Die Tendenz auszubilden geht gegen null
Mangelnde Eignung von Lehrstellen-Bewerbern im Handwerk nimmt nach Schlossermeister Helmut Steins Erfahrungen stetig zu

Im Schlosserhandwerk geeignete Azubis zu finden, gestaltet sich für einen Handwerksbetrieb offenbar zunehmend schwierig. Kaum einer will laut Helmut Stein heute noch in den Metallbau, und diejenigen, die sich bewerben, bleiben hinter den Ansprüchen zurück. Foto: pa
Von Hayo Eckert
Hirschhorn. Die Firma Metallbau Stein in Hirschhorn bildet seit vielen Jahren Lehrlinge aus. Der Inhaber kümmert sich intensiv um seine Lehrlinge und deren Ausbildungserfolg. Doch die Ausbildungssituation habe sich über die Jahre grundlegend verändert. In der Kritik stehen die persönliche Einstellung der Azubis, menschliche Faktoren, das soziale Umfeld, das Elternhaus, die Umgangsformen sowie die Schulausbildung.

Helmut Stein, Inhaber des Handwerksbetriebs Metallbau Stein in Hirschhorn. Foto: Eckert
Sie bilden in Ihrem Betrieb Lehrlinge aus. Wie viele Auszubildende haben Sie derzeit?
Helmut Stein: Wir bilden seit vielen Jahren aus. Derzeit haben wir einen Lehrling im zweiten Lehrjahr.
Haben Sie immer nur einen Lehrling in Ausbildung?
Früher hatten wir mehrere Auszubildende, rollierend in jedem Lehrjahr. Das heißt, es gab einen Auszubildenden im ersten Lehrjahr, einen im zweiten sowie einen im dritten.
Die Auftragslage im Handwerk ist in den letzten Jahren doch stabil. Warum hat der Betrieb jetzt weniger Auszubildende?
In den letzten zwei bis drei Jahren machten wir leider mehrheitlich schlechte Erfahrungen mit den Auszubildenden. Derzeit überlegen wir uns sogar, ob wir in den nächsten Jahren noch ausbilden wollen.
Hintergrund
(jbd) Auf hundert Jugendliche, die eine Lehrstelle suchen, kommen in diesem Jahr 104 Angebote. Über 43.000 Lehrstellen blieben bundesweit unbesetzt. Vor allem Betriebe im ländlichen Raum sind von einem Mangel an Bewerbern betroffen, stellte das Bildungsministerium in seinem
(jbd) Auf hundert Jugendliche, die eine Lehrstelle suchen, kommen in diesem Jahr 104 Angebote. Über 43.000 Lehrstellen blieben bundesweit unbesetzt. Vor allem Betriebe im ländlichen Raum sind von einem Mangel an Bewerbern betroffen, stellte das Bildungsministerium in seinem Berufsbildungsbericht fest. Im Rahmen einer mehrteiligen Serie haben wir uns in kleinen Handwerksbetrieben in der Region umgehört und uns nach der Ausbildungssituation erkundigt.
Ist die Ausbildungssituation einfach zu schwierig geworden?
Die Tendenz bei der Entscheidung, weiter auszubilden, geht eher zu Nein. Es kommen mehrere Faktoren zusammen. Ein Grund liegt in den sehr schlechten Schulabschlüssen. Überwiegend bewerben sich Hauptschüler, was generell auch passend wäre. Problematisch ist jedoch oft, dass die Schulausbildung durchaus Mängel aufweist, und keineswegs ausreichend ist. Daraus folgen Probleme in der Berufsschule. Es bestehen meist Wissenslücken in der Allgemeinbildung bis hin zum Fachwissen. Derzeit arbeiten die Berufsschulen schon mit Stütz- und Förderkursen, ergänzend zum Regel-Unterricht, um die Auszubildenden überhaupt durch die Lehre zu bringen.
Ein Hauptschulabschluss, insbesondere ein qualifizierter Hauptschulabschluss, müsste doch normalerweise eine gute Voraussetzung für einen Handwerksberuf sein. Wo liegen die größten Probleme und Defizite?
Mathematik ist ein großes Problem. Teils haben die Lehrlinge Schwierigkeiten, ohne Taschenrechner ihren Stundenzettel zusammenzurechnen. Also, die größten Mängel liegen in Mathe, Deutsch und Fachkunde. Dazu gehört auch die Physik.
