Wie das "Haus Q" junge Inhaftierte stabilisieren möchte
Der Traum von einem besseren Leben: Die Häftlinge haben einen Film über ihre Situation gedreht und ein Theaterprojekt auf die Beine gestellt.

Adelsheim. (ahn) "Wie komme ich aus dieser Scheiße wieder raus?" Diesen Titel trägt der imposante Film, den einige Gefangene aus dem Haus Q der JVA Adelsheim vor einigen Wochen selbst gedreht haben. Darin geht es um Drogen und ADHS, aber auch um neue Ziele, Wendepunkte im Leben und das Haus Q als hilfreiche Unterstützung. Im Rahmen der Praktikertagung der Bundesarbeitsgemeinschaft der Jugendanstaltsleitungen und der besonderen Vollstreckungsleitungen (siehe unten) wurde der Film bei Führungen durch das weitläufige Gelände der JVA den Anstaltsleitern, die aus ganz Deutschland in Adelsheim zu Gast waren, gezeigt.
Außerdem beeindruckten drei junge Häftlinge, die Theaterstücke aufführten. Diese hatten die Insassen in Zusammenarbeit mit dem von der Baden-Württemberg-Stiftung geförderten Theaterprojekt "Frei(T)raum" mit dem Theater Konstanz erarbeitet.
Doch bevor die jungen Häftlinge ihre versteckten Talente zeigen konnten, stellten Claudia Ringlstetter, die Hauskonferenzleiterin im Haus Q, ihr Bruder Arne Ringlstetter, Koordinator des psychologischen Dienstes der JVA Adelsheim, sowie die Psychologin Sandra Körner und die Sozialpädagogin Izabel Wawrzyniak das Konzept im Haus Q vor.
"In den letzten Jahren ist ein Anstieg von psychischen Auffälligkeiten zu beobachten – auch bei uns im Haus", informierte Claudia Ringlstetter. "Deshalb wird es mit der Betreuung immer schwieriger, da es viele Krankheitsbilder wie zum Beispiel Depressionen gibt."
Mit vier festen Betreuern und zusätzlichen Springerkräften kümmert sich das Team von Haus Q um die im Durchschnitt 24 bis 28 jungen Gefangenen. Damit stoße man bereits an die Kapazitätsgrenze. Zwar stünden theoretisch 24 Doppelzellen zur Verfügung, doch die Insassen "sind nicht immer kompatibel", so die Hauskonferenzleiterin.
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"Wir versuchen hier, die jungen Menschen zu stabilisieren", berichtete Claudia Ringlstetter, während ihr Bruder Arne ergänzte: "Unser Ziel ist es, direkter an den jungen Menschen dran zu sein und möglichst viele Kontakte zu ermöglichen."
Unterstützt wird das Team von einem Kinder- und Jugendpsychiater, der einmal in der Woche vorbeikommt und zum Beispiel Medikamente verschreibt.
Doch die Arbeit und der direkte Austausch mit den jungen Häftlingen sind das eigentliche Steckenpferd im Haus Q. 2016 wurde hier das Projekt "Startup" eingeführt. "Wir legen dabei großen Wert auf Gespräche sowie auf therapeutische und sozialpädagogische Arbeit in Gruppen", so Claudia Ringlstetter. Dazu kommen noch Fitness- und Sportangebote, "um die Aggressionen herauszulassen", wie Izabel Wawrzyniak ergänzte. Außerdem gibt es weitere Angebote, wie unter anderem eine Kreativgruppe oder eine Kochgruppe mit Ernährungstraining.
Und dann gibt es noch größere Projekte wie etwa den Dreh zum eingangs erwähnten Film mit dem Titel "Wie komme ich aus dieser Scheiße wieder raus?". Hier berichten einige junge Gefangene auf berührend ehrliche Weise von ihren Fehlern, aber auch von ihren Wünschen und Träumen.
