Hirschhorn

Martin Hölz ist seit 100 Tagen Bürgermeister

"Ich lerne jeden Tag etwas Neues". Brückensanierungen, Wohnungssuche, 1250-Jahr-Feier, Wasserquellen fordern 2023 heraus.

11.03.2023 UPDATE: 12.03.2023 06:00 Uhr 4 Minuten, 44 Sekunden
Zufällig getroffen und schnell im Gespräch, das mag Martin Hölz. Kurt Sauer vom Bauhof pflegt auch im Winter den öffentlichen Bereich am Schloß. Foto: Carmen Oesterreich

Von Carmen Oesterreich

Hirschhorn. Es ist kalt, aber schön. "Überwältigend, oder", sagt Martin Hölz, der die Reporterin diesmal zum gemeinsamen Spaziergang aufs Schloss geführt hat. Der Anlass: Der Hirschhorner Bürgermeister ist seit 100 Tagen im Amt; Zeit also für ein erstes Resümee.

Hintergrund für den Ort ist erstens: Dort oben ist es auch bei leichtem Schneeregen magisch, ob man nun zwischen den alten Mauern umher streift oder den Blick auf die Stadt genießt. Zweitens: Martin Hölz ist nicht Schlossherr, aber er vermittelt eifrig zwischen Interessenten und dem fürs Schloss zuständigen Landesbetrieb Bau und Immobilien Hessen (LBIH), in der Hoffnung, dass im nächsten Jahr wieder gastronomischer Betrieb auf der Burg herrscht.

"Es liegt noch an den Bädern im Hatzfeldbau. Das Hotel kann öffnen, wenn sie saniert sind", verrät er. Drittens: Martin Hölz hat gerade eine Fortbildung zum Standesbeamten absolviert und steht gern dort, wo die frisch getrauten Pärchen auf ihr Ja-Wort anstoßen. Trotz der Schließung sind Trauungen auf der Fläche des früheren Rosengartens am Schloss möglich.

Der "überwältigende" Blick von der benachbarten Terrasse auf die Stadt öffnet sich auch bei trübem Wetter. Wie ist es für den Bürgermeister, auf seine Stadt von hier oben herunterzuschauen?

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"Ich sehe die Ausbreitung in die jeweiligen Täler und deren Grenzen. Hirschhorn hat kaum Möglichkeiten, sich räumlich auszudehnen; das ist schade. Und ich sehe die Vielfalt. Wohnhäuser, Gewerbe, die Schule, Energieanlage, Schleuse, das Seniorenheim - es steckt so viel Schwung in dieser Stadt!" Schnell sind wir mitten im Thema, die Vielfalt der Firmen ist eine große Chance für diese hessische Landstadt mit enorm angespannter Finanzlage.

Ohne Wirtschaft in der Stadt sind keine Einnahmen und somit auch keine Ausgaben möglich. Deshalb war es für Hölz ein erster Schritt, sich in den Firmen vorzustellen. "Ich habe es noch nicht bei allen geschafft, aber die Gespräche waren sehr zugewandt. Das größte Problem der Unternehmen ist der Fachkräftemangel. Fragen Sie sich nicht auch: Wo sind die Menschen alle hin?" Doch, natürlich, ich frage mich, wie man sie zurückholen und die Gebliebenen halten kann.

Welche Ideen haben Sie, Herr Hölz? "Das ist eine knifflige Frage, weil es für mich als Leiter der Städtischen Verwaltung in solchen Lebensführungsfragen schwierig ist, vom ,Feldherrenhügel’ aus anderen Menschen zu sagen, was sie machen sollen. Es geht darum, Berufe in Handwerk, Einzelhandel, Pflege und Gastronomie wieder attraktiver zu machen. Das hat was mit Vergütung zu tun, mit Anerkennung. Ich bin auch Krankenpfleger gewesen. Da können sie mich fragen, warum ich es nicht mehr bin - es liegt auch am Streben nach oben und der multifunktionalen Gesellschaft, dass man für sich was Neues sucht."

In meinem ersten Artikel zum Amtsantritt des Bürgermeisters habe ich begründet, warum ein Spaziergang so zielführend ist. Als Gesprächspartner schauen wir in dieselbe Richtung und entwickeln im Gespräch Fragen und Antworten. An diesem Punkt aber musste ich viele Zeilen streichen, weil wir zu sehr über Deutschlands Wandel in ein Niedriglohnland und unbezahlbaren Wohnraum diskutiert haben. Jedoch: Wäre es eine Lösung, wenn Unternehmer Fachkräften kostengünstigen Wohnraum anbieten würden?

Stolz macht Martin Hölz die Tatsache, dass dieser Tage der Vertrag zum Ausbau der Glasfaserleitungen unterzeichnet worden ist. Bald soll jeder Anwohner in der Kernstadt Zugang zum Highspeed-Netz haben. Das sei ein gutes Argument, in Hirschhorn zu leben.

Das drängendste Problem neben dem Fachkräftemangel sei die Sperrung der Wehrbrücke, sowohl für die Ersheimer Bevölkerung und Unternehmen als auf für die Anwohner an der Umleitungsstrecke. Die Sperrung der Wehrbrücke werde bis kommenden September andauern, die Sanierung laut Hessen Mobil bis zum Frühjahr 2024 abgeschlossen sein.

