Russische Partnerstadt

Speyer will an Freundschaft mit Kursk festhalten

Der Austausch sei zwar wichtiger denn je, doch dort geht man auf Distanz.

23.03.2022 UPDATE: 24.03.2022 06:00 Uhr 2 Minuten, 36 Sekunden
Die Freundschaft soll nicht einschlafen: Jutta Schumacher wird wieder einen Schritt auf die Menschen in Kursk zugehen. Foto: Gollnow

Von Marco Partner

Speyer. Seit 1989 pflegt Speyer eine Freundschaft mit der russischen Stadt Kursk. Mit gegenseitigen Besuchen und großen Festivitäten. Doch noch nie stand die Städtepartnerschaft vor so einer großen Herausforderung wie jetzt. Aufgrund des Ukraine-Krieges laufen viele Gespräche ins Leere, der kulturelle Dialog stockt, der geplante Besuch einer russischen Delegation für den Kultursommer ist abgesagt. Jutta Schumacher vom Freundeskreis Speyer-Kursk hält dennoch Kontakt und weiß: "Der Austausch ist im Grunde wichtiger denn je."

Erschrocken ist die Vorsitzende dann doch. Nach Kriegsausbruch schrieb sie einer Familie in Kursk, die sie nun schon seit über 30 Jahren kennt. "Ich habe ihnen per E-Mail mitgeteilt, dass die Situation in der Ukraine schlimm ist und wollte wissen, wie sie auf die Invasion reagieren." Die Antwort: Seit acht Jahren würden ukrainische Truppen russische Menschen im Donbass töten. Die nun gezeigten Bilder von bombardierten Häusern stammten aus dieser Zeit. Es würden keine russischen Truppen in der Ukraine einmarschieren.

Nur etwa 200 Kilometer trennen Kursk von der beschossenen Stadt Charkiw in der ostukrainischen Donbass-Region. Und doch gibt es eine ganz andere Sicht auf die Lage. "Sie stehen auf der Seite von Putin. Sie sehen andere Bilder und bekommen eine andere Geschichte erzählt", betont Schumacher und rätselt, wie sie sich verhalten soll. 1986, noch vor dem Fall des Eisernen Vorhangs, unternahm die Speyrerin ihre erste Busreise nach Moskau. "Damals durfte man mit niemandem sprechen, nach der Perestroika wurde es viel offener", zeigte sie sich beeindruckt, wie sich Land und Menschen verwandelten. Als 1989 Freundschaft mit Kursk geschlossen wurde, schlief sie beim ersten Besuch in einem Hotel, ehe sie von einer Deutschlehrerin gebeten wurde, doch bei einer Gastfamilie zu übernachten.

"Als Fremde einfach dort anzuklopfen, ich habe es riskiert", erinnert sie sich. In 33 Jahren übernachtet sie seitdem fast jedes Jahr für eine Woche dort, und wird auch mal ohne große Widerrede vom 600 Kilometer entfernten Moskauer Flughafen abgeholt. Jutta Schumacher schätzt die Gastfreundschaft der Russen.

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Die Freundschaft zwischen Speyer und Kursk wird seit 1989 gepflegt. Foto: Gollnow

Am Austausch mag sie es gerade, dass nicht nur die Vorderseiten präsentiert werden, sondern man einen authentischen Innenblick in das russische Familienleben erhält. "Man ist bei jedem willkommen, ob man sich kennt oder nicht", sagt sie. Nicht immer stimme das Klischee mit der Wirklichkeit überein. Neue Sozialbauten in Kursk empfindet die Sozialdemokratin sogar "schöner und grüner" als in Deutschland.

Vor circa fünf Jahren hätten die Freunde aus Russland noch abgewunken, wenn es um die Leistungen ihres Präsidenten ging. Nun aber herrscht eine Art Eiszeit. Für den Sommer war eigentlich eine Theatergruppe aus Kursk eingeladen. "Die Ferienwohnungen waren schon gebucht, es gab Zuschüsse aus Mainz. Aber uns wurde mitgeteilt, dass kein Interesse daran besteht", erklärt sie.

Wie reagiert man darauf? Schumacher antwortet zunächst mit einem langen Schweigen. Sie nahm Kontakt zu ihrer Amtskollegin Rita Boele aus Witten auf. Die Stadt in Nordrhein-Westfalen pflegt ebenfalls seit über 30 Jahren eine Freundschaft zu Kursk. Bei Demonstrationen gegen den Krieg hier sei vereinzelt die Forderung laut geworden, die Partnerschaft mit russischen Städten zu beenden. Ein Schritt, den die beiden Freundeskreis-Chefinnen für den falschen halten.

"Wie wir wissen, sind Städtepartnerschaften nicht nur Schönwetter-Angelegenheiten oder touristische Angebote. Sie müssen sich gerade in schwierigen Zeiten beweisen. Der Austausch zwischen den Menschen hier und dort ist jetzt wichtig. Putin ist nicht Russland, und es wird eine Zeit danach geben", schrieb Boele an Frank-Walter Steinmeier und bat den Bundespräsidenten, öffentlich zu verdeutlichen, "dass es nicht um das russische Volk geht, das zurückgewiesen wird, sondern um eine einzelne Person mit ihrem engen Umfeld." Auch die Freundschaft zwischen rund 100 deutschen und russischen Städten gehe schließlich über das Vorzeigen von Traditionen und Entwicklungen hinaus. "Einem Pfarrer aus Speyer gelang es in den 1990ern unter Mithilfe des damaligen Bundeskanzlers Helmut Kohl, dass deutsche Gefallene auf einen gemeinsamen Friedhof bei Kursk umgebettet wurden. Eine Stele erinnert heute an russische wie deutsche Opfer des Zweiten Weltkriegs", zeigt Schumacher die ursprüngliche Bedeutung der freundschaftlichen Annäherung auf.

"Wir werden wieder einen Schritt auf sie zugehen. Egal, was Putin da oben macht, die Basis bleibt. Keinen Kontakt mehr zu haben, das wäre nicht gut. Wir wollen sie nicht einschlafen lassen. Schließlich kommt es wahrscheinlich gerade jetzt auf eine gute Freundschaft an", betont sie.

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