"Meine Stadt 1945": Die Geschichten der RNZ-Leser lassen niemanden kalt

Die Serie gibt es jetzt in Buchform - Morgen erscheint der Sammelband "Unsere Schicksalsjahre 1944/45" mit ganz persönlichen Erinnerungen

12.12.2014 UPDATE: 12.12.2014 05:00 Uhr 2 Minuten, 39 Sekunden
Mit diesem Artikel begann die Serie 'Meine Stadt 1945'. Darin erinnerte sich Christa Huillier an ihre Kindheit in Schwetzingen.
Von Alexander Albrecht

Rhein-Neckar. Am Anfang war da dieser aufwühlende Artikel. RNZ-Mitarbeiterin Christa Huillier erzählte darin, wie sie unmittelbar nach Ende des Zweiten Weltkriegs als Kind auf den Schwetzinger Gassen spielte. Der Text erschien im Juni 2012 in der Rhein-Neckar-Zeitung - verbunden mit der Bitte an unsere Leser, sich zu melden und von ihren Erlebnissen in den letzten Kriegsjahren zu berichten.

Die Idee zur Serie "Meine Stadt 1945" hatten Huillier und RNZ-Redakteur Stefan Hagen. Spontan. "Ich hoffte auf fünf bis zehn Zuschriften", erinnert sich Hagen. Eine Woche lang passierte fast gar nichts. "Doch dann haben sich alle Schleusen geöffnet", sagt er. Beinahe täglich standen Zeitzeugen an der RNZ-Pforte, baten um ein Gespräch und erzählten ihre Geschichten. Es wurden unzählige handgeschriebene Briefe abgegeben, Bilder und Tagebücher zur Verfügung gestellt. Das Telefon stand nicht mehr still. "Ganz ehrlich", gesteht Hagen, "mit dieser Resonanz habe ich nie und nimmer gerechnet".

Überwältigt und gerührt sei er gewesen, dass so viele Leser aus der Metropolregion der RNZ ihr Herz öffneten und ein solch großes Vertrauen zu ihrer Zeitung haben. "Manchmal hatte ich das Gefühl, als ob die Leute darauf gewartet haben, endlich aus dieser schweren Zeit zu erzählen. Sie haben sich geradezu eine Last von der Seele geredet und geschrieben", sagt Hagen. Es sind packende Berichte, ganz persönliche Erinnerungen an eine furchtbare Zeit. Die Schrecken der Bombennächte, der alltägliche Horror unter der Herrschaft der Nationalsozialisten, der Verlust der Heimat, der Tod von Angehörigen und Freunden, die erste Zeit der Besatzung: Die Geschichten lassen keinen kalt, nicht selten sind Tränen geflossen.

So etwa bei der unbekannten Frau, deren kleiner Bruder im Jahr 1944 von einem Arzt "totgespritzt" wurde, wie sie mit stockender Stimme erzählte. Er war mit dem Down Syndrom zur Welt gekommen. Oder Rosemarie Müller, die heute in Ladenburg lebt und den verheerenden Bombenangriff auf Pforzheim als Zehnjährige überlebt hat. Oder Anneliese Sauter, geborene Flory, die erst im August dieses Jahres erfuhr, wo genau ihr in Russland gefallener Mann begraben ist.

Es gibt aber auch einige Beiträge, die einen schmunzeln lassen. Anneliese Holl berichtet, wie hungrige Amerikaner in das Haus ihrer Tante in Heidelberg eindrangen, sich aber nicht trauten, den Gänsebraten zu "beschlagnahmen". Erst nachdem die Hausherrin herzhaft hineingebissen hatte, schwand das Misstrauen, und die Soldaten ließen sich den Braten schmecken.

Fast hundert Artikel sind im Rahmen der Serie seit Juli 2012 veröffentlicht worden. Die meisten Geschichten kamen "direkt vom Brief in die Zeitung" und wurden lediglich behutsam bearbeitet. In anderen Fällen setzten sich RNZ-Mitarbeiter mit den Zeitzeugen an einen Tisch.

Recht schnell kam vonseiten unserer Leser der Wunsch auf, die Beiträge doch in einem Buch zu bündeln. Dieser Wunsch wird nun erfüllt. Im Sommer war die Entscheidung gefallen, den ab morgen erhältlichen Band "Unsere Schicksalsjahre 1944/1945" zu drucken. Zuvor hatte Stefan Hagen mit Jörg Kreutz und Berno Müller vom Kreisarchiv des Rhein-Neckar-Kreises zwei leidenschaftliche Mitstreiter und Mitherausgeber gefunden, die sofort von dem Projekt angetan waren.

"Wir halten hier einen Schatz in unseren Händen", sagt Kreisarchivar Kreutz über das Buch, das im Eigenverlag des Rhein-Neckar-Kreises erscheint. Die Geschichten zeigten, dass die Schatten der Vergangenheit immer noch in die Gegenwart reichten. Wobei "Unsere Schicksalsjahre" beileibe kein "trockener Geschichtswälzer" sei, wie Berno Müller ergänzt. "Ereignisse werden greifbar, der Schrecken bekommt ein Gesicht."

Hagen, Kreutz und Müller hoffen, dass das Werk auch von Menschen gelesen wird, die nach Kriegsende geboren wurden, insbesondere von der jüngeren Generation. Nach der Lektüre könnten sie zumindest erahnen, was ihre Eltern, Groß- und Urgroßeltern erleben und erleiden mussten. Das Herausgeber-Trio muss aber auch um Verständnis bitten. Wegen der "unglaublichen Fülle des Materials" habe man eine Auswahl treffen müssen, weshalb nicht jeder Beitrag veröffentlicht werden konnte. Glücklich über das Erscheinen des fast 190-seitigen Werks ist unter anderem ein Mann aus den USA, der das Buch seiner in Heidelberg geborenen Frau schenken will. > Siehe Artikel auf der Seite "Rhein-Neckar-Kreis"

Info: Stefan Hagen, Jörg Kreutz und Berno Müller (Hrsg.): "Unser Schicksalsjahre 1944/45", Eigenverlag des Rhein-Neckar-Kreises, 188 Seiten, 22,80 Euro, ISBN 978-3-932102-31-8. Erhältlich ab 13. Dezember in allen RNZ-Geschäftsstellen und Niederlassungen von Schmitt & Hahn sowie in vielen weiteren Buchhandlungen. Per E-Mail bestellbar unter eigenverlag@rhein-neckar-kreis.de oder per Telefon unter 06203/9306-7740.

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