Buchen

Buchautor wurde gemobbt und wollte "mit zwölf Jahren tot sein"

Bei der Schulthemenwoche "Herz statt Hetze" sensibilisiert Norman Wolf Schüler zum Thema Mobbing. Sein neues Buch erscheint im Oktober.

18.04.2024 UPDATE: 18.04.2024 04:00 Uhr 3 Minuten, 38 Sekunden
Im Rahmen der Schulthemenwoche besuchte Norman Wolf zehn Schulen des Mittelbereichs Buchen. Unser Foto zeigt stellvertretend seinen Besuch am BGB. Foto: Adrian Brosch

Buchen. (adb) "Du bist nicht schuld, du bist nicht allein, du darfst darüber reden, du bist nicht hilflos – und du bist wertvoll." Allein durch diese zentrale Botschaft – aber auch durch seinen aufrüttelnden Inhalt – ging der Vortrag von Norman Wolf am Mittwoch sehr zu Herzen. Im Rahmen der Schulthemenwoche der Initiative "Herz statt Hetze Neckar-Odenwald-Kreis" referierte der 29-Jährige in der Aula des Burghardt-Gymnasiums über Mobbing, um eigene Erfahrungen mit praktischen und ehrlichen Hinweisen zu vermengen.

Dreh- und Angelpunkt seiner Ausführungen war sein Buch "Wenn die Pause zur Hölle wird". Hier berichtet Norman Wolf über seine Erlebnisse. Der Einstieg erfolgt mit einer Rückblende auf sein zehnjähriges Ich: Nachdem er auf dem Dorf eine recht glückliche Kindheit mit guten Freunden verlebt hatte, erfolgte nach der vierten Klasse der Wechsel auf das Gymnasium in einer umliegenden Stadt.

Foto: Adrian Brosch

Auf sich allein gestellt, suchte er nach Anschluss in einer Klasse, in der sich die Mehrheit bereits kannte – und das in einer Zeit, in der es familiär nicht optimal lief: Die Alkoholprobleme des Vaters spitzten sich zu, die Mutter hatte durch die Arbeit keine Zeit, und der große Bruder entzog sich der Situation.

Er beschloss, eine Klassenfahrt als Sprungbrett zu nutzen, öffnete sich in einer Gesprächsrunde und machte am folgenden Morgen erstmals Berührung mit Mobbing. "Die anderen jubelten und jaulten, als sie mich aus dem Bett und über den Flur zu einer Mitschülerin zogen. Ich lag da wie eine umgedrehte Kakerlake, während sie mit dem Finger auf mich zeigten", schilderte Wolf.

Der Tiefpunkt war erreicht, als er mit zwölf Jahren des Lebens satt war: "Ich stand vor dem Spiegel, wollte nicht mehr leben und stellte mir die Frage, ob mich jemand vermissen würde", betonte er eindrücklich und fasste seine damaligen Gefühle als "angstvollen Countdown" zusammen, in dem sich Schlaflosigkeit, Bauchschmerzen, das Suchen von Fluchtpunkten und Versteckmöglichkeiten in der Pause und die Auswirkungen des sukzessive abnehmenden Selbstwertgefühls vermischten.

Auch interessant
"Herz statt Hetze" Neckar-Odenwald: Norman Wolf berichtete von seinen Mobbing-Erfahrungen
Buchen: Das gibt es dieses Jahr bei "Herz statt Hetze"
Bildung: Studie: Viele Grundschüler erfahren Ausgrenzung und Gewalt

Dazu kamen Hemmungen, sich zu öffnen: Norman wollte weder seinen ewig streitenden Eltern Kummer bereiten, noch war er bereit, den Satz "ich werde gemobbt" auszusprechen – sicher auch aufgrund des fehlenden Verständnisses seines Lehrers, der ihm das "Ignorieren" seiner Widersacher nach dem Motto "das klärt sich von allein" empfahl.

Nach der Klassenfahrt ging es weiter: "Meine Mitschüler verwendeten alles gegen mich, machten sich über meinen Körper lustig und bezeichneten mich als ekelhaften, stinkenden, widerlichen Fettsack", erzählte er und sprach ungefiltert von einer "Scheiß-Angst", die ihm sein Umfeld in dieser Zeit eingejagt hatte. Stets schwieg er – niemand wolle sich selbst in der Opferrolle sehen. "Man sagt lieber, dass alles super ist und der Schwarm auf einen steht. So habe ich alles heruntergeschluckt – und mit zwölf Jahren wollte ich tot sein!"

