig sei, dass auch der gewerbliche Anbau von Cannabis erlaubt werde. "Sonst bekommen wir dieselben Probleme wie in den Niederlanden. Dort müssen sich die Coffeeshop-Betreiber das Cannabis illegal besorgen und das kriminelle Umfeld bleibt bestehen", betont Kirsch. Um den illegalen Drogenhandel zu verhindern, dürfe auch der Preis für die Konsumenten nicht wesentlich höher als auf dem Schwarzmarkt sein.
Befürworten würde Kirsch den kontrollierten Verkauf von Cannabis an Personen ab 21 Jahren, nicht ab 18. "In diesem Alter ist das Gehirn noch wahnsinnig vulnerabel. Wer da psychotrope Substanzen, auch Alkohol, konsumiert, kann schnell negative Langzeitfolgen – vom Konzentrationsverlust über Aufmerksamkeitsdefizite bis hin zu Psychosen – bekommen", erklärt die Diplom-Psychologin. Mit der Legalisierung sollten Begleitforschungen einhergehen, ob die bessere Verfügbarkeit zu mehr Konsumenten respektive Süchtigen führt.
Laut Koalitionsvertrag soll das neue Gesetz – das es noch zu schreiben gilt – nach vier Jahren evaluieren und auf die gesellschaftlichen Auswirkungen hin überprüft werden.