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Landrat Brötel kritisiert Aus der Notfallpraxis scharf (Update)

"Leidtragende sind einmal mehr die Patienten". Ursache ist ein Urteil des Bundessozialgerichts.

25.10.2023 UPDATE: 25.10.2023 18:12 Uhr 4 Minuten, 44 Sekunden
Der Schalter für den Ärztlichen Bereitschaftsdienst im Buchener Krankenhaus ist verwaist: Die Kassenärztliche Vereinigung hat das Angebot vorübergehend eingestellt. Foto: Rüdiger Busch

Buchen/Stuttgart. (rüb) "Das ist geradezu wieder einmal ein Lehrbuchbeispiel dafür, dass Deutschland momentan dabei ist, sich Schritt für Schritt selbst abzuschaffen", sagte Landrat Dr. Achim Brötel am Mittwoch in einer Stellungnahme zur überraschenden Schließung der Notfallpraxis am Buchener Krankenhaus durch die Kassenärztliche Vereinigung Baden Württemberg (KVBW) (siehe unten).

Hintergrund ist eine Entscheidung des Bundessozialgerichts, wonach künftig eine Sozialversicherungspflicht für Ärzte gelten soll, die als so genannte Poolärztinnen und -ärzte freiwillig in Bereitschaftsdienstpraxen tätig sind. Der Rettungsdienst und die Notaufnahmen sind von dem Urteil nicht betroffen.

"Leidtragende dieser Entwicklung sind aber nicht die Richterinnen und Richter des Bundessozialgerichts, die diese weltfremde Entscheidung getroffen haben. Leidtragende sind einmal mehr die Patientinnen und Patienten, und ganz besonders die im ländlichen Raum, wo es schon jetzt deutlich zu wenig Arztpraxen im niedergelassenen Bereich gibt", kritisierte Brötel. Selbst von den rund 3000 Poolärzten, die momentan den ärztlichen Bereitschaftsdienst leisten, wolle so gut wie keiner eine Sozialversicherungspflicht. Und: "Jetzt wird dieses System, das die KVBW in Buchen ohnehin nur noch auf Sparflamme betrieben hat, vollends kaputt gemacht." Der Ärztliche Bereitschaftsdienst am Krankenhaus in Buchen stand den Patienten nur von freitags bis sonntags sowie feiertags offen.

Die Folgen sind für Brötel klar: "Künftig werden noch mehr Menschen auf der Suche nach ärztlicher Hilfe in den Notaufnahmen unserer Kliniken oder beim Rettungsdienst aufschlagen, wo sie von ihrer medizinischen Indikation her aber schlicht nicht hingehören. Für uns als Krankenhausträger ist das schon jetzt ein beträchtlicher Faktor, der zum finanziellen Verlust der Neckar-Odenwald-Kliniken beiträgt."

Dabei wäre, so Brötel, alles so einfach zu lösen: "Für die Poolärzte sind, weil sie ihre Tätigkeit als Selbstständige ausüben, schon bisher keine Beiträge zur Sozialversicherung entrichtet worden. Der Bundesgesetzgeber könnte mit einem einzigen Satz in der gesetzlichen Regelung klarstellen, dass das auch künftig so bleibt. Niemand hätte einen Verlust davon: die Sozialversicherung nicht, weil sie schon bisher nichts bekommen hat, die Poolärzte nicht, weil sie in Wirklichkeit selbstständig tätig sein möchten, vor allem aber auch die Patienten nicht, weil dann nämlich die bewährten Strukturen bestehen bleiben könnten."

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Baden-Württemberg habe dazu dankenswerterweise zusammen mit anderen Bundesländern schon längst eine entsprechende Gesetzesinitiative über den Bundesrat gestartet. Der Bund habe es aber nicht für nötig befunden, sich damit zu beschäftigen. "Nur durch Liegenlassen erledigen sich die Dinge aber halt nicht. In meinen Augen ist dieses Versagen der Politik zutiefst ärgerlich. Ich hoffe deshalb sehr, dass wenigstens jetzt in Berlin endlich einmal jemand aufwacht und handelt. Da steht nämlich ein zentraler Baustein der ärztlichen Versorgung im ländlichen Raum auf dem Spiel. Die Koalitionsfraktionen müssen jetzt endlich handeln, damit der ärztliche Bereitschaftsdienst zeitnah wieder seine Tätigkeit aufnehmen kann."

