Erneut ein tiefer Griff in die Kreativkiste
Mannheim. Der 9. "Nachtwandel im Jungbusch" sorgte wieder einmal für einen vollen, schrillen und mit Überraschungen gespickten Stadtteil

Wenn sich General Schweißtropf aus dem Fenster einer Kneipe in der Jungbuschstraße lehnt und seinen entzückten Zuhörern nachdenklich-humorvolle Lyrik an den Kopf schleudert, kann das nur eins bedeuten: Nachtwandel im Jungbusch. Und der sorgte am Freitag und Samstag erneut für einen vollen, schrillen und mit Überraschungen gespickten Stadtteil.
Doch nicht nur Schweißtropf glänzte wieder beim Kulturfest eines Stadtteils, der sich im Lauf der Jahre mächtig gewandelt hat: vom einstigen Rotlicht- zum angesagten Künstlerviertel. Und davon konnten sich die "Nachtwandler" an knapp 60 Stationen selbst überzeugen. Wohl demjenigen, der noch ein Programmheft abbekommen hatte, denn die waren am Samstag schon an vielen Stellen vergriffen. Doch auch ein Blindflug durch das Treiben belohnte mit Einblicken, die es im alltäglichen Leben so nicht gibt.
Der Nachtwandel verlief dieses Jahr wieder gewohnt friedlich. "Keine besonderen Vorkommnisse", teilte die Polizei auf Anfrage mit, auch wenn dieses Jahr eventuell wieder ein zumindest gefühlter Besucherrekord anstehen könnte. "Mir kommt es so vor, als wären dieses Jahr wieder mehr Leute dabei", meinte Nachtwandel-Besucher Wolfram Zekai aus Mannheim am Samstagabend. Aber es sei nicht unangenehm voll.
Auch die neuen Uhrzeiten - das Kulturfest dauerte erstmals an beiden Tagen von 19 Uhr bis Mitternacht - schienen nicht zu stören. "Ich finde das sinnvoll", so Zekai. "So werden die Bewohner des Stadtteils nicht so lange vom Schlaf abgehalten."
Und von einer Besonderheit des Nachtwandels wusste er gleich zu berichten: "Hier trifft man viele Menschen und auf eine offene und entspannte Stimmung."
Aggressionsgeladene Gäste waren auch dieses Jahr selten bis gar nicht zu beobachten. Und so wandelten Kunst- und Kulturinteressierte neben Feierfreudigen Seite an Seite, teilweise auch - dort, wo es eng wurde - Fuß auf Fuß durch die Nacht. Fast spätsommerliche Abendtemperaturen sorgten für einen angenehmen Aufenthalt auf den Straßen, während in manchen Ausstellungsräumen die Luft zum Schneiden war. Aber auch das wurde von den meisten Gästen mit Gelassenheit hingenommen.
Das Programm präsentierte sich gewohnt abwechslungsreich: Fotografien und Fotocollagen, Livemusik in allen Stilrichtungen, Bilderausstellungen oder ganze Häuserfassaden, die sich mit Projektoren zu überdimensionalen Kunstwerken verwandelten, Walking Acts oder eine zum Jazz-Club umfunktionierte Waschanlage - die Stadtteilbewohner und deren künstlerische Unterstützer griffen auch beim neunten Nachtwandel wieder tief in die Kreativkiste.
Für diejenigen, die sich eine kleine Auszeit vom Rummel gönnen wollten, war der Besuch in einer der Moscheen oder in der Hafenkirche genau das Richtige. Letztere lud beispielsweise unter dem Motto "Chilling Church" zu klassischer Musik ein und bot damit ein gelungenes Kontrastprogramm zum üblichen Treiben an.
Die vom Veranstalter angekündigten verschärften Sicherheitsauflagen spielten sich kaum spürbar im Hintergrund ab. Ordner waren ab und an zu sehen, hielten sich aber dezent zurück oder mussten nicht eingreifen. Auch der "wilde" Verkauf von Alkohol schien dieses Jahr erfolgreich eingedämmt. "Ich habe kaum übermäßig Betrunkene gesehen", sagte der erfahrene "Nachtwandler" Wolfram Zekai.
Das Leben im Stadtteil Jungbusch pulsiert mehr denn je. Ein weitgehend friedliches Zusammenleben scheint dort möglich zu sein, obwohl die unterschiedlichsten Kulturen dort aufeinandertreffen.
Und der neunte Nachtwandel bestätigte dies wieder eindrucksvoll. Und selbst, wenn gegen Mitternacht die Lichter eines nach dem anderen gelöscht wurden, bedeutete das noch lange nicht das Ende des Festes. Denn, wie jedes Jahr, blieben die Straßen im Jungbusch noch eine ganze Weile länger voll.



