"Diese Freiheit müssen wir verteidigen"
Schauspielintendant Christian Holtzhauer über die "Initiative GG 5.3 Weltoffenheit" und Antisemitismusvorwürfe.

Von Alexander Albrecht
Mannheim. Christian Holtzhauer (47), Schauspielintendant am Nationaltheater, engagiert sich bei der an die Meinungsfreiheit anlehnende "Initiative GG 5.3 Weltoffenheit". Der Zusammenschluss prominenter Kulturschaffender stellt sich in seinem "Plädoyer" gegen Antisemitismus und Rechtsextremismus. Zugleich fordert das Bündnis den Bundestag dazu auf, eine Resolution zurückzunehmen, die sich gegen den israelkritischen BDS (Boykott, Desinvestition, Sanktionen) richtet und Auftritte von BDS-nahen Künstlern verurteilt.
Hintergrund
> Der BDS: Die von mehr als 170 palästinensischen Organisationen getragene Kampagne fordert von Israel unter anderem ein Ende der Besetzung des Westjordanlandes und der Golanhöhen sowie ein Recht auf Rückkehr nach Israel für palästinensische Flüchtlinge und deren
> Der BDS: Die von mehr als 170 palästinensischen Organisationen getragene Kampagne fordert von Israel unter anderem ein Ende der Besetzung des Westjordanlandes und der Golanhöhen sowie ein Recht auf Rückkehr nach Israel für palästinensische Flüchtlinge und deren Nachkommen. Kritiker sehen darin die Infragestellung des Staates Israel und werfen der Initiative Antizionismus wie Antisemitismus vor. alb
Warum unterstützen Sie die Initiative, Herr Holtzhauer?
Ich teile die Beobachtung der Initiatoren und Verfasser des Plädoyers, dass es in unserer Gesellschaft zunehmend schwieriger wird, tatsächlich offen, frei und kontrovers miteinander zu diskutieren. Wir sehen mit Sorge, dass es in vielen Fällen Versuche gibt, Debatten zu beschneiden. Dass Menschen mit allen Mitteln Einfluss darauf nehmen wollen, mit wem man diskutieren, wer öffentlich sprechen oder wessen Meinung nicht gehört werden soll. Wir glauben, das ist einer pluralistischen Gesellschaft abträglich. Sie lebt ja gerade von den verschiedenen Positionen und den daraus resultierenden Kontroversen. Stattdessen werden die Diskursräume enger.
Was wollen Sie dagegen tun?
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Meine Aufgabe als Leiter einer öffentlichen Kulturinstitution ist es dafür zu sorgen, dass die Bühne ein freier Ort bleibt, auf der im Rahmen geltenden Rechts künstlerisch alles gesagt und verhandelt werden darf, damit wir als Gesellschaft uns dazu verhalten und eine Meinung bilden können. Diese Freiheit müssen wir verteidigen.
Sie wollen die BDS-Kampagne verteidigen, die der Bundestag Jahr als antisemitisch eingestuft hat?
Nein. Ich persönlich habe eine klare Haltung zum BDS, der sich aus meiner Biografie und Sozialisation ergibt. Als Deutscher, der sich der großen Verantwortung aus unserer Geschichte bewusst ist, fällt es mir schwer, dessen Positionen zu teilen, unterstützen kann ich sie schon gar nicht. Wir sind aber ein Theater, das mit internationalen Künstlern arbeitet und Kontakte ins Ausland pflegt. Dabei treffen wir mitunter auf Partner, die eine andere Perspektive auf den BDS haben, die man aber trotzdem nicht als Antisemiten bezeichnen kann. Durch die BDS-Resolution des Bundestags ist eine Grauzone entstanden: Kann ich noch mit diesen Künstlern arbeiten? Muss ich sie, bevor ich sie engagiere, einer Gesinnungsprüfung unterziehen? Wer entscheidet, welche Positionierung zum BDS gerade noch akzeptabel ist? Wie schütze ich diese Künstler vor womöglich ungerechtfertigten Vorwürfen? Das bringt uns mitunter in paradoxe Situationen.
Zum Beispiel?
Unsere letztjährige Hausautorin Sivan Ben Yishai stammt aus Israel, auch ihre Familie hat während des Holocausts Angehörige verloren. Sie lebt seit mehreren Jahren in Deutschland und sollte, wie alle jüdischen Menschen in unserem Land, unseren besonderen Schutz genießen. Sivan Ben Yishai fordert, es müsse doch möglich sein, sich in ihrer Wahlheimat Deutschland künstlerisch mit politischen Kontroversen in Israel auseinanderzusetzen – ohne dass ihr der Vorwurf gemacht wird, sie sei eine Antisemitin, weil sie sich nicht deutlich genug vom BDS abgrenze.
Wie fühlte sich das an, als Ihnen vorgeworfen wurde, antisemitische Positionen zu vertreten?
Das hat mich getroffen. Mich beschäftigt dieses hochkomplexe Thema sehr. Ich glaube aber, den Vorwurf guten Gewissens von mir weisen zu können. Es geht mir nicht darum, dem BDS eine Bühne zu bieten. Wir sind kein Ort für politische Versammlungen, auch wenn wir als Theater immer politische und gesellschaftliche Themen verhandeln.
Haben Sie Fehler gemacht?
Sicherlich wäre es gut gewesen, vor der Veröffentlichung des Plädoyers noch intensiver das Gespräch mit den jüdischen Communities, in denen das Thema höchst kontrovers diskutiert wird, zu suchen. Gerade auch an unseren jeweiligen Standorten. Dieses Versäumnis werfe ich mir auch persönlich vor. Daher suche ich jetzt umso intensiver den Dialog. Der Gesprächsbedarf ist hoch – aber das ist ja auch gut.