Enttäuscht reagierte auch Baden-Württembergs Gesundheitsminister Manne Lucha auf die aktuelle Entscheidung des Bundessozialgerichts: "Die ambulante ärztliche Versorgung außerhalb der regulären Sprechstunden gehört zu den unverzichtbaren Interessen des Allgemeinwohls und muss der Bevölkerung uneingeschränkt und niederschwellig zur Verfügung stehen. Mit der Entscheidung des Bundessozialgerichts ist dem ärztlichen Bereitschaftsdienst in Baden-Württemberg in seiner jetzigen und gut funktionierenden Form die rechtliche Grundlage entzogen."

Info: Folgende Notfallpraxen stehen in der Region zur Verfügung: Eberbach, Mosbach, Bad Mergentheim und Wertheim. Die Öffnungszeiten: www.kvbawue.de/patienten/praxissuche/notfallpraxis-finden.

Update: Mittwoch, 25. Oktober 2023, 18.10 Uhr


Notfallpraxis ab Mittwoch geschlossen

Buchen. (rüb/pm) Die Pressemitteilung kam überraschend und kurz vor Redaktionsschluss: Um 17.08 Uhr teilte die Kassenärztliche Vereinigung Baden-Württemberg (KVBW) am Dienstag kurz und knapp mit, dass die Notfallpraxis Buchen am Standort der Neckar-Odenwald-Kliniken in der Dr.-Konrad-Adenauer-Straße vorübergehend geschlossen werden muss – und zwar ab Mittwoch.

Die Neckar-Odenwald-Kliniken in Buchen. Archiv-Foto: Andreas Hanel

Ausschlaggebend ist ein Urteil des Bundessozialgericht (BSG) in Kassel. Das hatte am Dienstag entschieden, dass ein Zahnarzt, der als sogenannter "Pool-Arzt" im Notfalldienst der Kassenzahnärztlichen Vereinigung Baden-Württemberg tätig ist, aufgrund dieser Beschäftigung der Sozialversicherungspflicht unterliegt. Diese Entscheidung hat auch weitreichende Auswirkungen auf den ärztlichen Bereitschaftsdienst der KVBW. Die reagiert darauf mit einem ab sofort wirksamen Notfallmaßnahmenplan.

Bisher übernahmen rund 3000 "Pool-Ärzte" freiwillig Dienste im ärztlichen Bereitschaftsdienst. Sie spielen für die Versorgungsstruktur eine wesentliche Rolle. Etwa 40 Prozent aller Dienste in den 115 Notfallpraxen und für die medizinisch erforderlichen dringenden Hausbesuche wurden bis heute von den Poolärzten geleistet, so die KVBW.

Laut Pressemitteilung des BSG führe allein die Teilnahme am vertragszahnärztlichen Notdienst nicht automatisch zur Annahme einer selbstständigen Tätigkeit. Wegen der Eingliederung in die von der Kassenzahnärztlichen Vereinigung organisierten Abläufe war der klagende Zahnarzt abhängig beschäftigt. Auf die organisatorischen Abläufe hatte er keinen entscheidenden, erst recht keinen unternehmerischen Einfluss. Er fand eine von dritter Seite organisierte Struktur vor, in der er sich fremdbestimmt einfügte. Allein die freie und eigenverantwortliche zahnärztliche Tätigkeit rechtfertige keine Befreiung von der Sozialversicherungspflicht.

Da der Bereitschaftsdienst der KVBW in seiner Organisationsstruktur wesentliche Ähnlichkeiten mit dem zahnärztlichen Bereitschaftsdienst aufweist, sei die Entscheidung übertragbar, heißt es von Seiten der Kassenärztlichen Vereinigung. Das bestehende System des ärztlichen Bereitschaftsdienstes in Baden-Württemberg könne daher in der bisherigen Form nicht weitergeführt werden.

