Eberbacher Arzt über seine Heimatstadt Donezk: "Es war die furchtbarste Zeit meines Lebens"
Alexej Yasenyev berichtet aus seiner ehemaligen Heimat in der Ostukraine

Alexej Yasenyev. Foto: Barbara Nolten-Casado
Eberbach. (bnc) Das Medieninteresse am vor sich hin schwelenden Ukrainekonflikt hat in den vergangenen Monaten deutlich nachgelassen. Flüchtlingsströme und IS-Bekämpfung ließen die "eingefrorene" Krise in Europas Osten weitgehend in den Hintergrund treten. Beigelegt ist sie jedoch keineswegs. Dies erfährt auch der Eberbacher Arzt Alexej Yasenyev in E-Mails und Telefonaten mit Menschen aus seiner ehemaligen Heimat Donezk. Seit 1997 lebt Yasenyev in Deutschland, beendete das in der Ukraine begonnene Medizinstudium an der Universität Heidelberg. Seit 2003 arbeitet er in der Abteilung für Innere Medizin an der Eberbacher GRN-Klinik. Aufgewachsen in der ostukrainischen Industriemetropole Donezk, war ihm das Leben im beschaulichen Neckarstädtchen zunächst ungewohnt. Doch inzwischen möchte er es nicht mehr gegen die Umtriebigkeit der Großstadt eintauschen. 2005 nahm Yasenyev die deutsche Staatsbürgerschaft an. Deutschland sei für ihn längst zur zweiten Heimat geworden, bekundet der Mediziner. Doch immer noch leben Verwandte in der Ukraine. Und auch die alten Freunde dort hat er nicht vergessen, die Kontakte zu ihnen stets gepflegt. Auf einem Foto sind sie zu sehen, die sieben "Unzertrennlichen", an ihrem letzten Schultag 1991. Seit früher Kindheit kennt und schätzt man sich. Und doch: der Krieg in der Ukraine hat tiefe Risse in die Männerfreundschaften geschlagen. Erst neulich telefonierte Yasenyev mit seinem Freund Yllya, der als Anhänger der Jazenjuk-Regierung mit seiner Familie nach Kiew geflohen ist und dabei all sein Hab und Gut zurücklassen musste. Und er sprach per Skype mit seinem Freund Viktor in Donezk, der sich eindeutig zur prorussischen "Regierung" in Teilen der Ostukraine bekennt.
Von ihm erfuhr er, wie die Lage der Menschen in der Region um Donezk aktuell aussieht. So sei das Stadtzentrum bislang nicht direkt vom Krieg in Mitleidenschaft gezogen worden. Doch nur wenige Kilometer entfernt seien Dörfer völlig zerstört, der Flughafen liege in Schutt und Asche, Hunderttausende Menschen benötigten Hilfe, Lebensmittel seien knapp, die medizinische Versorgung sei mangelhaft, es fehle an Medikamenten. Die ukrainische Regierung habe die Lieferung von Lebensmitteln und Baumaterialien in die Ostgebiete eingestellt. So sei man auf die humanitären Konvois aus Russland angewiesen. Gerne würde Yasenyev helfen. Doch: "Von hier aus Hilfsgüter schicken geht nicht - die ukrainische Seite lässt nichts durch."
"Meine Freunde waren mir immer sehr wichtig", sagt Yasenyev. Nun aber habe die Freundschaft gelitten. "Wir sprechen zwar noch miteinander, aber nur solange es nicht um Politik geht." Als der Krieg 2014 ausbrach, habe er sich sehr große Sorgen gemacht", berichtet der Arzt. "Das war die furchtbarste Zeit meines Lebens, ich habe nur noch vor den Nachrichten gesessen." Es schien ihm unerträglich, dass die "Menschen aus ein und demselben Volk nun zu Feinden geworden sind". Sehr schlimm gehe es seitdem auch in sozialen Netzwerken zu. Melde man sich dort mit seiner Meinung zu Wort, so seien übelste Beschimpfungen an der Tagesordnung. Yasenyev hat sich inzwischen aus dem "Netz" zurückgezogen. Denn seine Sicht der Dinge entspricht nicht immer dem hiesigen Mainstream. Fünf Monate nach Ende seiner Schulzeit hörte die Sowjetunion, deren Teil die Ukraine war, auf zu existieren. "Plötzlich wachte ich auf in einem anderen Land", erinnert er sich, Sechs Jahre lang lebte er in der unabhängigen Ukraine, doch "ich fühlte mich eigentlich immer als Russe, nicht als Ukrainer." Seine Muttersprache ist Russisch. Und nicht zuletzt in der Schule habe er gelernt, ukrainischen Nationalismus abzulehnen, berichtet er. Auch heute macht Yasenyev aus seiner prorussischen Gesinnung kein Hehl.
Was erwartet Yasenyev für 2016 hinsichtlich der Situation in seiner alten Heimat? Dass der Krieg nicht erneut aufflamme, dass die Politik eine friedliche Lösung des Konflikts finde, dass es wirtschaftlich wieder aufwärts gehe und dass der Hass, der durch den Krieg in den Menschen aufgebrochen ist, vergehen möge.