Was tun gegen das Insektensterben?
Jochen Goedecke vom NABU referierte über ein brisantes Thema - Naturschützer und Landwirte im Dialog

Um dem Insektenschwund entgegenzuwirken, kann man vielfältig aktiv werden.
Von Peter Lahr
Mosbach. "Das Thema hat’s in sich", begrüßte der Mosbacher Naturschutzbund-Vorsitzende (Nabu) Peter Baust am Dienstagabend rund 80 Gäste zu einem Fachvortrag über das "Insektensterben in Deutschland". Als Referenten hatte man mit Jochen Goedecke nicht nur einen studierten Biologen, sondern auch einen Mann, der 15 Jahre im Bereich der Landwirtschaft gearbeitet hatte, bevor er nun als landesweiter Nabu-Referent für Landwirtschaft wirkt, eingeladen. Folgerichtig entwickelte sich an diesem Abend ein vielfältiger Dialog zwischen Naturschützern und Landwirten. Aktuelle Zahlen aus der Region steuerte Andreas Sigmund bei, Geschäftsführer des Kreisbauernverbands.
Drei große Erkenntnisse brachte die detailliert ausgearbeitete Präsentation. Erstens: Beim Insektenschwund handelt es sich um eine europaweit nachgewiesene Tendenz, die sich nicht zuletzt anhand der "Roten Liste gefährdeter Arten" belegen lasse. Zweitens: Die Ursachen sind vielfältig. Allein 14 mögliche benannte Goedecke. Drittens: Die Vielfalt möglicher Gründe verlangt nach ebenso vielfältigen Gegenmaßnahmen.
"Insekten sind die artenreichste Klasse des gesamten Tierreichs", erläuterte Jochen Goedecke. Weltweit bekannt sei etwa eine Million Insektenarten, davon kämen in Mitteleuropa/Deutschland 40.000 vor. Den aktuellen Schwund belege nicht nur die subjektive Wahrnehmung am Autofenster während einer Autobahnfahrt. "Die Verminderung der Insektenanzahl ist belegt", unterstrich der Redner. "Es gibt nicht nur eine Studie", kam er auf alarmierende Ergebnisse verschiedener Untersuchungen zu sprechen. In Bayern, Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen, aber auch in Großbritannien, Ungarn oder den Niederlanden kam man zu dem Ergebnis, dass der Insektenschwund real ist.
Da Insekten die Nahrungsgrundlage zahlreicher Vogelarten bilden, sei auch hier eine alarmierende Entwicklung zu beobachten. Eine Studie der Europäischen Union analysierte die Bestandsentwicklung zwischen 1980 und 2010. Ihr Ergebnis: "Europaweit hat die Agrarlandschaft im Erfassungszeitraum 50 Prozent ihrer typischen Vogelarten verloren. Das entspricht einer Bestandsabnahme von rund 300 Mio. Individuen."
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Mit Wetterkapriolen, aber auch neu einwandernde Arten nannten zwei Experten den Klimawandel als Ursache für den Insektenschwund. Aber auch der Verlust von Grünland wird als möglicher Grund beschrieben. Bei Bachläufen sorgten gerade Ausrichtungen für einen Strukturverlust, Lichtfallen und der zunehmende Autoverkehr bewirkten weitere Insektenopfer. Die Zerstörung von Lebensräumen wie Streuobstwiesen, etwa durch immer neue Wohngebiete, habe ebenso Auswirkungen wie die Verinselung der Landschaft. Straßen, Siedlungen oder Bahnlinien isolierten Lebensräume und verhinderten so den genetischen Austausch der Populationen. Die Stickstoffüberfrachtung des Bodens reduziere das Spektrum der Pflanzenarten. Entwarnung gab Goedecke im Fall der Neonicotinoide. Das Insektizid, das seit 1991 auf den Markt ist, war 7000-fach wirksamer als DDT. Sein Einsatz wurde in Folge eines massiven Bienensterbens 2009 europaweit untersagt.
Einem Exkurs in die Landwirtschaft folgte ein Maßnahmenkatalog, der sich schwerpunktmäßig auf agrarisch genutzte Flächen bezog. Als "Lerchenfenster" bezeichnete Goedecke "künstliche Lücken von etwa 20 Quadratmetern". Bei Feldern mit Raps, Mais oder Wintergetreide ermöglichten diese den Vögeln Raum zum Landen.
Erweiterte Drillreihen - wie sie früher auch finanziell gefördert wurden - böten ebenfalls Lebensraum für Insekten oder Feldhasen. Betreiber von Biogas-Anlagen könnten den Maisanbau durch eine neu entwickelte Wildpflanzenmischung ersetzen. Rund um die Hofstellen sorgten Nisthilfen oder offene Dachstöcke und Ställe für Artenvielfalt. Totholz solle man liegen lassen, einige Lehmpfützen belassen oder auch Lesesteine zu kleinen Haufen errichten.
Das Thema Garten ist im ländlichen Raum vielleicht besonders erfolgversprechend. Hier machte sich der Referent für naturnahe Anlagen statt weißer Steinwüsten und "Designgärten" stark.
"Mir ist es wichtig, dass wir miteinander, nicht übereinander sprechen", erklärte Andreas Sigmund und nannte aktuelle Landwirtschaftszahlen für die Region. So steche der Neckar-Odenwald-Kreis heraus, da sich hier ein Sechstel der landesweiten Dauergrünland-Fläche befinde. Oder in absoluten Zahlen: Auf einer landwirtschaftlichen Gesamtnutzfläche von 46.385 Hektar stehe im Kreis auf 11.500 ha Blühbrache. Gut angenommen werde hier auch die fünfgliedrige Fruchtfolge (8300 Hektar).



