Eberbacher Flüchtlingsbasar: Wem's am Nötigsten fehlt, dem wird geholfen
Für den Flüchtlingsbasar im Dr.-Schmeißer-Stift opfert Wolfgang Court fast seine gesamte Freizeit. Jetzt sucht der Basar eine neue Bleibe.

Jeffrey Owie und seine Familie decken sich im kostenlosen Flüchtlingsbasar bei Wolfgang Court (l.) im Dr.-Schmeißer-Stift mit warmen Wintersachen ein. Foto: Christofer Menges
Von Christofer Menges
Eberbach. Jeffrey Owie hat einen langen Weg hinter sich. 2008 verstieß ihn sein Vater. In Nigeria hielt ihn nichts mehr. Das westafrikanische Land ist von religiösen Konflikten zerrüttet, das Militär gilt als korrupt, von Folterungen ist die Rede, die Scharia-Miliz Boko Haram, die sich inzwischen dem Islamischen Staat angeschlossen haben soll, wütet mit Anschlägen. Über Libyen kam Owie mit dem Schiff nach Italien. Dort hielt er sich mit Betteln auf der Straße über Wasser, weil er nicht arbeiten durfte - bis er mit seiner Frau und seinen Kindern den Weg nach Deutschland fand. Jetzt wohnt der 32-Jährige mit seiner Familie in der Flüchtlingsunterkunft des Kreises am Eberbacher Krankenhaus.
Es ist kalt in Eberbach. Oft fehlt es den Flüchtlingen am Nötigsten. Am Dienstag dürfen Owie, seine Frau und seine drei Töchter bei Wolfgang Court im Dr.-Schmeißer-Stift "einkaufen". Seit gut einem Jahr betreibt Court dort, im einstigen Vorzeigealtersheim, einen kostenlosen Flüchtlingsbasar. Seit dem frühen Morgen ist Court mit zwei Helfern zugange. Der eine ist Lehrer aus Albanien, der andere ein syrischer Arzt. Der Arzt fängt demnächst ein Praktikum im Lebensrad an - als Pflegehelfer. Eine Chance, in ihren erlernten Berufen zu arbeiten, haben sie momentan nicht. Also helfen sie Court dabei, anderen zu helfen.
Als der Eberbacher anfing, am 15. Januar 2015, brachte er Kleiderspenden, Hausrat und Möbel aus Haushaltsauflösungen in einem Zimmer am Nebeneingang des ehemaligen Pflegeanbaus unter. Inzwischen sind 600 Quadratmeter, fast das gesamte Erdgeschoss des Stifts, voll mit Hilfsgütern. In 15 Räumen und Gängen stapeln sich in Regalen nach Größen sortiert Kleider und Schuhe, im Wintergarten stehen Möbel und Hausrat, es gibt Bücher, Elektrogeräte, für die Frauen ein bisschen Kosmetik und Hygieneartikel- was der Mensch eben braucht, wenn er nichts oder nur wenig hat. "Von A wie Anzug bis Z wie Zuckerdose", wie Court sagt.
Fünf Frauen, Deutsche und Flüchtlinge, helfen beim Sortieren. Beim Möbelpacken schuften, Syrer, Serben, Albaner Hand in Hand. "Die arbeiten gut zusammen", sagt Court, "anfangs war das ein Problem: Da wollten die Syrer nur mit Syrern und die Serben wollten die Kosovo-Albaner nur die schweren Sachen tragen lassen." Inzwischen hilft jeder jedem.
Bis zu 15 Familien kommen pro Woche, um sich mit dem zu versorgen, was sie zum Leben brauchen, längst nicht nur Flüchtlinge, sondern zunehmend auch bedürftige Deutsche. Was es im Kaufhaus Kostenlos nicht gibt, findet sich oft im Stift. Die Diakonie schickt Leute vorbei. Wenn jemand etwa mit einem Hartz-IV-Bescheid seine Bedürftigkeit nachweisen kann, darf er sich eindecken - egal, woher er kommt.
