Die Einsatzkräfte im Neckar-Odenwald-Kreis leisteten "Übermenschliches"

Kreisbrandmeister Jörg Kirschenlohr spricht über die Unwetter, die Folgen und die Erlebnisse der Einsatzkräfte

17.06.2016 UPDATE: 18.06.2016 06:00 Uhr 2 Minuten, 39 Sekunden

Die Feuerwehren waren im Kreis im Dauereinsatz, etwa hier bei der Überschwemmung beim Motorradrennen auf dem Walldürner Flugplatz am 4. Juni. Foto: K. Narloch

Von Stephanie Kern

Neckar-Odenwald-Kreis. Kreisbrandmeister Jörg Kirschenlohr war für viele der erste Ansprechpartner nach den schweren Unwettern im Landkreis. Im RNZ-Interview berichtet er, was gut gelaufen ist, wie die Einsatzkräfte gearbeitet haben und was ihm besonders im Gedächtnis geblieben ist.

Hintergrund

> Weit über 1000 Notrufe gingen seit dem 28. Mai aufgrund der Unwetter in der Integrierten Rettungsleitstelle in Mosbach ein. Ungefähr 800 Einsätze resultierten daraus. Zum Vergleich: In einem normalen Jahr haben die Einsatzkräfte 1600 Einsätze zu

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> Weit über 1000 Notrufe gingen seit dem 28. Mai aufgrund der Unwetter in der Integrierten Rettungsleitstelle in Mosbach ein. Ungefähr 800 Einsätze resultierten daraus. Zum Vergleich: In einem normalen Jahr haben die Einsatzkräfte 1600 Einsätze zu absolvieren.

> Zeitweise waren bis zu 400 Einsatzkräfte gleichzeitig im Einsatz. Beteiligt waren Feuerwehren, Deutsches Rotes Kreuz, Technisches Hilfswerk und die DLRG.

> Zahlreiche Straßen im Kreis mussten nach den Unwettern wegen Überschwemmungen oder Schäden durch Unterspülungen gesperrt werden, darunter Kreis- und Landesstraßen, aber auch zahlreiche Ortsdurchfahrten. Unter anderem war auch die B 27 in Dallau kurzzeitig gesperrt. Wohl noch länger gesperrt sind die L 634 zwischen Neckargerach und Schollbrunn und die K 3929 zwischen Schollbrunn und Weisbach.

> Allein der Landkreis teilte 6000 Sandsäcke aus, hinzu kamen Sandsackreserven aus Mosbach und Billigheim.

> Mehrere Gemeinden im Neckar-Odenwald-Kreis waren gleich mehrfach von den Unwettern betroffen. Zum Beispiel Robern: Dort stand die Ortsmitte gleich dreimal unter Wasser.

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Wo waren Sie, als das erste Unwetter am 28. Mai losging?

Ich war im Auto unterwegs in Buchen, als der erste Notruf aus Schollbrunn einging. In der Leitstelle hat dann jemand angerufen, und gemeldet, dass zwei Autos an ihm vorbeischwimmen. Ich habe zu diesem Zeitpunkt schon den Feuerwehrfunk mitgehört - dann ging es los.

Wann war Ihnen klar, welche Dimensionen das Unwetter annimmt?

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Die Feuerwehr Schollbrunn hat gemeldet, dass sie nicht an das Feuerwehrhaus kommen, da dort ein reißender Bach sei. Dann bin ich Richtung Schollbrunn gefahren, um mir selbst ein Bild zu machen. Parallel gingen schon die ersten Notrufe aus Neckargerach ein, und die Rettungsleitstelle wurde personell aufgestockt. Auf dem Wetterradar haben wir dann gesehen, dass das Unwetter weiter gezogen ist. Mittlerweile hatte sich schon herausgestellt, dass Waldbrunn, Neckargerach, Mosbach, Sulzbach, Limbach und Fahrenbach betroffen waren.

Hatten Sie damit gerechnet, dass die Unwetter so stark zurückkehren könnten?