"2023 ist und wird ein sehr dichtes Jahr, weil neben der Baumaßnahme an der Wehrbrücke auch die Erneuerung der Eisenbahnüberführung an der Langenthaler Straße ansteht", beschreibt der Bürgermeister eine seiner wichtigsten Aufgaben zum Erhalt der Infrastruktur. "Die Stadt saniert zudem die Michelbergbrücke quasi im Windschatten der Deutschen Bahn", so Hölz. Der Finanzausschuss hatte dies einst empfohlen, um noch Zuschüsse beantragen zu können.

In den Ausschusssitzungen hat Martin Hölz schon häufiger erwähnt, wie viel die Mitarbeiter im Rathaus leisten: "Ich bin beeindruckt, wie viele Prozesse und wie viel Arbeit es in einem Rathaus gibt und mit welcher Energie die Mitarbeiter das stemmen. Da müssen wir aufpassen, dass niemand langfristig überlastet ist." Gegenwärtig arbeitet die Verwaltung an einem Vorschlag, eine Integrationsfachkraft einzustellen.

Denn ab Mai wird der Kreis Bergstraße die wöchentlich ankommenden Personen auf der Flucht direkt der Stadt zuteilen. Nach dem aktuellen Schlüssel sollen in Hirschhorn jeweils zehn Schutzsuchende pro Quartal aufgenommen werden. "Es ist eine städtische Pflichtaufgabe. Wir prüfen gerade, wie wir Wohnraum zur Verfügung stellen können. Ich bitte die Bevölkerung, zu helfen und beispielsweise der Stadt Wohnungen zu vermieten."

Für die Integration sind auch die Kindergärten enorm wichtig. So werde darauf geachtet, dass die Kitas gut und vielseitig aufgestellt seien. Nicht nur aus Anlass der 1250-Jahr Feier der Stadt lädt Martin Hölz die Kindergartengruppen und Grundschüler zum Blick hinter die Kulissen ins Rathaus ein.

Die eigens für die 1250-Jahr-Feierlichkeiten eingerichtete Website ist bereits gut gefüllt. "Ohne Vereine, Organisationen, Kindergärten, Grundschule und das Engagement Einzelner könnten wir das nicht schaffen", erklärt Hölz angesichts der "Ressourcenknappheit und der nur sechsmonatigen Vorbereitungszeit". Jetzt sei da schon viel Schwung zu spüren.

Was ihm bei vielen seiner Aufgaben auffalle, sei die Gleichzeitigkeit von Ungleichzeitigkeit, also der Blick in die Vergangenheit, um in der Gegenwart die Zukunft zu planen und zu sichern. Alle drei Zeiten stünden in Bezug zueinander.

"Ich sehe die Prozesse, die schon begonnen worden sind und jetzt fortgeführt werden müssen. Zum Beispiel die Betriebsführung und die Investitionen für die Wasserversorgung. Es ist wirklich schwierig, vorherzusagen, wie wir mit der Dürre umgehen werden. Wir haben Projekte für die Wasserversorgung in den Haushaltsplan aufgenommen. Dazu gab es schon 2011 ein Gutachten, aber die Erkenntnis von damals muss heute wieder angepasst werden." Gewiss sei: "Die Verwaltung arbeitet daran, dass sich die Hirschhorner keine Sorgen um ihr Trinkwasser machen müssen." Auch dank der Quelle am Campingplatz und einer weiteren an der Ponyweide, die erschlossen werde, sei Hirschhorn aktuell gut versorgt.

Und doch bekomme ich kurz eine Gänsehaut, obwohl wir uns längst warm gelaufen haben. Parallel zu den Kommissionssitzungen sei "der Krisenstab in Vorbereitung für eine etwaige Gasmangellage oder einen Stromausfall mehrmals zusammengekommen". Jetzt gebe es einen Überblick über die Infrastruktur, die im Notfall versorgt werden müsse. Auch grundlegende Maßnahmen wie die Wasser- und Lebensmittelversorgung seien zumindest für 48 Stunden für die Rettungskräfte und in Not geratene Personen gesichert. Mittel für den Notfallplan seien im Haushalt eingestellt.

Alle rund 3500 Einwohner zu versorgen, sei "nicht leistbar", so Hölz. Hier appelliert er an die Bürger, sich für den Notfall individuell oder gemeinsam mit den Nachbarn vorzubereiten.

Hört man Martin Hölz zu, wie er das erzählt, während wir einen schmalen Pfad auf dem Neckarsteig vorwärtsbalancieren, hat sogar diese Aussage mit extrem ernstem Hintergrund aufgrund seiner Unaufgeregtheit etwas Beruhigendes.

Vielleicht zum Schluss doch eine Antwort auf die Frage, was er besonders schön am Beruf des Bürgermeisters findet? "Ich gehe überall hin. Weil man ganz viele Leute kennenlernt, einfach viel erzählt bekommt und neue Aspekte kennenlernt. Das macht mir wirklich Freude. Und ich lerne jeden Tag etwas Neues. Das wird, glaube ich, auch die nächsten 100 Tage und noch viele mehr so bleiben."

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