Sprach-Checker Mannheim

Die Kinder sprudeln förmlich vor Ideen

Eine Auszeichnung für das Projekt "Die Sprach-Checker - So sprechen wir in der Neckarstadt". Es gibt 50.000 Euro Preisgeld.

05.12.2022 UPDATE: 05.12.2022 06:00 Uhr 2 Minuten, 59 Sekunden
Nahe bei den Kindern: Christine Möhrs (r.), Leiterin des Projekts „Sprachforschung und Citizen Science“, bei einem Workshop des preisgekrönten Projekts „Die Sprach-Checker“ des Leibniz-Instituts für Deutsche Sprache in der Neckarstadt West. Foto: mao

Von Manfred Ofer

Neckarstadt-West. Sprache ist ein wundervolles Instrument. Alles, was Menschen bewegt, lässt sich damit zum Ausdruck bringen. Die Magie der Worte haben die Teilnehmer des Projekts "Die Sprach-Checker – So sprechen wir in der Neckarstadt" für sich entdeckt. Federführend ist das Leibniz-Institut für Deutsche Sprache (IDS). Nun wurde die laufende Forschungsarbeit in Berlin mit einem mit 50.000 Euro dotierten Preis ausgezeichnet. Damit sind die Weichen für eine Fortsetzung und Ausweitung des Projekts bis zum nächsten Sommer gestellt.

"Was glaubt ihr, was sich Paul wünscht?" Ein Tuscheln geht durch die Reihen der Kinder, die im Jugend- und Bildungshaus im Kaisergarten an den Lippen von Christine Möhrs hängen. Sie hat ihnen gerade eine Stelle aus dem Kinderbuch "Die große Wörterfabrik" vorgelesen. Eine Mitarbeiterin, die neben ihr sitzt, deutet derweil auf eine Zeichnung, die das abbildet, worum es bei der Frage geht, die nun im Raum steht. "Dass ihn Marie noch einmal auf die Backe küsst", meldet sich ein Mädchen zu Wort. Christine Möhrs lächelt: "Ja genau, das stimmt." Zusammen mit Elena Schoppa-Briele leitet sie am IDS besagtes Projekt, das sie mit einem Team aus Kooperationspartnern unter anderem mit solchen Workshops lebendig gestalten. Dabei geht es um die Erforschung der Alltagssprache aus der besonderen Perspektive der Kinder und Jugendlichen, die in dem traditionellen Arbeiter- und Einwanderer-Stadtteil zu Hause sind.

Mehr als vierzig Kinder haben sich nach der Schule eingefunden, um sich mit ihren Betreuern vom IDS, dem Campus Neckarstadt West und vom Verein Neckarstadt Kids auf Schatzsuche zu begeben. Den Schatz, um den es dabei geht, finden sie dabei in sich selbst.

"Viele Kinder, die heute da sind, machen die Erfahrung, dass ihre Sprachkenntnisse als defizitär betrachtet werden", sagt Christine Möhrs, Leiterin des Projekts "Sprachforschung und Citizen Science" am IDS. "Hier ist das anders, denn die Sprachen, die sie mitbringen, sind das Plus, das wir für unser Projekt suchen." Es sind Kinder dabei, die zwei- und sogar drei- und viersprachig aufwachsen. Mit den "Sprach-Checkern" wolle man sich der Frage nähern, wie sich die mehrsprachige Situation im Stadtteil beschreiben lässt.

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Die Erfahrungen der Kinder sollen in eine Geschichte fließen, die mit anderen Forschungsbeiträgen als Buch erscheinen sollen. "Wir möchten ein Bewusstsein und Wertschätzung für die Sprachkompetenzen der Kinder und Jugendlichen und die sprachliche Besonderheit im Vielfaltsquartier schaffen", fasst Möhrs zusammen. Ihre Kollegin Elena Schoppa-Briele, Leiterin des Stabsbereichs Forum Deutsche Sprache und Co-Leiterin des Projekts, fügt mit Blick auf die laufende Bürgerbeteiligung hinzu: "Wir möchten die Kooperationen auch über die Projektlaufzeit hinaus fortsetzen".

Das Interesse im Stadtteil ist groß. Die Jury des bundesweiten Wettbewerbs "Auf die Plätze! Citizen Science in deiner Stadt", die ihren Sitz in Berlin hat, hat man auch schon überzeugt. Als eines von drei Projekten wurde das IDS jetzt mit einem Preisgeld in Höhe von 50.000 Euro bedacht, das in die Forschungsarbeit in der Neckarstadt fließen soll.

Der Wettbewerb wird von Wissenschaft im Dialog und dem Museum für Naturkunde Berlin in enger Zusammenarbeit mit der Citizen-Science-Plattform "Bürger schaffen Wissen" umgesetzt. Der Begriff "Citizen Science" steht dafür, dass Wissenschaftler zusammen mit Bürgerinnen und Bürgern Forschungsthemen erschließen, Fragen stellen, Daten erheben und mit transparenten Methoden auswerten. Die "Sprach-Checker" in der Neckarstadt erfüllen diese Kriterien.

Besonders angetan war die Jury bei der Preisverleihung von der Wertschätzung, mit der die Verantwortlichen den Kindern begegnen. Wie "Citizen Science" mit Leben gefüllt wird, davon kann man sich bei den Workshops im Kaisergarten ein gutes Bild verschaffen. In zwei getrennten Zeitfenstern bekommen an diesem Tag mehr als 40 Grundschüler aus der Neckarstadt West Geschichten vorgelesen. Viele von ihnen werden außerschulisch von den Fördervereinen Campus Neckarstadt West und Neckarstadt Kids betreut, erhalten so zusätzliche Freizeit- und Bildungsangebote.

Die Kids sollen über das Vorlesen verstehen, wie solch eine Geschichte vom Erzähler aufgebaut wird, was für Figuren darin vorkommen und wie ihre Emotionen beschrieben werden. Ideen fliegen hin und her. Kreatives Futter für die Kinder, die anschließend in Gruppen darüber nachdenken, wie sie sich des Wortsalats bedienen könnten, um ihre eigene Story zu schreiben.

Offenbar haben viele die Fußball-Weltmeisterschaft in Katar im Sinn. Vor allem die Jungs schreiben auf die Frage, wen sie denn mal gerne durch ihren Stadtteil spazieren lassen möchten, Namen wie Ronaldo und Messi auf. Andere bringen fiktive Personen und Fabelwesen zu Papier.

"Ich bin immer wieder angenehm überrascht, wie toll die Kinder mitmachen", bemerkt Rahaf Farag, wissenschaftliche Mitarbeiterin beim IDS. "Sie sprudeln förmlich vor Ideen." Im neuen Jahr soll das Projekt zudem in Kooperation mit einer bekannten Kinderbuchautorin fortgesetzt werden. Auch das Kulturzentrum Alte Feuerwache wird sich ab diesem Zeitpunkt daran beteiligen. Abschließender Höhepunkt soll neben der Veröffentlichung des Buches ein "Sprach-Checker"-Sommerfest in der Neckarstadt West werden. Das Preisgeld aus Berlin ist gut angelegt.

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