Mannheimer Stadtteile

Vogelstang soll nicht abgehängt werden

Die Siedlung entstand erst in den 1960er-Jahren. Heute wohnen vor allem Senioren dort.

28.12.2020 UPDATE: 29.12.2020 06:00 Uhr 2 Minuten, 40 Sekunden
Die Vogelstangseen und Hochhäuser prägen den Stadtteil. Foto: Gerold

Von Marco Partner

Mannheim. Eine Skyline im Feld. Bis zu 24 Stockwerke hoch, eine Großwohnsiedlung am Rande Mannheims. Die Hochhäuser sind schon von Weitem zu sehen. Ob beim Spazieren am gleichnamigen See oder bei der Durchfahrt auf der B38 taucht der Trabant wie eine Fata Morgana aus dem Nirgendwo auf: die Vogelstang. Der in den 1960er Jahren im Osten entstandene Stadtbezirk ist der jüngste in Mannheim.

Was die Bevölkerungsstruktur anbelangt, ist er aber auch der älteste Stadtteil. Der Altersdurchschnitt liegt bei 47 Jahren, es gibt aber kaum Angebote für Betreutes Wohnen. Ein bekanntes Problem im Quartier, an dem sich nur langsam etwas ändert.

Gunter U. Heinrich kennt die Siedlung wie seine Westentasche. Foto: Gerold

Als Gunter U. Heinrich in die Vogelstang zog, war alles noch ganz neu. "Ich kenne es noch mit Feldern und Wiesen", sagt der heute 77-Jährige. Als eine der ersten 200 Familien zogen die Heinrichs 1966 in den neuen Stadtteil. Die Siedlung war eine lang gesuchte Antwort auf die Wohnungsnot in der Nachkriegszeit, und die projizierten Bilder mit Schulen, Einkaufszentrum und innovativer Infrastruktur zogen vor allem junge Familien an. "Im Schnitt waren die Eltern zwischen 30 und 35 Jahre alt und hatten zwei Kinder", erinnert sich Heinrich, der selbst in ein Reihenhaus zog.

Heute sind die Kinder der ersten Generation längst ausgezogen. Die Mütter und Väter aber sind geblieben, doch einige Ehepartner bereits verstorben. "Es gibt viele alleinstehende Menschen in großen Drei- bis Vierzimmer-Wohnungen. Manche können sich die Miete oder Nebenkosten kaum leisten", sagt der "Ur-Einwohner" der Vogelstang. "Was fehlt, sind bezahlbare Ein- bis Zweizimmer-Wohnungen", weiß Heinrich, der für die SPD lange im Bezirksbeirat saß und seit Jahrzehnten als Erster Vorsitzender des Bürgervereins mit viel Herzblut für das Wohl seines Stadtteils eintritt.

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Die große Neuapostolische Kirche. Foto: Gerold

Mit Sommerfesten, Martinsumzug, Weihnachtsmarkt, Winterverbrennung und – dank der Nähe zu den Ex-US-Kasernen Franklin und Taylor – auch Halloween-Feten machen sich der Bürgerverein wie auch der SSV Vogelstang seit den Anfängen für eine gemeinsame Identität im Stadtteil stark. "Bei der Entstehung wurde auf eine soziale Durchmischung geachtet. Mit sozialem Wohnraum, Eigentumswohnungen und Einfamilienhäusern, es gab Werkswohnungen für BBC oder Benz-Mitarbeiter", so Heinrich.

Heute bestehe die Gefahr, dass die Vogelstang wie eine französische Banlieue ein wenig vergessen und sich selbst überlassen werde, und sich divergierende Lebenswelten auftäten. Der Migrationsanteil liegt bei 50 Prozent, bei der letzten Bundestagswahl erreichte die AfD über 30 Prozent. "Es sind vor allem Eigentümer, die um den Wert ihrer Immobilie fürchten", erklärt Heinrich.

Das schmucklose Einkaufszentrum. Foto: Gerold

Die damals 5500 Wohnungen wurden überwiegend im Mittelhochbau und nur vereinzelt im Flach- sowie im Hochbau gebaut. Und doch stechen gerade die Wohntürme ins Auge. 70 Meter hoch, mit je 198 Wohnungen auf 24 Etagen verteilt, formieren sich die drei Punkthochhäuser um das Einkaufszentrum, das optisch an das Rathaus-Center in Ludwigshafen erinnert, aber doch rege als Shopping-Herz des Viertels genutzt wird: mit Arztpraxen, Supermarkt, Bäckereien, Metzger, Restaurant, Textildiscounter, Frisör, Drogerie und einer Bahn-Haltestelle, die direkt in die City führt.

Der "strukturelle Wandel" macht sich auch in der Einwohnerzahl bemerkbar. Einst zählte die Vogelstang rund 20.000 Einwohner, aktuell sind es 13.000. Und immer noch wird ein Bevölkerungsrückgang prognostiziert. Wohnungs-Leerstand gebe es keinen, aber eben viele Senioren in zu groß gewordenen Wohnungen. Eine kleine Antwort wird zumindest mit den gerade entstehenden Pflege-Appartements im Fritz-Esser-Haus im Gerauer Ring gegeben. "Aber es ist die Frage, ob sich die Bewohner der Vogelstang dieses Angebot leisten können", betont Heinrich.

Und doch gibt es trotz Überalterung auch eine einen Verjüngungsprozess, macht sich ein Generationenwechsel bemerkbar. Gleich sieben Kindertagesstätten gibt es, jeweils eine Grund-, Werkreal- und Berufsschule sowie ein Gymnasium, eine Schul- und Stadtteilbibliothek sowie ein Jugendhaus. Und neben den beiden Vogelstangseen noch eine weitere Freizeitattraktivität: das Hallenbad.

Hintergrund

> Fläche: 3,16 km2

> Einwohner: 12.592

> Einwohner pro km2: 3967

> Altersschnitt: 47

> Migration: 50,7 Prozent

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> Fläche: 3,16 km2

> Einwohner: 12.592

> Einwohner pro km2: 3967

> Altersschnitt: 47

> Migration: 50,7 Prozent

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"Es ist sehr wichtig für den Stadtteil, es ist kein Luxus- oder Erlebnisbad, aber ein Zweckbad für Schüler bis zu Senioren", betont Heinrich, der hofft, dass die notwendige Sanierung nicht den geplanten Kombibädern im Carl-Benz- und Herzogenriedbad zum Opfer fällt. Die Vogelstang mit ihren Tempo-30-Straßen ist verkehrsberuhigt, und die kleinen Grünanlagen in den Wohnsiedlungen werden vor allem für Hundespaziergänge genutzt. Mit einer Rad- und Fußwegbrücke wird die Vogelstang in den kommenden Jahren mit dem neuen Stadtteil Franklin verbunden und vielleicht wieder verstärkt ins städtische Bewusstsein gerückt. "Stadt, politische Gremien, Vereine und Institutionen müssen mitwirken, dass nicht zu viel auf der Strecke bleibt", sagt Heinrich.

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