Die Erschütterung ist zu spüren
Auch im Kreis werden der Missbrauchsskandal und die Aussagen des emeritierten Papstes wahrgenommen und kritisiert.

Von Stephanie Kern
Neckar-Odenwald-Kreis. Seit 63 Jahren ist sie in der Kirche aktiv. Ihren Namen möchte sie in diesem Zusammenhang lieber nicht veröffentlicht sehen, aber: Der Missbrauchsskandal in der katholischen Kirche erschüttert auch sie. "Was in Rom passiert, das ist unmöglich", findet die Dame, sie sich in einer katholischen Kirchengemeinde im Kreis engagiert, deutliche Worte. Trotzdem wird sie ihrer Kirche treu bleiben, wird sich weiter einsetzen, sich ehrenamtlich engagieren. Und vor allem: nicht austreten.
Diese Einstellung haben längst nicht mehr alle Mitglieder der Kirchen. Die Stadt Buchen meldet für den Januar 2022 bereits 19 Austritte. Davon betrafen 17 die katholische und zwei die evangelische Kirche. In den Jahren 2019, 2020 und 2021 gab es im Januar jeweils nur neun Austritte. In der Stadt Mosbach waren es im Januar 2021 noch 20 Kirchenaustritte – in diesem Jahr im Monat Januar 43. In der Wallfahrtsstadt Walldürn waren es im Januar 22 zwölf Austritte (zehn davon aus der katholischen Kirche), im Januar 2021 waren es noch acht (sechs davon betrafen die katholische Kirche).
Johannes Balbach, Dekan im katholischen Dekanat Mosbach-Buchen, findet ebenfalls klare Worte: "Es erschreckt mich, dass solcher Missbrauch im Raum Kirche überhaupt möglich ist." Dass Täter der Strafverfolgung übergeben werden, für ihn gehört das dazu. "Ich kann es nicht dulden und akzeptieren, dass so etwas nicht konsequent aufgearbeitet wird." Egal ob von einem Bischof, einem Papst, einem Pfarrer oder einem Gemeindemitarbeiter erwarte Balbach, dass man die Wahrheit sage und dazu stehe, wenn falsche Entscheidungen getroffen wurden. "Dieser unheimliche Missbrauch des Vertrauens, der muss aufgearbeitet werden. Die Seelen dieser Menschen sind verletzt, da müssen wir hinschauen", bekräftigt Balbach.
Ein Stück weit kann er sogar die Menschen verstehen, die nun mit ihrem Austritt ein Zeichen setzen wollen. "Denn die Erschütterung, der Ärger, das Betroffensein, das geht mir ganz genauso." Nichtsdestotrotz sei die Kirche auch schon Schritte gegangen. Im Dekanat wie auch in der Seelsorgeeinheit Buchen (und vielen weiteren) gebe es Schutzkonzepte. Einerseits, damit es nicht zum Missbrauch kommt, andererseits aber auch, damit Missbrauch angezeigt wird. Außerdem sei in naher Zukunft ein Missbrauchsgutachten der Erzdiözese Freiburg zu erwarten. Auch dieses sei von einer unabhängigen Kommission erstellt worden. "Vielleicht ist das, was angestoßen wurde, noch zu wenig. Wir sind uns unserer Verantwortung bewusst und sind auf einem guten Weg", verspricht Balbach.
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Eine aktuelle "Flut" an Austritten kann Dekan Folkhard Krall, er leitet den evangelischen Kirchenbezirk Mosbach, nicht feststellen. Er glaubt aber, dass der aktuelle Skandal der katholischen Kirche – und vor allem der Umgang damit – auch der evangelischen Kirche schadet. Übertrittsgespräche gebe es weniger, als man erwarten würde, meint Krall. "Viele Menschen kennen ihre Kirche seit Jahren und sind ihr auch verbunden. Die Bezüge zu den Menschen hinter der Institution, die sind stärker und auch wichtiger als die Machtfragen in Rom", so Krall. Der Missbrauch und die schleppende Aufklärung sind für den evangelischen Dekan "eine Katastrophe für das Religiöse in der Welt". Immer mehr Menschen, die sich auf eine spirituelle Suche machten, fänden Zuflucht im Buddhismus. "Diese Einheit aus Leben und Botschaft, die der Dalai Lama verkörpert, das hatten die Päpste der frühen Neuzeit auch", ist Krall überzeugt. "Ein Stück weit war das auch bei Benedikt so. Wenn dann so eine moralische Schwäche herauskommt, ist das erschütternd."
Diesen Schlag spüre man unabhängig von der Konfession und auch der Funktion in einer Kirche. "Jeder erleidet diesen Schmerz, denn es geht etwas kaputt." Auch in der evangelischen Kirche müsse man sich bewusst sein, dass man intensiv hinschauen muss – erst recht beim Thema Missbrauch. Die neue EKD-Ratsvorsitzende Annette Kurschus hat das Thema, die Aufarbeitung und auch die Versöhnung mit den Opfern zur Chefinnensache gemacht. "Das zeigt, dass es ein Problem ist – und das sollte es 2022 nicht mehr sein. Die Zuwendung zu denen, die Leid erfahren haben, muss besser werden."
Ihre eigenen Kinder hat die Ehrenamtliche aus dem Kreis immer in der Kirchenarbeit gut versorgt und aufgehoben gewusst. "Man muss es trennen. Und man muss auch das Gute herausheben." Ohne Kirche, da ist sie sich sicher, "ist alles nichts".