Hintergrund
Deutsch-Israelische Verbändekritisieren Holtzhauer und Co.
In einer gemeinsamen Erklärung kritisieren die Deutsch-Israelische Gesellschaft Rhein-Neckar, das Junge Forum dieser Gesellschaft in Heidelberg, der Freundeskreis Weinheim-Ramat Gan und der
Deutsch-Israelische Verbändekritisieren Holtzhauer und Co.
In einer gemeinsamen Erklärung kritisieren die Deutsch-Israelische Gesellschaft Rhein-Neckar, das Junge Forum dieser Gesellschaft in Heidelberg, der Freundeskreis Weinheim-Ramat Gan und der Verein ehemalige Synagoge Hemsbach die Initiatoren der "Initiative GG 5.3 Weltoffenheit" und explizit den Mannheimer Schauspielintendanten Christian Holtzhauer wegen deren Haltung zur antiisraelischen Kampagne BDS (siehe Artikel rechts).
Diese könne nicht Teil des demokratischen Diskurses sein und sei im Kern antisemitisch. Dafür führen die Verfasser zwei Gründe auf. Die Forderungen des BDS zielten erstens auf einen "vollumfänglichen" Boykott Israels ab. Zweitens sei die Kampagne kein Debattierclub, sondern eine Plattform für antisemitische Praxis. Zwar könne man über die Positionen des BDS streiten, was aber nicht heiße, seinen Akteuren eine Plattform zu bieten.
In der Vergangenheit hätten Aktivisten unter anderem Vorträge von Holocaust-Überlebenden gestört, nur weil eine Politikerin des israelischen Parlaments, der Knesset, anwesend gewesen sei. Oder sie hätten starken Druck auf akademische Institutionen ausgeübt, um die Teilnahme israelischer Wissenschaftler an internationalen Konferenzen nur wegen ihrer Staatsangehörigkeit zu verhindern.
Wer, wie die "Initiative GG 5.3", verlange, BDS-Aktive mit Verweis auf die deutsche Geschichte in den demokratischen Diskurs mit einzubeziehen, zeige eine erstaunliche Ignoranz gegenüber israelbezogenem Antisemitismus. Und widerspreche damit auch gegen den Kern der "Mannheimer Erklärung" für ein Zusammenleben in Vielfalt – ohne Hass, Gewalt und Ausgrenzung. Das Papier ist auch vom Nationaltheater unterzeichnet worden.
Auf die "Mannheimer Erklärung" stützt sich ein Beschluss des Gemeinderats von Ende 2018, der die BDS-Kampagne und die Aufforderung zum Boykott israelischer Künstler, Wissenschaftler, Waren und Unternehmen "aufs Schärfste" verurteilt. Diese erinnere an die Parole der Nationalsozialisten "Kauft nicht bei Juden" und somit an die dunkelsten Stunden der deutschen Geschichte. (alb)
Wie gehen Sie mit der Kritik der Deutsch-Israelischen Vereinigungen aus der Region um?
Ich habe ein sehr konstruktives Gespräch mit Chris Rihm von der Deutsch-Israelischen Gesellschaft Rhein-Neckar (auch Stadtrat der Grünen; Anm. d. Red) geführt. Wir haben uns ein digitales Treffen in größerer Runde vorgenommen, es gibt dafür aber noch keinen Termin. Außerdem überlegen wir, eine öffentliche Veranstaltung durchzuführen, sobald das wieder möglich ist.
Einige Stimmen haben den Initiatoren des Plädoyers vorgehalten, das Papier so wachsweich formuliert zu haben, dass man gar nicht genau weiß, was eigentlich das Problem ist.
Die vorsichtige Formulierung rührt natürlich daher, dass allen Beteiligten bewusst war, ein sehr sensibles Thema zu behandeln. Schon auf der Pressekonferenz in Berlin im Dezember, deren Aufzeichnung man sich im Internet ansehen kann, sind aber konkrete Beispiele für Schwierigkeiten und Probleme benannt worden.
Der BDS ist da wesentlich radikaler. Er versucht, Veranstaltungen, an denen jüdische Künstler teilnehmen, massiv zu stören.
Ich lehne diese Boykottaufrufe kategorisch ab. Umgekehrt sollten wir aber nicht mit denselben Strategien agieren. Wir sind in Deutschland in den letzten Jahren gut damit gefahren, auf einem gewissen Unterschied zwischen Künstler und Werk zu beharren, auch wenn uns diese Trennung heute wieder sehr schwerfällt. Wenn wir sie aber komplett aufgeben würden, müssten wir die Werke des bekennenden Antisemiten Richard Wagner sofort von unsren Bühnen verbannen. Oder nehmen Sie Schillers deutlich antisemitische Charakterisierung der Figur des Spiegelbergs in "Die Räuber". Oder Peter Handke und seine Haltung zu Serbien unter Milosevic. Ich halte es für produktiver, wenn wir uns mit jenen Künstlern, deren Werke uns überzeugen, deren weltanschauliche Haltungen – etwa in Bezug auf BDS – wir aber nicht immer teilen, über diese Differenzen streiten. Vorausgesetzt natürlich, sie bekennen sich zu unseren demokratischen Grundprinzipien. Streiten kann man sich aber nur, wenn man den anderen auch zu Wort kommen lässt.
Was wünschen Sie sich?
Eine Schärfung der Begriffe, mit denen wir operieren. Menschen, die nicht unserer Meinung sind, sollten nicht reflexartig unter Verwendung weniger Schlagworte in eine bestimmte Ecke gestellt oder ganz aus dem Diskurs herausgenommen werden. Lasst uns die Debatten bitte sachlich führen.



