Inklusive Experten geben exklusive Seminare
Daudenzellerin wird "Bildungsbeauftragte in eigener Sache" - Ministerium finanziert Anstellung von Menschen mit Behinderung

Von Noemi Girgla
Mosbach/Heidelberg. Für Anna Neff und ihre fünf zukünftigen Kollegen erfüllt sich ein Traum. Erstmals sollen Menschen mit geistiger Behinderung in Deutschland Mitarbeitende einer Hochschule werden. Seit 2017 nehmen Neff und fünf Männer zwischen 23 und 52 Jahren an einer dual aufgebauten Qualifizierung teil, die sie auf ihren späteren Beruf als "Bildungsfachkraft" an einer Hochschule vorbereitet. Initiiert wurde das Projekt "Inklusive Bildung Baden-Württemberg" von der Fachschule für Sozialwesen der Johannes-Diakonie Mosbach. Vorbild und Kooperationspartner ist das Institut für Inklusive Bildung in Kiel, auf das Projektleiter Stephan Friebe aufmerksam wurde. Aus dem ursprünglich kleiner gedachten Projekt für eine Fachschule wollte er ein großes für Baden-Württemberg machen. Und das gelang.
Als Kooperationspartner auf Hochschulebene konnten für das Vorhaben die Pädagogische Hochschule (PH) Heidelberg sowie die Evangelische Hochschule Ludwigsburg gewonnen werden. Dank der Unterstützung der Dieter-Schwarz-Stiftung war die Umsetzung auch finanziell gesichert. "Dass das Projekt nicht dauerhaft privatwirtschaftlich getragen werden konnte, stand von Anfang an fest", erzählt Projektkoordinatorin Nina Rudolph. "Aber die richtigen Personen an den richtigen Stellen haben das Konzept verstanden und sich dafür eingesetzt." Damit meint sie auf Landesebene in erster Linie Stephanie Aeffner, Landesbehinderten-Beauftragte beim Ministerium für Soziales und Integration Baden-Württemberg, und Wissenschaftsministerin Theresia Bauer. Aber auch ein breites Netzwerk von Akteuren bei den Kommunen, in der Verwaltung und bei Verbänden habe das Unterfangen begleitet und unterstützt.
Seit Kurzem steht fest, dass im Doppelhaushalt 2020/21 im Etat des Wissenschaftsministeriums 528.000 Euro für die "Inklusive Bildung Baden-Württemberg" vorhanden sind. "Nun können sechs neue Stellen geschaffen werden", erklärt Rudolph. Derzeit sind die künftigen Bildungsfachkräfte noch bei Werkstätten für Menschen mit Behinderung in Heidelberg, Mosbach, Wiesloch und Mannheim angestellt. Ihre Vollzeitqualifizierung gilt als Außenarbeitsplatz. Wenn sie Ende Oktober ihre Ausbildung mit einer Prüfung abschließen, werden sie auf unbefristete Arbeitsplätze in den tertiären Bildungssektor wechseln – das gab es in Deutschland noch nie zuvor.
Anna Neff wurde auf das Projekt aufmerksam, als Stephan Friebe es in der Werkstatt in Schwarzach vorstellte. "So was wollte ich schon immer machen", erzählt die 30-Jährige. "Ich bin wegen meiner Behinderung oft fertiggemacht worden und auch heute noch werde ich manchmal komisch angeschaut, wenn ich mit meiner Mutter einkaufen gehe." Offen spreche sie in den Seminaren, die sie bereits gibt und begleitend lernt, sich selbst darauf vorzubereiten, über ihre Behinderung und ihre persönlichen Erlebnisse. Eine einmalige Chance für die Seminarteilnehmer, das Erlebte, für Neff Alltägliche aus erster Hand zu erfahren.
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Viele hätten ihr nicht zugetraut, dass sie die dreijährige Qualifizierung zur Bildungsfachkraft durchhält, rekapituliert Anna Neff. Die seien jetzt positiv überrascht, wie viel selbstständiger und vor allem auch selbstbewusster sie geworden sei. Täglich pendelt die Daudenzellerin nach Heidelberg an die Graf-von-Galen-Schule, um an den dort stattfindenden Unterrichtseinheiten teilzunehmen. Wenn sie nach Hause kommt, stehe ihre neunjährige Tochter im Mittelpunkt, berichtet sie. Die sei natürlich mächtig stolz auf ihre Mutter. Unterstützung und Rückhalt findet sie bei ihren Eltern, bei denen sie wohnt.
Auf ihre neue Tätigkeit ist Neff schon gespannt. Jeweils im Tandem und mit einer Assistenz werden sie und die anderen Bildungsfachkräfte dann Seminare und Vorlesungen "in eigener Sache" halten. Zielgruppe seien vorwiegend Lehramtsstudierende und Menschen, die in sozialen Berufen arbeiten werden. Aber auch aus öffentlichen Verwaltungen seinen bereits Anfragen gestellt worden, berichtet Nina Rudolph. "Das ,Zentrum für Inklusive Bildung‘ soll an der PH Heidelberg gegründet werden, die Begehung vor Ort steht kurz bevor", berichtet sie. Der Einsatz der Bildungsfachkräfte sei aber nicht auf Heidelberg beschränkt, sondern – unter Berücksichtigung der Kapazitäten – auch offen für andere Hochschulen.
Auf die Frage, was Anna Neff als wichtigsten Bestandteil aus den drei Jahren mitnehme, antwortet sie selbstbewusst: "Dass ich Seminare geben und meine Erfahrungen weitergeben darf. Denn Inklusion bedeutet, dass keiner ausgeschlossen oder diskriminiert wird und alle teilnehmen dürfen."