Die Meinung nach dem 28. Mai war: "Das war’s jetzt!". Das Unwetter in Schollbrunn war heftig, so etwas habe ich bei uns noch nicht gesehen. Und dann kamen Allfeld, Sulzbach und Dallau. Da habe ich dann gemerkt, dass hier etwas Größeres abläuft. Dramatisch war, dass zum Beispiel Schollbrunn, Allfeld oder Dallau zeitweise abgeschnitten waren, die Rettungskräfte waren auf sich alleine gestellt. Da zeigt es sich, wie wichtig es ist, in der Fläche mit Feuerwehr und Helfern vor Ort des DRK gut ausgestattet zu sein.

Wenn Sie zurückblicken: Was konnten Sie und die Einsatzkräfte in den vergangenen drei Wochen dazulernen? Wie schätzen Sie die Leistung der Feuerwehrmänner und -frauen ein?

Die Einsatzkräfte arbeiteten sehr professionell und haben manchmal vielleicht sogar Übermenschliches geleistet. Die Leute waren stunden- und tagelang im Einsatz und mussten teilweise auch improvisieren. Man lernt bei jeder Geschichte dazu, dieses Mal sicher auch. In Bezug auf Unwetter, dass diese plötzlich und lokal konzentriert auftreten. Da muss man in Zukunft sicher ein Augenmerk drauf richten.

Was hat richtig gut funktioniert? Wo könnte man eventuell nachbessern?

Grundsätzlich wurden alle Einsatzstellen in den Gemeinden professionell abgearbeitet. Die Evakuierung von rund 500 Teilnehmern und Besuchern eines Motorradrennens auf dem Flugplatz in Walldürn habe ich als sehr positiv empfunden: Die Zusammenarbeit mit den Rettungskräften anderer Organisationen hat gut geklappt, es wurde ruhig und sachlich gearbeitet.

Welche Bilder von den Ereignissen der vergangenen drei Wochen werden Ihnen persönlich im Gedächtnis bleiben?

Das sind mehrere Bilder. Zum Einen natürlich die Schäden. Es ist eindrucksvoll und es prägt, zu sehen, was diese Naturgewalt anrichten kann. Im Detail sind es Bilder von Einsatzkräften am Rande der Belastungsgrenze, gestandene Männer, die vor Erschöpfung mit den Tränen kämpfen. Besonders im Gedächtnis bleibt mir aber auch die Hilfe untereinander. Da denke ich an eine Szene in Allfeld, wo Kinder mit Besen den Schlamm wegfegten, während bei den Erwachsenen die Nerven blank lagen. Bewegend war auch das kleine Mädchen aus Allfeld, dessen Familie evakuiert werden musste. Das Mädchen kam ganz unbekümmert ins Feuerwehrhaus und bestaunte die Ausrüstung und Fahrzeuge.

Wie ist die Situation jetzt, kann man von Entspannung sprechen? Und sind Sie entspannt?

Ich bin entspannt. Man wird cooler, aber die Ernsthaftigkeit ist natürlich da. Ich rechne mit allem, aber ich glaube auch, dass es sich langsam etwas beruhigt und dass die Gewitter, die uns jetzt drohen, normale Sommergewitter sind.

Wie gehen denn die Einsatzkräfte mit dem Erlebten um?

Die Einsatzkräfte wie auch die Bevölkerung sind derzeit sehr sensibel und jede dunklere Wolke am Himmel und jeder Donner lässt die Anspannung steigen. Es gibt in den Gemeinden Nachbesprechungen, bei Übungen treffen sich die Einsatzkräfte und besprechen das Erlebte. Miteinander zu reden ist wichtig.

Welche Konsequenzen kann man aus den Unwetterereignissen ziehen?

Aktuell wurden z. B. aufgrund der Wettervorhersagen auch unzählige Sandsäcke gefüllt. Ganz allgemein ist die Integrierte Rettungsleitstelle hier vor Ort unheimlich wichtig und müsste meiner Meinung nach dauerhaft personell aufgestockt werden. Die Feuerwehren müssen gut ausgestattet sein, beschädigte Gegenstände müssen ersetzt werden.

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