"Das Urteil zwingt uns, eine Notbremse zu ziehen und sofortige Maßnahmen zu ergreifen. Das heißt, dass wir heute mit sofortiger Wirkung die Tätigkeit der Pool-Ärztinnen und Pool-Ärzte im ärztlichen Bereitschaftsdienst beenden", erklären die KVBW-Vorstände Dr. Karsten Braun und Dr. Doris Reinhardt. "Wir waren auf Bundes- und Landesebene aktiv, um eine politische Lösung herbeizuführen – leider bislang ohne Erfolg".

Der Wegfall der Pool-Ärzte könne nicht auf die Schnelle kompensiert werden, sodass in der Zeit der "Notbremse" die Zahl der Notfallpraxen und Fahr-dienste reduziert werden muss. "Selbstverständlich stellen wir den Ärztlichen Bereitschaftsdienst als KVBW weiterhin sicher. Den bisherigen Umfang des ärztlichen Bereitschaftsdienstes können wir allerdings allein mit unseren niedergelassenen Vertragsärztinnen und -ärzten nicht stemmen, denn parallel müssen wir auch die Regelversorgung sicherstellen. Das ist schwierig genug, denn aktuell sind rund 1000 Arztsitze in Baden-Württemberg nicht besetzt", beschreibt Dr. Doris Reinhardt die angespannte Lage.

Der Notfallplan umfasst die Schließung von acht Notfallpraxen (neben Buchen sind dies Geislingen, Schorndorf, Möckmühl, Kirrlach, Künzelsau, Bad Säckingen und Schopfheim), und die Teilschließung von Notfallpraxen unter der Woche.

Die KVBW-Vorstände weisen darauf hin, dass es sich bei dem vorgelegten Notfallplan um eine Übergangslösung handelt. Wie die Struktur des ärztlichen Bereitschaftsdienstes in Baden-Württemberg künftig aussehen wird, sei noch offen. "Das werden wir erst entscheiden, wenn uns die schriftliche Urteilsbegründung vorliegt und wir alle Details kennen. Wir bedauern sehr, zu dieser Maßnahme gezwungen zu werden und hoffen nun auf eine praktikable Lösung durch die Politik."

Der ärztliche Bereitschaftsdienst ist nicht zu verwechseln mit dem Rettungsdienst, der in lebensbedrohlichen Fällen Hilfe leistet. Bei Notfällen, wie Herzinfarkt, Schlaganfall und schweren Unfällen, ist der Rettungsdienst unter Tel. 112 zu alarmieren.

Info:  Bundesweite Rufnummer für den Notfalldienst: 116.117.


Als Alternativen nennt die Kassenärztliche Vereinigung für die Betroffenen:

> Allgemeine Notfallpraxis Eberbach

GRN-Klinik Eberbach, Notfallpraxis Eberbach

Scheuerbergstr. 3, 69412 Eberbach

Öffnungszeiten: Samstag 8 - 8 Uhr, Sonntag und Feiertage 8 - 7 Uhr.

 

> Allgemeine Notfallpraxis Mosbach

Neckar-Odenwald-Kliniken gGmbH - Standort Mosbach

Notfallpraxis Mosbach, Knopfweg 1, 74821 Mosbach

Öffnungszeiten:

Montag: 19 - 22 Uhr,

Dienstag: 19 - 22 Uhr;

Mittwoch: 13 - 22 Uhr;

Donnerstag: 19 - 22 Uhr;

Freitag: 19 - 22 Uhr,

Samstag, Sonntag und Feiertage: 10 - 20 Uhr.

 

> Allgemeine Notfallpraxis Bad Mergentheim

Caritas-Krankenhaus Bad Mergentheim gGmbH

Notfallpraxis Bad Mergentheim, Uhlandstr. 7, 97980 Bad Mergentheim

Öffnungszeiten: Samstag, Sonntag und Feiertage 10 - 18 Uhr.

 

> Allgemeine Notfallpraxis Wertheim

Mittwoch & Freitag:Ärztezentrum Wertheim, Bahnhofstr. 33, 97877 Wertheim am Main

Samstag, Sonntag, Feiertag: Rotkreuzklinik Wertheim gGmbH, Rotkreuzstr. 2, 97877 Wertheim am Main

Öffnungszeiten:

Mittwoch: 13 - 18 Uhr;

Freitag: 16 - 18 Uhr,

Samstag, Sonntag und Feiertage: 10 - 18 Uhr.

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