"Meine größte Schwäche ist, dass ich Leute provoziere", meint zum Beispiel ein junger Insasse. Ein anderer bekennt: "Durch die Drogen bin ich kriminell geworden. Wie konnte ich an so einen Punkt kommen, dass so etwas passiert?" Als er dies realisiert habe, habe er einen Heulkrampf bekommen.
Dann gibt es noch einen jungen Mann, der unter ADHS leidet. In Ermangelung professioneller Hilfe hat er angefangen zu kiffen, "um Ruhe im Kopf zu haben", wie er berichtet. "Man schottet sich ab. Aber im Knast ist dann der Panzer wie Glas zerbrochen. Weil man seine Mutter enttäuscht hat und keine Familie mehr hat."
Um "aus dieser Scheiße wieder herauszukommen", helfe das Haus Q, sind sich die jungen Insassen einig. "Es ist eines der besten Häuser hier in Adelsheim", sagt einer, während ein anderer in Hinblick auf die Angebote im Haus Q hinzufügt: "Hier lernt man viele Sachen zu schätzen." Ein weiterer ergänzt: "Es ist gut, dass man mit den Sozialarbeitern reden kann, wenn man Probleme hat."
Und die Arbeit des Betreuerteams trägt Früchte: "Bei mir hat es Klick gemacht. Ich will ein straffreies Leben führen", berichtet ein junger Gefangener im Film. Ein anderer erzählt, dass er sogar angefangen habe, ein Buch zu schreiben, das er demnächst fertigstellen will.
Doch auch von außen kommen Impulse, die vieles verändern können. Wie bei einem Häftling, der im Gefängnis erfahren hat, dass er Vater geworden ist. Der Gedanke sei schlimm, "dass man einen Sohn bekommt, und man hier in der Zelle sitzt. Ich versuche, nicht die ganze Zeit daran zu denken, dass es nicht mein Herz zerreißt", schildert er eindrucksvoll seine Gefühlslage im Film. "Es ist ein Wendepunkt. Ich will für mein Kind da sein."
Nach der Filmvorführung brandete Applaus auf, den es auch für die folgenden Theateraufführungen von drei jungen Häftlingen gab. Mit einer Nebelmaschine, Licht und einem Videohintergrund in Szene gesetzt, führten sie das Stück "Mein Leben – mein Traum" auf. Einer ihrer Träume war die Gleichbehandlung aller – egal welchen Geschlechts, welcher Hautfarbe, welcher sexuellen Orientierung. Und dann gab es noch den Traum, den sie als Sprechergruppe vortrugen: "Ich werde meine eigene Familie gründen mit schönen Kindern, die zur Schule gehen werden." Abgerundet wurde die Vorstellung von einigen Rap-Einlagen, die einer der Gefangenen gekonnt zum Besten gab.
Für diese Aufführung erhielten die drei jungen Häftlinge tosenden Applaus. Einer der Tagungsteilnehmer zeigte sich beeindruckt: "Es ist immer wieder erstaunlich, zu welch guten Sachen die Jungs in der Lage sind. Hochachtung vor dieser Leistung. Da gehört wirklich Mut dazu."
Applaus gab es auch für das Team von Haus Q sowie für Amelie Wördehoff und Magdalene Schaefer aus dem Projektteam "Theater hinter Gittern" vom Theater Konstanz, die mit den drei jungen Häftlingen das Projekt "Frei(T)raum" realisiert hatten.
Und Spaß hat es den jungen Häftlingen offensichtlich gemacht, wie einer der Schauspieler sagte. "Es war eine neue Erfahrung. Es war cool."
Tagung der Jugendanstaltsleiter in Adelsheim

Erstmals trafen sich in Baden-Württemberg Anstaltsleiter von Jugendvollzugseinrichtungen aus dem gesamten Bundesgebiet, um sich eine Woche lang zu neuen Entwicklungen und Konzepten im Jugendstrafvollzug auszutauschen. Im Mittelpunkt der 53. Praktikertagung der "Bundesarbeitsgemeinschaft (BAG) der Jugendanstaltsleiter und besonderen Vollstreckungsleiter" stand das Thema "Psychisch auffällige und andere junge Gefangene mit besonderem Behandlungsbedarf".
