Als die Stadt kein Heilbad mehr war
Vor 25 Jahren musste die Stadt das Prädikat "Ort mit Heilquellen-Kurbetrieb" abgeben. Das älteste Heilwasser in West- und Mitteleuropa wurde dann abgedreht.

Von Rainer Hofmeyer
Eberbach. Dann war Eberbach wieder eine normale Kleinstadt am Neckar und im Odenwald. Keine Option mehr auf das "Bad" vor dem Namen. Alles ging wieder seinen ohnehin gewohnten, gemüßigten Gang: Am 26. September 1996, jetzt vor 25 Jahren, gab Eberbach offiziell sein Prädikat "Kurort" zurück.

Die Kureinrichtungen wurden geschlossen, die stadteigene Kurverwaltung war bereits aufgelöst. Jetzt wurde der Heilwasserhahn zugedreht. Und ganz drunten in der Erde im Zechstein, unter dem Odenwälder Buntsandstein, hatte die stark mineralhaltige Eberbacher Sole wieder ihre Ruhe. Dass Eberbach kein Heilbad blieb, soll nicht am Heilwasser gelegen haben. Das ist schließlich eine Rarität und hat ausgeprägte Mineralanteile. Mit einem Ursprung von vor rund 200 Millionen Jahren wird es in West- und Mitteleuropa nirgendwo überboten: Mehr Alter gibt es nur in Osteuropa. Es waren die äußeren Umstände, dass Eberbach keine Kurstadt blieb.
Dabei sollte alles eine Erfolgsgeschichte nach dem Zweiten Weltkrieg werden. 1947 wurde die alte Heilquelle in 55 Meter Tiefe wieder entdeckt, als man auf dem Gelände der Rosenbrauerei in der Alten Dielbacher Straße nach Brauwasser gesucht hat. Das Wasser schlug bei Allgemeinarzt und Wünschelrutengänger Dr. Ernst Hartmann an. Doch Salzwasser war nicht gut fürs Eberbacher Bier. Das Vorhaben wurde erst mal eingestellt. Eine Überraschung hätte es eigentlich nicht sein dürfen, dass Eberbach Heilwasser hat.

Denn ein Blick ins Stadtarchiv zeigt eine alte originale Schrift: Medicus Georgius Marius berichtete bereits 1584 von der heilenden Wirkung der Eberbacher Quelle. 1572 hat der Basler Gelehrte Leonhard Thurnheysser zum Thurn schon über den Eberbacher Heilbrunnen geschrieben.
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Im Mittelalter war das Eberbacher Wasser noch von sich aus an die Oberfläche gesprudelt, wahrscheinlich beim Schafacker ausgetreten und hatte für reinliches und sonstiges Vergnügen im Alten Badhaus gesorgt. Eine Bodenprobe dort, bei der Sanierung gewonnen, zeigte mineralische Spuren in einer ähnlichen Zusammensetzung wie das Nass aus der Tiefe der Erde. Ab 1955 standen die Eberbacher Signale auf Kur. Dr. Hartmann ließ bei der Rosenbrauerei dann doch eine Bohrung niederbringen, auf eigenes finanzielles Risiko. Statt Brau- wollte man jetzt Heilwasser erschließen. Die Expertise ergab den Quelltyp Natrium-Calcium-Chlorid plus Brom. Hartmann wurde einer der beiden offiziellen Eberbacher Badeärzte und zusammen mit der Stadt und der Rosenbrauerei Gesellschafter der Eberbacher Heilbrunnen GmbH.
1955 wurde auch der Grundstein für die neue Eberbacher Stadthalle gelegt, als großes Veranstaltungsgebäude. Initiator war Bürgermeister Dr. Hermann Schmeißer. Die Idee für das Haus hatte er schon aus seiner ersten Amtszeit im Dritten Reich. Bau der Stadthalle und Erschließung der Heilquelle kreuzten sich. Die Stadthalle wurde zwar bereits im Stil eines Kurhauses gebaut. Aber offiziell zu einem solchen wurde es erst, als Stadthallen-Pächter Oberdorfer frechweg auf seinen Speisenkarten mit "Kurhaus Eberbach" firmierte.

