Zu Besuch bei Flüchtlingen in der Gütschowstraße
In Eberbach können alle friedlich leben - Wie lange sie bleiben, wissen sie nicht.

Eberbach. "Es war ein Kollege, der meine Tochter sexuell missbraucht hat - er wurde zu fünf Jahren Gefängnis verurteilt", erzählt Donia. Die junge, vierfache Mutter hat Tränen in den Augen. Mit zitternden Händen legt sie ein Gerichtsurteil auf den kleinen Holztisch zwischen den stählernen Sozialamt-Bettgestellen, in dem alle Einzelheiten des Falles beschrieben sind. Doch im Gefängnis sei der Mann noch nicht gelandet. Lange Zeit konnte ihre Tochter nicht in die Schule gehen "sie hatte solche Angst - und ich hatte auch Angst".
In Mazedonien hatte die Familie Arbeit und Essen, doch die Angst vor weiteren Übergriffen sei immer stärker geworden. Samt Ehemann und den vier Kindern ist Donia geflüchtet; zuerst nach Karlsruhe in ein "Heim", seit einigen Wochen leben sie in der Gütschowstraße. Donia spricht recht gut deutsch; "ich lese Bücher und höre auch zu - ich möchte viel lernen". "Wir wollen hierbleiben, nicht zurück. Die Kinder lernen hier etwas, es gefällt uns super in Eberbach - und auch der Tochter geht es besser, ohne Angst zu leben."
"Wir hatten ein Haus und genug Essen in Bosnien, wir haben alles stehen lassen, sind nur mit dem, was wir anhatten geflüchtet", erzählt Bosanartz. Mit ihrem Mann und den drei Kindern lebt sie in einer Wohnung in einem anderen Stockwerk des fünfstöckigen grüngrauen Hauses der Baugenossenschaft, in dem der Wind durch die Ritzen der Fensterscheiben pfeift. Zu fünft bewohnt die Familie zwei kleine Zimmer; "hier lebt noch eine Mutter mit sieben Kindern in der Wohnung, die haben zwei große Zimmer".
Bosanartz ist Roma, "wir hatten immer Probleme mit anderen Muslimen - immer wollten sie Geld haben. Wir haben gearbeitet und mussten unser Geld abgeben". Dann kommen auch ihr die Tränen, als sie erzählt, wie sie eines Abends auf ihren Mann wartete und wartete. "Als er endlich kam, blutüberströmt, musste er sofort in ein Krankenhaus." Man habe ihn in einem Wald mit solchen Schlägen auf den Kopf gehauen, dass er einen Schlaganfall davontrug, noch heute Schmerzen hat und einiges an Tabletten nehmen muss. "Während des Krieges konnte man in Bosnien besser leben als heute - es gibt viel Mafia, Drogen und Gewalt, und die Polizei wehrt nur ab und greift nicht ein."
Wie es jetzt weiter geht, weiß Bosanartz nicht. "Die Sozialarbeiter werden uns sagen, wie lange wir in Eberbach bleiben können." Ihr Haus in Bosnien jedenfalls ist abgeschlossen. Angst darum hat Bosanartz nicht: "Meine Angst ist nur für meine Kinder". Die dreifache Mutter hofft darauf, bleiben zu können und auch Arbeit zu finden. "Mein Sohn ist Friseurmeister - ich hoffe, er findet eine Stelle." Was ihr jetzt noch fehlt? "Gardinen, die Fabrikarbeiter können alle hier rein sehen."
Ein paar Stockwerke tiefer: Ein Zimmer ohne Tür und noch ein anderes kleines Zimmer (mit Tür) bewohnt Vater Mile gemeinsam mit seiner Frau, zwei Söhnen und zwei Schwiegertöchtern und einem kleinen Enkelkind. Auch in dieser Wohnung ist noch eine weitere Familie untergebracht, ein Ehepaar mit vier Kindern. Die Küche wird geteilt, es gibt zwei kleine Bäder. Mile kommt mit seiner Familie aus Serbien. Mit einem kleinen Bus sind sie geflüchtet. "Wir hatten keine Rechte, es gab Malträtierungen und viel Hass gegen uns Roma - wir waren immer Außenseiter, immer." Mile spricht gut deutsch, von 1991 bis 2002 lebt er in der Nähe von Schwäbisch Gmünd; bis seine Eltern schwer krank wurden und er in seine Heimat zurück ist.
Dieses Mal hat er dort zwei Töchter und vier Enkel zurück gelassen. "Ich vermisse sie, aber sie haben kein Geld, um auch zu kommen." Dennoch ist Mile zufrieden, "das Geld reicht zum Essen und Trinken, für Strom und Wasser, und es ist warm in der Wohnung- wir wurden in Eberbach gut aufgenommen; vor allem aber können wir hier ohne Angst leben." Mitbewohner Bucko und seine Familie aus dem Kosovo zogen am gleichen Tag ein, wie Mile. Alle waren sich bis dahin völlig fremd; haben sich jetzt aber so gut es geht arrangiert, "was soll man machen, man muss so leben". Bucko ist aus den gleichen Gründen geflüchtet: "Alle schlagen sich - und die Polizei schlägt auch manchmal." In Eberbach, erzählt er weiter, können die Kinder raus, ohne das etwas passiert. "Es ist ruhig hier und wir sind zufrieden."
"Die metallenen Betten standen bereits in den Wohnungen", so die beiden Familienväter. Auch einige metallene Spinte waren vorhanden, "sonst nichts". Ein paar Möbel haben sich die Familien aus diversen Haushaltsauflösungen besorgt; "und ab und zu kommen Leute vorbei und geben uns etwas". Letztens kam erst "ein alter Mann, der hat uns einen Fernseher gegeben". Wie viele Familien insgesamt in dem Haus wohnen? Mile schätzt 13, plus noch Familien "mit Papieren". Wie lange Mile und Bucko mit ihren Familien in Eberbach bleiben, wissen sie nicht. "Wir könnten alle arbeiten, müssen aber noch neun Monate warten, bis wir dürfen. Wir wollen auch arbeiten." Wichtig aber ist erst mal, "ohne Angst vor Malträtierungen zu leben".
(Alle Namen wurden von der Redaktion geändert).