Zur Auftaktveranstaltung, die am Montag in der DHBW in Mosbach stattfand, begrüßten Katja Fritsche, Anstaltsleiterin der gastgebenden Justizvollzugsanstalt Adelsheim, und ihr Berliner Kollege Bill Borchert, Sprecher der BAG, rund 30 Anstaltsleiter aus 15 Bundesländern und Juristen aus den lokalen Justizbehörden, darunter Landgerichtspräsidentin Jutta Kretz und den Leitenden Oberstaatsanwalt Dr. Florian Kienle.
Die thematische Einstimmung oblag dem kriminologischen Dienst der JVA Adelsheim. Dr. Wolfgang Stelly und Dr. Jürgen Thomas betrachteten "Jugendstrafgefangene im Wandel der Zeit: immer schwieriger oder nun anders?" aufgrund ihrer eigenen Forschungen und dem Stand der wissenschaftlichen Erkenntnis, bevor Landrat Dr. Achim Brötel gewohnt kurzweilig die Gäste im Neckar-Odenwald-Kreis willkommen hieß.
Der Dienstag führte die Tagung in die Adelsheimer Jugendstrafanstalt, wo zunächst Dr. med. Matthias C. Michel, Ärztlicher Direktor des Zentrums für Psychiatrie Weissenhof in Weinsberg, und der konsiliarisch in der JVA Adelsheim tätige Facharzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie, Dr. Michael Roth, Vorträge zum Schwerpunktthema psychische Auffälligkeiten hielten.
Danach gewannen die Teilnehmer – darunter Amtsgerichtsdirektor Klaus Schrader sowie die Anstaltsbeiräte Ralph Gaukel und Bürgermeister Wolfram Bernhardt – eine unmittelbare Vorstellung der Konzepte und Praxis der besonderen Behandlungsprojekte "STABIL", "Your Future" und "Project Connect" in der JVA Adelsheim. Bei den Führungen durch die Projekthäuser fand besonders das von der Baden-Württemberg-Stiftung geförderte Theaterprojekt "Frei(T)raum" mit dem Theater Konstanz im Haus Q für psychisch und psychiatrisch auffällige Gefangene enorme Beachtung (siehe Artikel oben).
"Die Vielfalt und das Engagement im baden-württembergischen Justizvollzug hat uns heute den ganzen Tag über begleitet. Wir waren wirklich berührt und angetan von vielen, vielen Kollegen, die uns in vielen Einzelprojekten ihre Arbeiten nähergebracht haben, insbesondere auch den Inhaftierten, die uns heute wirklich noch einmal ganz besondere Erlebnisse verschafft haben. Dafür danken wir sehr herzlich", lobte BAG-Sprecher Bill Borchert das von Katja Fritsche und ihrem Stellvertreter Dr. Nikolas Blanke federführend gestaltete Programm.
Weitere Höhepunkte der Tagungswoche waren am Mittwoch der Empfang im Ministerium der Justiz und für Migration Baden-Württemberg in Stuttgart durch Ministerin Marion Gentges, die das Engagement der bundesweit im Jugendvollzug Verantwortlichen lobte und die Vielfalt der Ideen wertschätzte.
Danach begaben sich die Teilnehmer zu einer Führung und Vorträgen zu den Themen "Restorative Justice" und "Täter-Opfer-Ausgleich" ins Seehaus Leonberg, das seit 2003 "Jugendstrafvollzug in freien Formen" praktiziert.
Am Donnerstag führte eine Exkursion nach Mannheim, wo das Haus des Jugendrechts, sein Konzept und seine Tätigkeit vorgestellt wurden.
Getrennte Tagungen der Jugendanstaltsleitungen und der besonderen Vollstreckungsleitungen beschlossen am Freitag in der DHBW die Arbeitswoche, bevor Mosbachs Oberbürgermeister Julian Stipp die Gäste aus seiner Stadt, die schon am ersten Tagungsabend viele Komplimente bekam, verabschiedete.