Das geht nur nach Regeln: Wer kommen will, muss einen Termin ausmachen und 20 Euro Kaution hinterlegen, damit sichergestellt ist, dass er kommt. Das Geld gibt es zurück. Die Familien haben eine Stunde Zeit, sich auszusuchen, was sie wollen und brauchen. Im Moment ist vor allem warme Bettwäsche gefragt. Für Fernseher und Fahrräder für Kinder und Erwachsene ist Bedarf. Auch Herrenkleidung in kleinen und mittleren Größen und Teenagerkleidung für Jungs bis Größe 176 fehlt. "Die Flüchtlinge sind in der Regel schlanker als wir", schmunzelt Court, "die haben keine Wohlstandsbäuche."
Für sein Hilfsprojekt opfert Court fast seine ganze Freizeit. "Bis November war das eine Sieben-Tage-Woche", sagt er. Morgens um 7 Uhr aus dem Haus, dienstags, freitags und samstags von morgens 8.30 Uhr bis mindestens nachmittags um 14 Uhr im Stift, oft länger, abends und an anderen Tagen bei Haushaltsauflösungen und spendenbereiten Leuten im Umkreis Brauchbares abholen. Dazu hilft er den erwachsenen Flüchtlingen beim Papierkrieg mit den Behörden, den Kindern bei den Hausaufgaben. "Bis Ende letzten Jahres habe ich auch sonntags noch Termine gemacht, dann hat mir meine Frau die Rote Karte gezeigt. Das ist zum Fulltime-Job geworden. Das war so gar nicht geplant."
Momentan hat Court nur ein Problem: Am Mittwoch, 6. April, werden den Mitgliedern des Vereins Stiftung Altersheim Pläne und Kostenschätzung für den Umbau des seit mehr als fünf Jahren leer stehenden Stifts zum betreuten Wohnen vorgelegt. Stimmen die Mitglieder zu, kann der Umbau beginnen, sobald er genehmigt ist, möglicherweise im November, eventuell schon früher. "Da wage ich noch keine Prognose abzugeben", sagt Bürgermeister und Vereinsvorsitzender Peter Reichert. Dann müsste Court mit seinem Flüchtlingsbasar wegen der Vorarbeiten spätestens Ende August, Anfang September das Gebäude räumen, das ihm der Verein bislang kostenlos zur Verfügung gestellt hat. Der Vorstand hat bereits um ein Gespräch und eine Besichtigung gebeten.
Die Räumung sieht Court dabei weniger als Problem: "Mit meinen Helfern brauche ich eine Woche, dann ist das leer." Vielmehr fehlt es derzeit noch an einer Alternative: an einer Halle, einem leerstehenden Gebäude in Eberbach, das halbwegs gut erreichbar ist und momentan nicht gebraucht wird. "Wenn ich keine neuen Räumlichkeiten fände, müsste ich die Aktion einstellen", bedauert Court.
Dabei ist die Hilfe oft nötig. "Letzthin kam hier ein Junge barfuß in Flipflops an. Dem hab ich gleich mal ein paar Wintersocken verpasst", berichtet der Ehrenamtliche. Wintersocken bekommt auch Jeffrey Owie für seine drei Töchter. Die Älteste ist sechs, die mittlere vier, die kleinste, neun Monate alt, hängt in einem Tragesack auf Mamas Rücken. "Papa", zupft die Große an Courts Ärmel - die Afrikaner sagen alle "Papa" zu Court, auch die Erwachsenen, so gebieten es Tradition und Respekt - "Papa, I need a schoolbag." Seit kurzem geht die Sechsjährige zur Schule. Also darf sie sich, auch das findet sich, einen Schulranzen aussuchen. Der Scout, pink, mit Herzchen und Glitzer, wird gleich umgehängt. Stolz flitzt das Mädchen durch die Gänge des Stifts davon, um ihn Papa und Mama zu zeigen. Dann kommt die Sechsjährige übers ganze Gesicht strahlend noch einmal zurückgerannt: "Dankeschon", sagt sie.
Info: Wer Wolfgang Court bei seinem ehrenamtlichen Flüchtlingsbasar unterstützen will - sei es mit Spenden oder Räumlichkeiten - kann sich unter Telefon (0 62 71) 67 02 melden.



