Glänzende Premiere hinter Adelsheimer Gefängnismauern
Das Landesjugendorchester erarbeitete mit jungen Gefangenen in Adelsheim eine Neufassung von Schuberts Opernfragment "Die Bürgschaft"

In einem außergewöhnlichen Musikprojekt studierten das Landesjugendorchester, Musiker der Musikschule Möckmühl und junge Strafgefangene an der JVA Schuberts Opernfragment "Die Bürgschaft" ein. Nach der glänzenden Premiere hinter Gefängnismauern wird die mitreißende Opernproduktion am Wochenende in Möckmühl und Baden-Baden öffentlich aufgeführt.
Von Harald Kielmann
Adelsheim. Hinter den Mauern der Vollzugsanstalt Adelsheim feierte Schuberts Opernfragment "Die Bürgschaft" in einer Neufassung von Anna Sophie Brüning und Paula Fünfeck eine faszinierende Premiere, nachdem Musiker des Landesjugendorchesters Baden-Württemberg und der Musikschule Möckmühl mit jungen Gefangenen in einem erneuten Musiktheater-Projekt die außergewöhnliche Aufführung erarbeitet hatten.
Franz Schubert schrieb 1816 im Alter von 19 Jahren die Oper "Die Bürgschaft" nach der gleichnamigen Ballade von Friedrich Schiller. Das Werk ist als Fragment von 15 vollendeten und einer unvollendeten Nummer erhalten. Es wurde bisher erst zwei Mal - 1908 in Wien konzertant und an der Friedrich-Schiller-Universität in Jena im Rahmen des Schiller-Jahres 2005 - szenisch aufgeführt.
Mit dem Libretto von Paula Fünfeck und in der Konzeption/Neufassung von Anna Sophie Brüning und Paula Fünfeck kommt "Die Bürgschaft" nun zum dritten Mal zur Aufführung, und das in einer ganz ungewöhnlichen Art. Die Erarbeitung fand nämlich im Rahmen des Projekts "Apollo 18! - Musiktheater im Jugendknast" in der JVA Adelsheim statt.
Seit einigen Jahren pflegen Anna Sophie Brüning und Paula Fünfeck eine einzigartige Verbindung zwischen klassischer "Hochkultur" und jungen Menschen, die mit dem Gesetz in Konflikt geraten und deshalb für eine Zeit hinter hohen Mauern weggeschlossen sind.
Musiker des Landesjugendorchesters Baden-Württemberg und der Musikschule Möckmühl kommen im Rahmen des Projekts an die JVA Adelsheim und erlernen und erarbeiten gemeinsam mit jungen Gefangenen Musiktheater auf ungewöhnliche Weise. Für die Strafgefangenen stellt die Teilnahme an einer Opernproduktion eine große Herausforderung dar; gefordert sind Disziplin, Pünktlichkeit, Teamarbeit, Gefühl und Sensibilität. Anna Sophie Brüning nennt die Teilnahme der jungen Leute einen "kulturellen Bungeesprung".
Worum geht es in Schuberts "Bürgschaft"? In einer Diktatur überreden Verschwörer Damon (Simon Stricker) zu einem Attentat auf den Diktator König Dioysos (gespielt von Christopher X.), das allerdings misslingt. Damon wird zum Tode verurteilt, kann aber beim König einen dreitägigen Aufschub erwirken, um seine Schwester Anna (Lisa Böhm) durch Heirat zu versorgen. Damons Freund Kostas (Jongwook Jeon) stellt sich als Geisel zur Verfügung: im Falle einer verspäteten Rückkehr würde die Geisel stellvertretend für den Schuldigen getötet, dem Attentäter jedoch die Freiheit geschenkt.
Nach einigen Verwicklungen gelingt Damon die Rückkehr in letzter Sekunde, er verlangt hingerichtet zu werden. Dioysos ist durch die Tiefe der Freundschaft zwischen Damon und Kostas so ergriffen, dass er von der Hinrichtung ablässt und um Aufnahme in ihren Freundschaftsbund bittet.
In der Hinrichtungsszene bricht Schuberts Oper ab und lässt Fragen und Möglichkeiten offen. In der Fassung von Fünfeck/Brüning endet das Stück mit einem Diskurs über die Zulässigkeit einer Hoffnung auf das sogenannte Gute im Menschen, in den sich auch die Bürger der Zukunft in Gestalt der ungeborenen Kinder einschalten.
Obwohl der Inhalt von der heutigen Realität weit entrückt erscheint, gelingt es dem Libretto von Paula Fünfeck, die Geschichte in einer Sprache zu erzählen, die Bezüge zum Leben aller an der Produktion Beteiligten und der Zuschauer herzustellen vermag.
Für die Vor-Premiere war die Turnhalle der JVA zum Theaterraum umgestaltet worden. Mit einfachen, aber sorgfältig ausgewählten Mitteln gelang es, ein Bühnenbild herzustellen, das die Halle als perfekten Spielraum erscheinen ließ, und in das geschickt Videos, für die Louis von Adelsheim und Klaus Kühnel verantwortlich zeichneten, integriert waren.
Zu Beginn sprintete Anna Sophie Brüning quer durch die Halle zu ihrem Dirigentenpult, konterkarierte damit den üblichen zeremoniell-erhabenen Auftritt von Dirigenten, ließ aber damit schon erahnen, dass sie das professionell agierende Landesjugendorchester schwungvoll, rhythmisch präzise und mitreißend durch Schuberts Musik führen würde.
Mit Simon Stricker, dem Bariton von der Oper Stuttgart, der Sopranistin Lisa Böhm aus Stuttgart und Jongwook Jeon, der aktuell am Theater Heilbronn in "Cosi fan Tutte" zu sehen ist, waren Solisten im Alter von Mitte Zwanzig am Werk, die der Produktion mit exzellenter stimmlicher und schauspielerischer Qualität Glaubwürdigkeit und Struktur gaben.
Ihnen stand Christopher X. aus der JVA in der Rolle von König Dioysos nicht nach. Gesanglich natürlich nicht in gleicher Weise ausgebildet, gelang es ihm, mit roher und gleichzeitig klarer Stimme und schauspielerischem Talent gleichwertig neben den "Profis" auf der Bühne zu bestehen und seine Rolle spannend zu gestalten. Dass er zudem die Rolle des Philostratus übernahm, macht seine Leistung doppelt bemerkenswert. Der Chor, der vom Jugendchor der Musikschule Möckmühl und musikalisch interessierten Gefangenen gebildet wurde, gab der Inszenierung zusätzliche Power - musikalisch wie auch tänzerisch.
Vollkommen zu Recht gab es nach gut zwei Stunden Standing Ovations für alle, die diese ungewöhnliche, hochinteressante und mitreißende Opernproduktion möglich gemacht haben. Sehr unterschiedliche Lebenswelten sind sich in dieser Arbeit begegnet, und es spricht viel dafür, dass auf allen Seiten wichtige Erfahrungen gemacht worden sind und die Hoffnung von Anna Sophie Brüning und Paula Fünfeck, "zu emotionalen Kehrtwenden und Aufbrüchen anzuregen", sich realisiert.
Außerhalb der JVA gibt es am Wochenende zwei Mal die Gelegenheit, diese besondere Aufführung erleben: Am Samstag, 14. November, um 18 Uhr in der Jagsttal-Halle in Möckmühl, und am Sonntag, 15. November, um 17 Uhr im Theater Baden-Baden.



