"Wie im Bürgerkrieg"

Wie ein Mannheimer Student die Proteste in Hongkong erlebt

Situation zwang Yannik Huschka zum Abbruch seines Wintersemesters - Uni empfiehlt, Stadt zu verlassen

19.11.2019 UPDATE: 20.11.2019 06:00 Uhr 2 Minuten, 39 Sekunden
Bei ihren Protesten gegen die Polizei und die Regierung setzten Studenten der City University of Hong Kong unter anderem Pflastersteine ein. Fotos: Privat

Von Anna Manceron

Mannheim. Yannik Huschka ist froh, wieder in Deutschland zu sein. Der 21-Jährige studiert im fünften Semester Betriebswirtschaftslehre an der Universität Mannheim. Eigentlich hatte er vor, das Wintersemester als Austauschstudent in Hongkong zu verbringen. "Ich wollte Asien unbedingt kennenlernen", erzählt er. Außerdem interessiere er sich für Finanzwirtschaft, und Hongkong sei schließlich das Finanzzentrum Asiens.

Doch die aktuelle politische Situation in der chinesischen Sonderverwaltungszone zwang den BWL-Studenten dazu, vorzeitig abzureisen. Seit Monaten gehen dort Tausende gegen Polizeigewalt und die Politik der Regierung auf die Straße. In den vergangenen Tagen lieferten sich Demonstranten und Polizisten unerbittliche Kämpfe – und ein Ende der Gewalt ist nicht in Sicht.

Dabei fing alles ganz harmlos an. Als Yannik Huschka Ende August in Hongkong ankam, war von den Protesten nur wenig zu spüren. "In den ersten beiden Monaten habe ich nicht viel davon mitbekommen", berichtet er. Nur ein paar U-Bahn-Stationen seien gesperrt gewesen.

"Richtig spannend wurde es erst ab dem chinesischen Nationalfeiertag am 1. Oktober", erinnert sich der BWL-Student. Damals legten Demonstranten den kompletten öffentlichen Nahverkehr in der Millionen-Metropole lahm. "Züge, Busse, Taxis – nichts ging mehr", berichtet Huschka. Auch die Verbindung zum Flughafen sei sehr schwierig gewesen.

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"Da habe ich zum ersten Mal gesehen, wie Demonstranten Molotow-Cocktails auf Polizisten geworfen haben", berichtet der Student. Danach sei wieder Ruhe eingekehrt für drei oder vier Wochen. "Nachdem, was ich gesehen habe, handelt es sich bei den Protestierenden ja überwiegend um Studenten. Und die waren da mitten in der Klausurenphase", erinnert sich Huschka.

Vor anderthalb Wochen gingen die Proteste dann wieder los. Im Stadtzentrum errichteten Studenten Straßensperren und bewarfen Polizisten mit Pflastersteinen. Dabei kam ein Student ums Leben. In der vergangenen Woche verschärfte sich der Konflikt noch einmal – und Yannik Huschka steckte plötzlich selbst mittendrin.

Yannik Huschka. Foto: zg

Der 21-Jährige wohnte am Stadtrand, in einem Studentenwohnheim auf dem Campus der City University of Hong Kong. Am vergangenen Dienstag riss ihn eine Polizeisirene um sieben Uhr morgens aus dem Schlaf. "Die Polizei wollte die Studenten daran hindern, ins Zentrum zu kommen und hat Tränengaswerfer eingesetzt", erinnert sich Huschka. Daraufhin sei auf dem Campus "totales Chaos" ausgebrochen. "Die Studenten haben sich mit Proviant eingedeckt und die Wege zum Wohnheim blockiert", erzählt er. "Die waren bereit, ihr Zuhause wie eine Festung zu verteidigen."

Als Waffen dienten den jungen Leuten vor allem Pflastersteine und Molotow-Cocktails. "Das war wie im Bürgerkrieg", erzählt Yannik Huschka. Einen Tag später machten die ersten Geschäfte dicht. "Wir haben mehrere Stunden nach einem Laden gesucht, um etwas zu essen zu kaufen", erinnert er sich. Auch deshalb verließ mehr als die Hälfte der Studenten das Wohnheim.

Unsicher habe er sich aber zu keiner Zeit gefühlt, betont Huschka. "Wir ausländischen Studenten waren für die chinesischen Protestierenden ja keine Feinde", sagt er. "Aber es ist schon ein mulmiges Gefühl, wenn direkt neben einem ein Molotow-Cocktail hochgeht." Weil sich die City University neutral verhielt und nicht auf die Seite der Studenten stellte, stürmten diese letztlich auch die Räume der Uni. "Sie haben die Cafeteria zerstört und das Gebäude von außen angezündet", erzählt Huschka. Am Donnerstag gab die City University dann bekannt, dass das Semester bis Ende des Jahres abgesagt sei. "Ab diesem Zeitpunkt war für mich klar: Ich muss hier weg", so Huschka. Noch am selben Abend buchte er einen Flieger nach Deutschland für den nächsten Tag.

Die Universität Mannheim hatte er zwei Tage zuvor am Telefon über die Lage vor Ort informiert. "Die waren auf Zack und haben gleich einen Notfallplan ausgearbeitet", berichtet der BWL-Student. Seine Klausuren kann er durch Hausarbeiten ersetzen und gegebenenfalls in Mannheim nachholen. Bis dort das neue Semester losgeht, studiert er weiter in Hongkong – sozusagen im Fernstudium.

"Wir haben unseren Studenten empfohlen, die Stadt zu verlassen", bestätigt Linda Schädler, Sprecherin der Universität Mannheim, auf Anfragen der RNZ. Von 25 Studenten seien bereits sieben nach Mannheim zurückgekehrt. Der Rest halte sich noch in Asien auf. Viele hätten dort privat eine Rundreise geplant, die sie nun vorziehen. Auch die Universität Heidelberg hat ihren drei Austauschstudenten in Hongkong empfohlen, die Metropole zu verlassen. Die dabei anfallenden Mehrkosten für Flüge werde man übernehmen, erklärt die Universität auf Anfrage. Bei Yannick Huschka in Mannheim wird dies noch geprüft.

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