Im Publikum – der packenden Lesung wohnten vier achte Klassen des BGB bei – machte sich Stille breit. Man spürte als Beobachter, wie sehr das Thema und die Worte Norman Wolfs die Zuhörer nicht nur berührten, sondern viel mehr in ein Karussell der Emotionen steckte. Hat nicht jeder schon einmal Mobbing erfahren – als Betroffener oder auch als Zuschauer? Hier setzte der 29-jährige Bachelor of Science der Psychologie sensibel wie effektiv an: "Ihr seid nicht allein – und Mobbing ist mehr als Ärgern und Streiten", hob er hervor.

Entgegen landläufiger Meinung gehören "Ärgereien" nicht zur Charakterbildung. Es handele sich viel mehr um absichtliche und regelmäßige Gemeinheiten bei deutlichem Ungleichgewicht der Kräfte zwischen Täter und Opfer. "Prüft die Seitenverhältnisse, ergreift die Initiative und holt Hilfe – ihr müsst euch nicht selbst einmischen, könnt aber zur Klärung beitragen! Und wenn ihr selbst gemobbt werdet: Sprecht mit jemandem, der euch lieb hat und versteht!", riet er und gab bekannt, heute in tiefer Dankbarkeit zu leben.

Das tut er trotz wiederkehrender Erfahrungen, die er mit 24 Jahren machte und in seinem neuen Buch "Wenn das Handy zur Qual wird" beschrieb.

Aus diesem Werk präsentierte der Jungautor vielschichtige und beklemmende Auszüge, die den Glauben an das Gute im Menschen auf eine harte Probe stellten: Während eines USA-Aufenthalts erlebte er infames digitales Mobbing via Twitter. "Es war wie damals. Erst mal ist da die große Hilflosigkeit", schilderte er und fügte an, dass sich heute anders als zu seiner Schulzeit Mobbing im Klassenzimmer und Cybermobbing gegenseitig in unrühmlicher Weise ergänzen.

"Viele schreiben im Netz entwürdigende Dinge, die sie niemals zu sagen wagen würden – aber wir sind im Internet nicht anonym", ließ er wissen und ermutigte sein Publikum zum Regulieren der eigenen Gefühle und dem Einordnen des eigenen Standpunkts, zum Anfertigen von Screenshots zum Beweis des Cybermobbings und dem Nutzen etwaiger Ignorier- und Meldesystem digitaler Plattformen. "Auch Strafanzeigen und die App ,HateAid‘ können helfen", bemerkte Norman Wolf und sprach von traumatischen Erfahrungen – auch virtueller Hass habe Folgen, die tiefe Narben hinterlassen können. Dauerstress als Indikator für psychische und körperliche Erkrankungen, ein niedriges Selbstwertgefühl, Misstrauen, Ängste und Unsicherheiten sind nur wenige Facetten. "Und erst konsequentes Eingreifen durchbricht den Teufelskreis."

Um gefühlvolle Worte bereicherte Schulleiter Jochen Schwab den Vormittag. "Wir möchten am BGB eine Gemeinschaft gestalten, in der es Menschen gut geht und in der sie den Mut zu durchaus auch kritischen Botschaften finden", konstatierte er und dankte Markus Dosch, Alexander Weinlein und Uta Berberich von "Herz statt Hetze" sowie Norman Wolf für das Engagement. Bezüglich des Mobbingproblems hielt er fest, dass es immer Mittel und Wege gebe – allerdings können und müssen Jugendliche ihre Probleme nicht allein lösen und können auf Beistand der Lehrer, der Schulsozialarbeit und der Schulleitung bauen. "Wir am BGB lassen es nicht zu, dass hier jemand leidet", betonte Schwab – starke Worte, die einen starken Vortrag im Kontext passend und sehr treffend umrandeten.

Info: Norman Wolfs Buch "Wenn die Pause zur Hölle wird" ist im Buchhandel erhältlich. Sein neues Buch "Wenn das Handy zur Qual wird" erscheint im Oktober.

(Der Kommentar wurde vom Verfasser bearbeitet.)
(zur Freigabe)
Möchten sie diesen Kommentar wirklich löschen?
Möchten Sie diesen Kommentar wirklich melden?
Sie haben diesen Kommentar bereits gemeldet. Er wird von uns geprüft und gegebenenfalls gelöscht.
Kommentare
Das Kommentarfeld darf nicht leer sein!
Beim Speichern des Kommentares ist ein Fehler aufgetreten, bitte versuchen sie es später erneut.
Beim Speichern ihres Nickname ist ein Fehler aufgetreten. Versuchen Sie bitte sich aus- und wieder einzuloggen.
Um zu kommentieren benötigen Sie einen Nicknamen
Bitte beachten Sie unsere Netiquette
Zum Kommentieren dieses Artikels müssen Sie als RNZ+-Abonnent angemeldet sein.