Landtagsabgeordnete regen Realschüler zum Hinterfragen an
Die Landtagsabgeordneten Hermino Katzenstein und Norbert Knopf kamen mit Schülern der Realschule ins Gespräch.

Von Carmen Oesterreich
Eberbach. Martin Kohler, seit diesem Schuljahr als Gemeinschaftskundelehrer von Leimen an die Realschule Eberbach gewechselt und Träger des "Deutschen Lehrkräftepreises 2021", unterrichtet "gerne mal anders". Er motiviert seine Schülerinnen und Schüler, sich selbst aktiv am Unterricht zu beteiligen und "in Bewegung" zu lernen. Um den Kindern Politik nahezubringen, hat er die Landtagsabgeordneten Hermino Katzenstein (Wahlkreis Sinsheim) und Norbert Knopf (Wahlkreis Wiesloch) von Bündnis 90/die Grünen in den Unterricht eingeladen. Für das kommende Jahr haben bereits Politiker weiterer demokratischer Parteien zugesagt.
"Uns ist es wichtig, dass die gute Vorbereitung im Fachunterricht durch praxisorientierte Gespräche begleitet wird. Unsere Schüler sind generell politisch interessiert und diskursfreudig", sagt Martin Kohler, der sich gemeinsam mit Klassenlehrerin Christina Frischholz und Jörg Keller auf die Begegnung der Klassen 9 b und 9c mit den Politikern freute. Was genau sie fragen würden, das wurde nicht abgesprochen. "Überraschungsoffenheit" nennt Kohler das. Denn: "Für uns ist es eine Wertschätzung gegenüber den Schülern, dass sie nicht gelenkt oder zensiert werden." So überraschte es Hermino Katzenstein, dass "niemand, wie sonst meistens, die C-Frage", die nach der Legalisierung von Cannabis, gestellt hatte. Die Schüler bewegen andere Themen:
Politiker-Karrieren: Wie man Politiker wird, erklärte Knopf sehr anschaulich. Er hat sich in der Gemeinde engagiert, "die Grünen" in St. Leon-Rot gegründet und schließlich im Wahlkreis Wiesloch um ein Landtagsmandat beworben. Hermino Katzenstein kam über sein Engagement im ADFC zur Politik, ist Stadtrat und Landtagsabgeordneter.
Verkehrssicherheit: Viele Schüler bewegt Katzensteins Engagement für Radwege. Besonders besorgt sind sie um ihre Sicherheit auf den engen Straßen ohne Schutzstreifen. Während der Politiker Verkehrsrechte und -regeln erklärte, verkündete Norbert Knopf: "Glaubt den Politikern in der Gemeinde nicht, wenn sie behaupten, es sei kein Geld für Radwege da. Es gibt genug Geld. Es kommt darauf an, wie es verteilt und wofür es genommen wird."
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Lehrermangel: "Was wird dagegen getan?", fragte eine Schülerin. Knopf: Man habe Lehrerpools geschaffen und könne so die Lehrkräfte besser – nach Bedarf – verteilen. Leider seien die Statistiken der vergangenen Jahre für die Bedarfsermittlung von Lehrpersonen falsch gewesen, so dass nun zu wenig davon ausgebildet worden seien.
ÖPNV: Zu Verspätungen im öffentlichen Fern- und Nahverkehr fragte ein Schüler so versiert, dass Hermino Katzenstein lobte: "Du bist sehr gut vorbereitet, das beeindruckt mich." Der Politiker, der selbst die meiste Zeit mit Fahrrad und Bahn unterwegs ist, sieht das Problem darin, dass Nah- und Fernverkehrszüge auf denselben Trassen fahren, weil kein Platz für weitere Gleise vorhanden sei. Er sieht dennoch eine Lösung in jeweils separaten Trassen, in Zeit-Puffern bei den Fahrplänen, wodurch die Züge länger zum Ein- und Aussteigen in den Bahnhöfen stünden und so verlorene Minuten ausgeglichen werden können. Durch eine digitale Steuerung könnten die Züge näher hintereinander fahren. Ein Schüler der "keinen Bock zum Laufen" hat, forderte eng getaktete Busse in der Stadt. Eine Schülerin erklärte, dass ihre Mutter sie zur Freundin aufs Dorf fahren müsse, weil es anders gar nicht möglich sei. "Wir streben tägliche Mobilität im Stundentakt an, aber wir bekommen das Geld dafür nicht", sagt Katzenstein. Knopf: "Lasst euch nicht erzählen, dass kein Geld da ist!" Katzenstein: "Dann teil es uns doch mal zu, du bist doch im Finanzausschuss…." Knopfs Antwort geht im Lachen unter.
Elektroautos: "Die fangen Feuer", "sind zu teuer", "haben keinen Sound beim Fahren", wurde kritisiert. "Warum werden überhaupt noch Autos mit Verbrennermotor gebaut?" Knopf ist überzeugt davon, dass die Elektroautos bald so billig werden würden, dass sich der Markt schnell reguliere.
Klimaaktivisten: Die Wut der Autofahrer gegen die Straßenblockaden konnten einige Schüler vehement nachvollziehen. Schnell konnte Katzenstein ihren Irrtum über den tragischen Unfalltod einer Radfahrerin in Berlin aufklären. Der Vorwurf, dass sie noch leben könnte, wäre eine Rettungsgasse dagewesen, habe die Notärztin entkräftet – zu schwer waren die Verletzungen. Die Politiker nutzten das Gespräch, um darüber aufzuklären, dass Autofahrer immer, auch in den dicksten Staus, verpflichtet sind, jederzeit Platz für Rettungsfahrzeuge machen zu können. "Es ist ärgerlich, dass dieser schreckliche Unfall benutzt wird, um gegen die Klimaaktivisten vorzugehen", sagte Katzenstein. Der Verkehr sei wie vor 30 Jahren das größte Problem bei CO² Emissionen, ein Drittel des Gesamtausstoßes in Deutschland käme aus dem Auspuff. "Die Klimaaktivisten tun das auch für euch!"
Demonstrationsfreiheit: "Wie darf man denn demonstrieren?", brachte Knopf das heftig diskutierte Problem auf den Punkt und stellte fest, dass Schüler bei Fridays for Future zugunsten erhöhter Aufmerksamkeit während der Schulzeit auf die Straße gingen. Martin Kohler dankte den Schülern für ihre Anmerkungen und kündigte an, in der nächsten Unterrichtsstunde den "Verhältnismäßigkeitsgrundsatz" zu erörtern. "Ihr seid so brav", meinte Knopf zum Ende der zweiten Schulstunde. Katzenstein widersprach. Knopf: "Hinterfragt kritisch, wer und was hinter einer Aussage steckt? Wer profitiert wovon?" So mache es vermutlich mehr Sinn, bei klimaschädlich agierenden Unternehmen als auf der Straße zu demonstrieren.
Das Pausensignal war nicht zu überhören. Das ist schade. Auch der beste Unterricht steckt im Zeitkorsett. Aber das nächste Highlight mit Diskussionsrunde ist geplant: Am 25. Januar besuchen die 9. Klassen der Realschule den Abgeordneten Katzenstein im Stuttgarter Landtag. Rektor Markus Hanke ist im Nachgespräch begeistert vom Engagement seiner Kollegen: "Wir wollen immer Anlässe schaffen, um die Kinder und Jugendlichen zu mündigen Bürgern reifen zu lassen."