Bürgermeister Schmeißer machte aus Eberbach ab 1956 eine Kurstadt. Heilwasser wurde vom Brauereigrundstück auf Leitungen ins Kurhaus geliefert. Dort konnte man sich das Nass aus einem Trinkbrunnen im Nierentisch-Stil abfüllen. Weitere Stränge liefen zur Bussemerstraße ins damalige städtische Badewannenhaus. Die Heilanzeigen der Eberbacher Quelle waren rheumatische Erkrankungen, wenn man sich damit in der Badewanne guttat, und chronische Erkrankungen der Atemwege und Störungen des Magen-Darm-Traktes, wenn man sich den einen oder anderen salzigen Schluck gönnte. Eberbach trat Anfang 1961 dem Deutschen Bäderverband bei. Bade-, Trink-, Inhalations- und Mundkuren wurden verordnet. Am Itterberg gab es einen Terrainkurweg. Und an der Neckarseite wurde von Kurhaus bis Berufsschule ein schmaler Kurpark angelegt, abgeschlossen durch die heute noch laufenden Wasserspiele. Neben der Quelle beim Rosenbräu wurde 1964 sogar eine zweite Schüttung im Karlstal erschlossen, fast mit gleicher Zusammensetzung wie beim Bohrloch Nummer 1. Jetzt glaubte man endgültig an den Eberbacher Aufschwung. Als höchstes Prädikat bekam Eberbach 1967 die Auszeichnung "Luftkurort mit Heilquellen-Kurbetrieb". Schmeißer hatte den "Luftkurort" schon 1958 beantragt. Da gab es 326 Betten in Gaststätten und Hotels, 140 in Privatquartieren. Die Luft im Odenwald war ohnehin gut. Und an heißen Sommertagen fuhren Sprengwagen mit Wassertanks durch die Stadt, die auch den letzten Staub auf den Straßen niedersprühten.

Die Zahl der in Eberbach angekommenen Kurgäste stieg bereits ab 1956 an, aber ein Weltbad wurde nicht draus. 1965 wurden 882 Kurgäste gezählt, 1967 waren es 1053.
Spitzenwerte: 1500 Kurgäste
Die Spitzenwerte lagen 1969 bis 1973 bei knapp 1500 – im ganzen Jahr. Im April 1969 fantasierte man tatsächlich von "Bad Eberbach" – und das schon "in absehbarer Zeit". Da wurde das Kurheim in der Bussemerstraße, in der heutigen Volkshochschule, untergebracht. Mit fünfzehn Gästen war allerdings das Haus schon voll belegt. Die restlichen Kurgäste verteilten sich auf Hotels oder Privatunterkünfte.
Schmeißer hatte im Höhepunkt seiner Amtszeit in den 1960er-Jahren drei große Anliegen: Ausbau der Kernstadt zu einem Einzelhandelsparadies mit ausreichend Parkmöglichkeiten und neuen Wohnungen, ein neues Rathaus und "Bad Eberbach" mit einem großen Kurzentrum, und das in der Au. Hüben die neugebaute Bürgermeisterei beim Pulverturm, drüben das neue große Kurgebiet auf freiem Gelände, so Schmeißers Idee.
Als 1973 Horst Schlesinger Bürgermeister wurde, hatte sich allerdings die negative Stimmung in der Stadt um Schmeißers Rathausidee hochgekocht. So wurde dem geplanten Amtshaus zwischen B 37 und Kellereistraße aus Trotz nur eine direkte Alternative entgegengesetzt: ein kleines Kurmittelhaus beim Thalheim’schen Haus. Dabei hätte es auch eine Lösung mit Schmeißers Standorten geben können: das große Kurzentrum mit allen notwendigen Einrichtungen in die Au. Das Rathaus kam ohnehin später in den "Leininger Hof" am Leopoldsplatz.
Abwegig war Schmeißers Standortidee in Sachen Kur durchaus nicht. In Fachkreisen sieht man heute, dass sein Ansatz grundsätzlich besser gewesen wäre als die enge Lösung in der Altstadt, die später auch nicht mehr den offiziellen Anforderungen genügt hätte. Denn in der Au wäre genügend Platz gewesen für Erweiterungen des Kurbetriebes, sogar für ein großes Kurhotel. So blieb der kleine Wurf.
Mit den nächstgelegenen traditionellen Heilbädern konnte Eberbach als Newcomer nicht konkurrieren. Es gab wenigstens noch einen kleinen Höhepunkt. 1984 wurde "400 Jahre Eberbacher Heilbrunnen" gefeiert. Drei Wochen Jubiläums-Pauschalkur kosteten 1010 Mark mit Unterkunft in Privatzimmern. Im Hotel untergebracht, zahlte der Kurgast 1860 Mark.

