So kommt die Schwarzacher Apothekerin durch die Krise
Ulrike Sporer: "Wir sind erpressbar" - Medikamentenproduktion nach Europa

Von Stephanie Kern
Schwarzach. "Jetzt muss ich aber los, und meinen Kollegen da draußen helfen." Ulrike Sporer hat in diesen Tagen nicht viel Zeit. Nach Angaben des Sächsischen Apothekerverbands kommen in der Corona-Krise deutlich mehr Menschen in Apotheken. Das trifft nicht nur auf die Apotheken in Sachsen zu. Ulrike Sporer muss es wissen. Sie arbeitet in der Wildpark-Apotheke in Schwarzach und steht täglich für die Kunden parat.
Ende Januar fing Ulrike Sporer an, die Entwicklung rund um die Verbreitung des Coronavirus intensiver zu verfolgen. "Die Nachrichten haben mich beunruhigt, die Reaktion der politischen Entscheidungsträger hat mich verwundert. Denn es passierte ja – zumindest für uns erkennbar – erst mal nichts."
Kein Versuch, Schutzkleidung zu kaufen und einen Vorrat anzulegen. Passiert ist aber was in den Apotheken: Schon Anfang Februar hat Sporer gemeinsam mit den Kollegen und den Inhabern, Dr. Anne-Kathrin Matthée und Hermann Gehrig, überlegt, was man tun kann. Um sich zu schützen – und andere. "Unser erster Versuch war, eine provisorische Theke der Offizin vorzuschalten", erzählt Sporer. Das Problem dabei: Die Menschen standen zu dicht beieinander. Im Hintergrund hatten die Inhaber aber schon frühzeitig Thekenaufsteller aus Plexiglas bestellt, die sieht man mittlerweile überall. "Die Leute finden und fanden es gut", sagt Sporer.
Auch wenn die neuen Sicherheitsvorkehrungen längere Wartezeiten bedeuten. So dürfen in Schwarzach nur maximal zwei Personen gleichzeitig in die Apotheke, diese werden zudem durch einen Raumteiler getrennt. "Unsere Kunden sind sehr geduldig und lieb. Freundlich waren sie schon immer, aber etwas im Umgang miteinander hat sich geändert. Man achtet mehr aufeinander. Das sollte man mitnehmen und bewahren für später", meint Sporer.
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Seit 20 Jahren ist Sporer Apothekerin, seit etwa fünf Jahren ist die Breitenbronnerin in der Wildpark-Apotheke tätig. Dass sie einmal eine solche Situation erleben muss, das hätte sie nie gedacht. Die Coronakrise zeige aber auch eins: Die Europäer sind bei Arzneimitteln und medizinischer Schutzausrüstung abhängig von China und Indien. Einen Plan B bei der Versorgung mit diesen Gütern gibt es nicht. "Das muss sich ändern", fordert die Apothekerin.
Besonders eindrücklich sei ihr das bei dem Verkauf von Desinfektionsmitteln bewusst geworden. Ende Januar hat sie den sonst üblichen Jahresbedarf an Desinfektionsmittel gekauft und in der Apotheke präsentiert. "Das hat da niemand gekauft", erinnert sich die 47-Jährige. "Plötzlich, innerhalb von zwei Tagen, war dann alles weg." Der gesamte Jahresbedarf. "Wir haben dann versucht, Nachschub zu bekommen. Das war und ist immer noch wie eine Jagd."
Aber: Es ist kaum etwas zu bekommen, auch die Rohstoffe zur Herstellung von Desinfektionsmitteln werden den Apotheken nur äußerst spärlich zugeteilt. Bei Mund-Nase-Masken ist es ähnlich. Die Apothekenmitarbeiter tragen sie. Während die Entscheidungsträger noch diskutieren, meint Sporer: "Die Mund-Nase-Masken dienen vor allem dem Schutz anderer, und damit allen."
Engpässe bei Medikamenten gibt es im Verbund der "Neckar-Odenwald-Apotheken" (dazu zählen neben der Wildpark-Apotheke auch die Central-Apotheke, die Rosen-Apotheke und die Waldstadt-Apotheke in Mosbach) nur vereinzelt. "Der Apothekenverbund versucht ständig, gemeinsam Engpässe zu überbrücken. Dennoch haben wir zurzeit 380 Dauerdefekte, das sind Medikamente, die im Lager wieder aufgefüllt werden sollen", berichtet Sporer. "Wenn ich sehe, dass ein Medikament beim Großhandel knapp wird, warte ich unsere normalen Bestellzyklen nicht ab", sagt Sporer. Sondern sie bestellt gleich. Die Zeit muss sie sich nehmen.
Die vier Apotheken hätten sich auch einen guten Vorrat angelegt. "Manche Dinge waren auch schon vor der Coronakrise schwer zu bekommen." Auch bei der Beschaffung von Medikamenten fühle man sich manchmal wie bei einer Jagd. Da wird außerhalb der normalen Bestellzeiten nachgesehen, da werden neue Lieferanten und andere Hersteller in Erwägung gezogen. Trotzdem: "Die Produktion solch wichtiger, ja lebenswichtiger, Güter muss nach Europa zurückgeholt werden", so die Apothekerin.
Vor einigen Wochen habe sie auf der Plattform "Apotheke adhoc" einen Beitrag italienischer Apotheker gelesen. "Die sagten ganz klar, dass wir das ernst nehmen sollen, dass wir uns vorbereiten sollen. Das hat mich beeindruckt." Denn auch so scheinbar einfache Dinge wie Hütchen für Ohrthermometer sind inzwischen kaum noch zu bekommen.
Auch die Apothekerteams selbst müssen sich schützen, müssen gesund bleiben. "Manche Apotheken bilden zwei Mitarbeiterteams, die versetzt arbeiten", berichtet Sporer. Alle müssen zusammenhalten, um die Menschen zu versorgen. Und um sie zu beruhigen. "Manche fragen uns schon danach, wie wir die Situation einschätzen. Und manchmal habe ich schon das Gefühl, dass ich heiter bleiben muss, auch um die Menschen etwas aufzumuntern."
Vor etwa zwei bis drei Wochen sei die Situation in den Apotheken unglaublich angespannt gewesen. Jeder habe versucht, sich mit Medikamenten auszustatten. "Da habe ich nicht alles geschafft", gibt Ulrike Sporer zu. Manche der Verwaltungsaufgaben liegen immer noch auf ihrem Schreibtisch. "Und sie werden da auch noch etwas liegen bleiben." Bis die Zeit es zulässt, sie anzugehen.
Auch die Apothekerin hofft, dass bald ein Medikament gefunden wird, mit dem Coronapatienten behandelt werden könnten. Und dass noch mehr getestet wird, um eine bessere Datenlage zu bekommen. "Die Frage ist doch: Wie viele Menschen sind infiziert. Und: Stirbt jemand an Corona, oder stirbt jemand mit Corona", sagt Sporer zur Statistik.
Dass die Menschen Angst haben, dass andere Apotheker dramatische Appelle an die Öffentlichkeit richten, dafür hat Ulrike Sporer Verständnis. Dass viele Strukturen zur Herstellung von Medikamenten an andere Staaten abgegeben wurden, dafür nicht. "Wir werden dadurch erpressbar", ist sich Sporer sicher. Auch das belaste die Apotheker. "Was gerade passiert, geht einem wirklich an die Substanz. Aber in unsrem Team können wir uns gegenseitig wieder hochziehen", sagt Sporer noch. Dann muss sie los. Menschen beruhigen, Medikamente bestellen. In der Coronakrise anderen Menschen helfen. Dafür muss sie Zeit haben.