Ist die Schulausbildung unzureichend geworden oder liegt es an den einzelnen Bewerbern?
Im Handwerk bewirbt sich mittlerweile der Bodensatz. Die sonst nirgendwo unterkommen, gehen ins Handwerk.
Einerseits bleiben viele Lehrstellen unbesetzt, andererseits finden viele Jugendliche keinen Ausbildungsplatz. Wie erklären Sie das?
Von den Bewerbungen um einen Ausbildungsplatz, die ich erhalte, sind in manchen Jahren keine brauchbaren dabei. Dann muss ich den Azubi-Kandidaten absagen und unsere Lehrstelle bleibt offen. So einfach ist die Erklärung. Das Arbeitsamt schickt viele der Jugendlichen ohne Ausbildungsplatz in eine "Auffanggesellschaft", einfach nur damit sie eine Ausbildung erhalten. Einige kommen dann als Praktikanten auch in unseren Betrieb. Aber denen geht alles am A... vorbei.
Welche Rolle spielt dabei das Elternhaus?
Man muss den Lehrlingen noch zeigen, wie man einen Besen hebt und fegt. So was habe ich in frühester Jugend zuhause schon gelernt. Es gibt einen Werteverfall. Viele der Auszubildenden sind unpünktlich und unzuverlässig; zumindest aus meiner Erfahrung. Bei 60 bis 70 Prozent ist unter anderem das soziale Umfeld schuld. Sie leben in problematischen Verhältnissen. Die Probleme im Betrieb fangen dann meist nach der Probezeit an, so nach drei bis vier Monaten
Das verlangt dem Ausbildungsbetrieb viel ab, weit über die Ausbildungsaufgabe hinaus, oder?
Ich kümmere mich viel um die Lehrlinge. Dabei werde ich oft auch mit deren privaten Belangen konfrontiert. Allerdings gehört das nicht unbedingt zur üblichen Fürsorgepflicht des Betriebes. Das belastet auch mich persönlich. In den vielen Jahren habe ich schon alles mögliche erlebt mit meinen Auszubildenden.
War die Ausbildungssituation früher besser?
Ich war in all den Jahren bemüht auszubilden. Von den Mitarbeitern, die bis vor circa acht Jahren die Ausbildung abgeschlossen haben, hat auch einer die Meisterausbildung durchlaufen und abgeschlossen. Das ist aber eher die Ausnahme. In den letzten Jahren gab es einen Absturz bei den Bewerberqualifikationen.
Wie sehen Sie die Zukunft für das Metallbau-Handwerk?
Kaum einer will heute noch in den Metallbau. Vor 30 Jahren gab es noch drei Klassen zu je dreißig Schlosserlehrlingen. Heute gibt es in Mosbach für Metall noch eine Klasse mit 15 Schülern. Zwei davon arbeiten in einem Handwerksbetrieb. Der Rest wird Industrieschlosser/ -mechaniker. Die Industrie zahlt einen besseren Lohn. Bessere Azubis wandern in die Industrie ab.
Haben Sie für den Ausbildungsbeginn im Herbst 2017 schon einen passenden Kandidaten gefunden?
Bis jetzt habe ich noch keine Bewerbung. Ich arbeite eng mit der Arbeitsagentur zusammen. Meist gehen Bewerbungen zwischen Juni und August ein. In Hessen läuft eine Ausbildungsinitiative des Landes mit Stichtag zum 31.3. Wenn ein Lehrvertrag bis zu diesem Stichtag abgeschlossen wird, dann gibt es eine Förderung: im ersten Lehrjahr zu 100 Prozent, im zweiten zu 50 Prozent. Da bei mir die Bewerbungen erst so spät eingehen, haben wir noch nie eine Förderung erhalten.
Haben Sie schon mal daran gedacht, einen Flüchtling als Auszubildenden einzustellen?
Ich stehe mit dem Arbeitsamt Mosbach in Kontakt. Die Flüchtlinge müssen erst die Sprachschule abschließen. Laut den letzten Infos stehen einige im zweiten oder dritten Quartal für eine Berufslehre zur Verfügung. Bin nicht abgeneigt. Dementsprechend möchte ich mir die Leute vorher anschauen. Ich erwarte mir viel davon.



