Uniklinikum Mannheim

Operationen im Mutterleib

Fetalchirurg Thomas Kohl operiert am Mannheimer Uniklinikum ungeborene Kinder im Mutterleib

02.08.2018 UPDATE: 03.08.2018 06:00 Uhr 2 Minuten, 29 Sekunden

Praktiziert jetzt am Mannheimer Uniklinikum: Thomas Kohl. Foto: Gerold

Von Heike Warlich-Zink

Mannheim. Seit 25 Jahren befasst sich Thomas Kohl mit der Behandlung von Erkrankungen und Fehlbildungen von Ungeborenen im Mutterleib. Der 56-Jährige Mediziner gilt als international anerkannter Spezialist auf diesem Gebiet und hat zahlreiche der der angewandten Operationstechniken entwickelt und weiter verfeinert. Nun operiert Kohl an der Universitätsmedizin Mannheim (UMM), wo das von ihm 2004 gegründete Deutschen Zentrum für Fetalchirurgie und minimal-invasive Therapie (DZFT) seit 1. Juli als eigenständige Sektion an die Frauenklinik angegliedert ist.

Herr Professor Kohl, warum haben Sie den Standort des DZFT vom Gießener Uni-Klinikum nach Mannheim verlegt?

Wir arbeiten schon seit 16 Jahren eng zusammen. Ungeborene, die ich zuvor in Bonn und ab 2010 in Gießen wegen lebensbedrohlicher Unterentwicklungen der Lunge durch ein Loch im Zwerchfell, eine sogenannte Zwerchfellhernie, operiert hatte, wurden nach der Geburt in der Neonatologie der UMM intensivmedizinisch weiterversorgt. Diese Babys können wir nun ohne zusätzlich belastende Transportwege an einem Standort behandeln. Durch die unmittelbare Nähe von Fetalchirurgie und Neonatologie versprechen wir uns zudem weitere Verbesserungen, um Kindern, die noch vor wenigen Jahren kaum eine Chance hatten, ein gutes Leben zu ermöglichen.

Bei welchen Diagnosen kommt die Schlüsselloch-Chirurgie im Mutterleib zum Einsatz?

Es gibt grundsätzlich nur schwerwiegende Gründe, die es rechtfertigen, während der Schwangerschaft in die Gebärmutter einer Frau vorzudringen. Dazu zählen lebensbedrohliche Funktionsstörungen von Herz, Lunge oder Niere sowie Missbildungen. Wird beispielsweise Spina bifida, ein offener Rücken also, im Mutterleib bereits verschlossen, können wir den Kindern oft die Lähmungen in den Beinen und damit ein Leben im Rollstuhl sowie weitere Operationen ersparen. Sehr häufig und mit großem Erfolg wird Fetalchirurgie bei Zwillingsgeburten angewandt, wenn sich die Ungeborenen Gefäße teilen, die getrennt und verschlossen werden müssen. Ein notwendiger Eingriff, bei dem in 70 Prozent der Fälle beide Kinder überleben.

Hintergrund

Thomas Kohl studierte von 1983 bis 1990 Medizin an der Universität-Gesamthochschule Essen. Bei einem dreijährigen Forschungsaufenthalt in den USA entwickelte er erste minimal-invasive Operationstechniken zur Behandlung von Herzfehlern bei Feten im Mutterleib. In Deutschland

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Thomas Kohl studierte von 1983 bis 1990 Medizin an der Universität-Gesamthochschule Essen. Bei einem dreijährigen Forschungsaufenthalt in den USA entwickelte er erste minimal-invasive Operationstechniken zur Behandlung von Herzfehlern bei Feten im Mutterleib. In Deutschland gründete er eine Arbeitsgruppe zur Entwicklung experimenteller und klinischer fetal-kardialer Interventionstechniken, legte 2001 die Prüfung zum Facharzt für Kinderheilkunde ab und habilitierte sich im gleichen Jahr an der Medizinischen Fakultät der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster.

