Der Kampf gegen Gaffer an den Unfallstellen
Phänomen nimmt deutlich zu - Dashcams für die Polizei – Verkehrspsychologe Voss über Gründe für das Gaffen

Wer Unfallopfer filmt, macht sich schon heute strafbar - mit der Erfindung von Smartphones hat dieses Phänomen deutlich zugenommen. Foto: Getty Images
Von Christian Altmeier
Waibstadt/Heidelberg. Es war ein tragischer Unfall – mit schockierenden Begleitumständen: Ein 15-jähriger Radfahrer wurde am Donnerstag in Waibstadt im Rhein-Neckar-Kreis von einem Auto erfasst und tödlich verletzt. Sofort bildete sich eine Traube von 10 bis 15 Gaffern um das Unfallopfer, die zum Teil sogar filmten. Ein Phänomen, das immer wieder bei schweren Unfällen zu beobachten ist.
Einem Polizisten in Nürnberg platzte im Mai schließlich der Kragen: Nach einem tödlichen Unfall auf der A6 stellte er mehrere Gaffer zur Rede, die die Unfallstelle gefilmt hatten und forderte diese auf, auszusteigen und mit ihm zur Leiche zu gehen. Für sein Vorgehen erntete er breite Zustimmung.

Dieter Schäfer. Archivfoto: Dorn
Auch der Leiter der Verkehrspolizeidirektion Mannheim, Dieter Schäfer, bestätigt, dass die Zahl der Gaffer zugenommen hat. "Wir haben es ständig mit dem Phänomen zu tun. Bei Großereignissen sind oft Hunderte Schaulustige vor Ort", berichtet er der RNZ. Dagegen vorzugehen sei aber meist nicht möglich. "Bei einem großen Einsatz sind alle verfügbaren Einsatzkräfte damit beschäftigt, Opfer zu bergen, die Unfallstelle abzusichern und den Verkehr zu leiten. Für Gaffer bleibt da keine Zeit", so Schäfer.
Abhilfe schaffen könnte hier der geplante Einsatz von sogenannten DashCams. Alle Einsatzfahrzeuge der Verkehrspolizei in Baden-Württemberg sollen künftig mit den kleinen Kameras auf dem Armaturenbrett ausgerüstet werden, teilte Innenminister Thomas Strobl (CDU) in der vergangenen Woche mit. Das Innenministerium erhofft sich, so schneller auf die Spur von Gaffern zu kommen.
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Der Verkehrspsychologe Karl-Friedrich Voss sieht in härteren Strafen jedoch kein Allheilmittel. "Bei Unfällen paart sich die Schaulust mit einem Unvermögen, mit der Situation richtig umzugehen", sagt er im RNZ-Interview. "Wenn es bei Unfallstellen eine klare Aufgabenverteilung gäbe und jeder etwas Konkretes zu tun hätte, dann würde die Sache anders aussehen." Dazu müsste man nach Ansicht des Verkehrspsychologen etwa den Erste-Hilfe-Kurs umstrukturieren, um die Organisation dessen, was am Unfallort zu tun ist, zu lehren.
Auch Dieter Schäfer ist es wichtig, nicht die moralische Keule zu schwingen. "Dahinter steckt nicht wie oft behauptet wird, eine Verrohung oder Empathielosigkeit der Menschen", meint der Leiter der Verkehrspolizeidirektion. Schuld sei vielmehr die Art der Mediennutzung. Heute werde so gut wie alles gefilmt und gepostet. "Das ist ein Reflex", meint Schäfer. Grund dafür sei die Sucht nach Anerkennung, denn jeder Like steigere das Selbstwertgefühl. Daher müsse etwa in den Schulen der richtige Umgang mit Smartphones und sozialen Medien gelehrt werden
Heidelberg. Karl-Friedrich Voss (70) ist Vorsitzender des Bundesverbands Niedergelassener Verkehrspsychologen (BNV).
Herr Dr. Voss, immer wieder gibt es Berichte über Gaffer an Unfallstellen. Warum tun Menschen das?

Es ist Teil der menschlichen Natur, dass man sich Sensationen nicht entgehen lassen möchte. Dafür gibt es in der Kulturgeschichte etliche Beispiele. Besonders kritikwürdig wird es dann, wenn die Hilfeleistung dafür unterlassen wird oder sogar Rettungskräfte behindert werden.
Hat es Gaffer schon immer gegeben?
In gewisser Art und Weise ja. Nehmen Sie zum Beispiel den Stierkampf in Spanien. Der hat eine lange Tradition und auch da geht es um Schaulust. Es gibt etliche andere Beispiele für Ereignisse, die ihre Anziehungskraft daraus beziehen. Bei Unfällen kommt hinzu, dass sich die Schaulust mit einem Unvermögen paart, mit der Situation richtig umzugehen.
Inwiefern?
Wenn es bei Unfallstellen eine klare Aufgabenverteilung gäbe und jeder etwas Konkretes zu tun hätte, dann würde die Sache ganz anders aussehen. Aber das Problem beginnt schon bei der Art und Weise, wie in Deutschland Erste-Hilfe-Kurse durchgeführt werden. Denn das Gelernte setzt erst in dem Moment ein, in dem klar ist, was gemacht werden muss. An einer Unfallstelle ist das aber meist nicht klar. Das muss erst irgendwie zustande kommen. Aber genau das haben die Menschen nicht gelernt. Das soll keine Entschuldigung sein. Aber es erklärt, warum viele Leute einfach untätig schauen.
Oft sind aber Rettungsdienste schon vor Ort, wenn die Gaffer etwa auf der Autobahn im Schritttempo an der Unfallstelle vorbeifahren und filmen. Ist es dann nur Sensationslust?
Dahinter steckt auch das Bedürfnis, zu verstehen, warum es zum Stau gekommen ist und wie der Unfall passiert ist. Früher gab es eben noch keine Smartphones, mit denen jeder fotografieren und filmen konnte. Aber heute wird das sehr auffällig, weil jeder meint, er müsste Bilder produzieren, um sie in sozialen Medien zu posten oder Freunden zu zeigen. Dabei blenden viele einfach aus, dass dies nicht richtig ist und dass die Aufnahmen daher auch sie selbst in ein schlechtes Licht rücken können.
Hat das Gaffen durch die Smartphones zugenommen?
Es wird zumindest offensichtlicher. Und diese Art der Selbstdarstellung hat sicherlich dadurch zugenommen, dass es technisch einfacher geworden ist, etwas zu filmen und zu verbreiten.
Würden härtere Strafen abschrecken?
Das glaube ich nicht. Ich halte es für sinnvoller aufzuklären und etwa den Erste-Hilfe-Kurs umzustrukturieren, um die Organisation dessen, was am Unfallort zu tun ist, zu lehren.
In Bayern hat ein Polizist Gaffer angesprochen. Was halten Sie davon?
Das kommt ganz darauf an, wie man das macht. Der Polizist in Nürnberg war ja selbst sehr erregt und hat den Gaffern etwas unterstellt, was die ja gar nicht wollten, nämlich Unfallopfer zu sehen. Grundsätzlich ist eine Konfrontation mit dem Geschehen aber nicht verkehrt, weil dann auch das Verstohlene des Gaffens entfällt. Gaffen heißt ja immer, dass man aus einer sicheren Distanz das Geschehen verfolgt. Diese Distanz zu überwinden könnte daher durchaus helfen.