Es ging aber allüberall bergab. Bundessozialminister Norbert Blüm war schuldig auch am Niedergang des Eberbacher Kurwesens. Mitte der 1980er Jahre machte der kleine Mann große Reformwellen. Ein "Krankenversicherungs-Kostendämpfungsgesetz" jagte das andere. Ab 1990 gab es einen bundesweiten Einbruch bei den Kuren. Große Kurstädte konnten sich gerade noch halten. Eberbach traf der Abschwung voll. Der heimische Kur-Betrieb wurde immer mehr zum Zuschuss-Betrieb. So kam das Ende eines ohnehin nur von wenigen geträumten Traumes.
Wäre die Eberbacher Kur mehr gewesen als nur das kleine Kurmittelhaus in der Kellerei- und das Kurheim in der Bussemerstraße, hätte sie vielleicht eher überlebt, meint heute Reiner Heun. Aber sicher kann er sich da nicht sein. Heun war von 1978 bis 1993 "Geschäftsführer der Eberbacher Kurverwaltung", quasi Kurdirektor: "Das Eberbacher Wasser ist das mineralreichste in ganz Baden-Württemberg, hinter der Bad Cannstatter Quelle in Stuttgart". Es hätten aber auch die "Leistungsträger" in der Stadt mitspielen müssen. Schon Bürgermeister Schmeißer hatte vorhergesagt, dass Eberbach nur dann erfolgreich eine Kurstadt werden könne, "wenn jeder Bürger persönliche Interessen der Gesamtplanung unterordnen" würde. Jeder Bürger!

Doch selbst das Heilwasser mit Geschmack, die "König Heinrich Limonade", wurde von den Einheimischen nicht richtig angenommen. Eigentlich war niemand in der Stadt sehr auf Aufschwung und balneologischen Fortschritt eingestellt, wie sich Heun heute erinnert. Er meint damit all diejenigen, die in Hotellerie und Fremdenverkehrsgewerbe hätten dazu beisteuern sollen. Auch der Gemeinderat war kein Antreiber.
Dass Heun Kurverwaltung beherrschte, bewies er nach seinem Weggang aus Eberbach. Er übernahm die Kur in Bad Wimpfen mit 400 Mitarbeitern. In Bad Düben in Sachsen baute Heun ab 1999 das Kurzentrum Heide Spa auf, das ein "Vier-Sterne-Superior Wellness Hotel" mit 200 Betten und zwei Restaurants nach sich zog. Letztlich hat Heun dort 70 Millionen Euro angelegt und wurde bei seinem Abgang 2016 als "Mister Heide Spa" verabschiedet. Eberbachs Bäder-Tradition hätte eigentlich schon vor Jahrhunderten beginnen müssen. So ist heute aus der Stadtgeschichte nicht mehr als ein heilsames Wässerlein überliefert, mit dem man dereinst im Alten Badhaus planschte. Anfang 1994 stellte die Kurverwaltung Eberbach GmbH ihr eigenes Angebot ein, ein Pächter machte noch weiter. Zwei Jahre später, am 26. September 1996, entschied der Gemeinderat, das Prädikat "Ort mit Heilquellen-Kurbetrieb" zurückzugeben.
Die kleine Lösung mit dem Kurmittelhaus in der Kellereistraße war dann am Ende doch wohl das Beste. Sonst stünde vielleicht heute ein leeres Kurmittelhaus mit einem verlassenen Hotel in der Au. Eberbachs Kurhaus überlebte jedenfalls und wurde wieder das, was in den Bauplanungen von 1955 stand: die Stadthalle.