2002 wechselte er als Oberarzt für Klinische und Experimentelle Fetale Kardiologie und Fetalchirurgie an die Universitätsfrauenklinik Bonn. Im selben Jahr brachte er seine für Mutter und Kind besonders schonende minimal-invasive Methode erstmals in Deutschland beim Verschluss eines ‚offenen Rückens‘ (Spina bifida) zum Einsatz. Dabei nutzt er im Gegensatz zu anderen Behandlungsmethoden nur winzige Zugänge zur Fruchthöhle und operiert das ungeborene Baby, ohne es dazu aus der Gebärmutter zu entnehmen. 2004 wurde Kohl leitender Oberarzt des von ihm gegründeten Deutschen Zentrums für Fetalchirurgie & minimal-invasive Therapie (DZFT).

Thomas Kohl entwickelte 2007 das nach ihm benannte "Kohl-Verfahren", eine spezielle Sauerstofftherapie zur Behandlung von Ungeborenen mit zu kleinen Herz- und Gefäßstrukturen. 2010 wechselte er als Chefarzt des DZFT an das Universitätsklinikum Gießen und Marburg.

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Sind die Risiken eines minimal-invasiven Eingriffs je Krankheitsbild unterschiedlich hoch?

Zweifellos, und darüber klären wir betroffene Eltern auch eingehend auf. Zwischen 80 und 90 Prozent derjenigen, bei deren Kind ein offener Rücken diagnostiziert wird, entscheiden sich für einen Schwangerschaftsabbruch. Diese Zahlen zeigen, dass der weitaus geringere Teil den Weg eines vorgeburtlichen Eingriffs wählt. Das Risiko eines Kinds mit Spina bifida bei der OP zu sterben, liegt deutlich unter fünf Prozent, allerdings sterben zur Zeit noch etwa sieben Prozent der vorgeburtlich operierten Spina bifida Kinder nach ihrer Geburt an begleitenden Gehirnfehlbildungen, Infektionen oder zusätzlichen Fehlbildungen. Das alles müssen die Betroffenen vorher wissen, um Risiko und Nutzen für sich abwägen zu können. Eltern, die trotz schwerer organischer Fehlbildungen die Schwangerschaft fortführen und ihrem Kind mit Hilfe der Fetalchirurgie eine Chance auf Leben geben wollen, sind für mich immer sehr besondere Menschen, vor deren Entscheidung ich hohen Respekt habe.

Warum haben Sie sich gerade für dieses Fachgebiet entschieden?

Es war reiner Zufall. Noch während meines Studiums in Essen habe ich im Fernsehen einen Film über einen der ersten fetal-chirurgischen Eingriffe gesehen, den Michael Harrison Ende der 1980er Jahre in San Francisco durchgeführt hat. Ich war davon ebenso fasziniert wie von dem Gedanken, selbst auf diesem Gebiet mitzuarbeiten. Während eines dreijährigen Forschungsaufenthalts an der University of California in San Francisco ab 1993 hatte ich dann die Möglichkeit, erste minimal-invasive Operationstechniken zur Behandlung von Herzfehlern bei Feten im Mutterleib zu entwickeln. Erst 2002 habe ich im Universitätsklinikum Bonn den ersten fetalchirurgischen Eingriff vorgenommen, um mit Hilfe einer Endoskopie bei einem Ungeborenen eine Erbkrankheit auszuschließen.

Wie viele Operationen pro Jahr führen Sie heute am DFZT durch?

Etwa 150. Bei Harnwegsverlagerungen beispielsweise erfolgt der Eingriff bereits ab der 13. Schwangerschaftswoche. Zwerchfellhernien behandeln wird nicht vor der 30. Woche. In allen Fällen verschaffen uns mittels kleinster Nadeln mit gerade einmal 1,2 Millimeter Außendurchmesser den Zugang zur Gebärmutter, ohne das Kind dabei für eine OP aus der Fruchthöhle zu nehmen und anschließend wieder einzusetzen. Das ist für die Mutter ebenfalls weitaus schonender, da ihre Gebärmutter mit Blick auf künftige Schwangerschaften nicht irreparabel geschädigt wird. Auch deshalb stehe ich für das minimal-invasive Prinzip.

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