Haftstrafe nach Betrug mit Corona-Bürgertests
Der 36-jährige Angeklagte ergaunerte für angebliche Covid-Tests mehr als 300.000 Euro. Nun wurde er verurteilt.

Mannheim/Heidelberg. (alb) Weil er bei der Abrechnung von Corona-Tests betrogen haben soll, ist ein 36-jähriger Mann am Donnerstag vom Mannheimer Landgericht zu zwei Jahren und acht Monaten Haft verurteilt worden. Die 4. Große Wirtschaftsstrafkammer unter dem Vorsitz von Christiane Loos hatte den Prozess ursprünglich bis Mitte November angesetzt, doch beschleunigte ein Geständnis des angeklagten Hakim C. das Verfahren. Der gebürtige Ludwigshafener soll im vergangenen Jahr als Teil einer fünfköpfigen Bande ein Testzentrum in Heidelberg-Wieblingen betrieben haben.
Als Standort gab er gegenüber dem Gesundheitsamt die Wohnanschrift eines von insgesamt drei flüchtigen Mitangeklagten an. Er legte für seinen Compagnon ein – jedoch gefälschtes – Zertifikat eines Lehrgangs vor, das diesen zur Abnahme der Tests berechtigte. Ein Gewerbe meldete Hakim C. bei der Stadt Heidelberg nie an. Die Kassenärztliche Vereinigung Baden-Württemberg (KVBW) überwies auf ein von ihm in einer Ludwigshafener Commerzbank-Filiale eröffnetes Konto jeweils über 240.000 und noch einmal 104.000 Euro – ohne die Abrechnungen vorher geprüft zu haben.
Das war auch nicht von der Politik gewollt, gefragt waren schnelle und unbürokratische Angebote. Die KVBW erhielt jeden ausgegebenen Euro für die "Bürgertests" vom Bund zurück. In ähnlicher Manier wie Hakim C. sollen nach Überzeugung der Staatsanwaltschaft die weiteren Angeklagten vorgegangen sein. Sie ergaunerten insgesamt mehr als drei Millionen Euro. Hakim C. sah sich laut seines Geständnisses als Bauernopfer. Ein Freund habe ihm erzählt, dass er mit seinem Bruder und einem Onkel mit Corona-Testzentren viel Geld verdiene. Wegen seines negativen Schufa-Eintrags sollten Anmeldung und Konten für Wieblingen über Hakim C. laufen. Dafür sollen ihm 5000 Euro versprochen worden sein, so der Angeklagte.
Mit dem Tagesgeschäft in dem Zentrum habe er nichts zu tun gehabt. Er gestand aber auf Rückfrage, dass er von Abrechnungen für nicht erfolgte Tests wusste. Am Ende habe er nicht einmal die 5000 Euro bekommen, weil der Freund, dessen Bruder und Onkel abgetaucht seien. Staatsanwalt Holger Hofmann nahm C. die "Opferrolle" nicht ab. Den Ermittlungen zufolge sollte sein Lohn zehn Prozent der erlösten Vergütungen betragen. Der Ankläger forderte eine Haftstrafe von drei Jahren und drei Monaten.
Verteidiger Sebastian Glathe argumentierte mit den fehlenden Kontrollen der Abrechnungen. So seien nicht einmal die aufgeführten 23 Tests pro Minute aufgefallen. Für den Betrug habe es daher keiner kriminellen Energie bedurft. Hakim C. als "angeworbener und angeleiteter" Unterstützer könne man lediglich für eine "Beihilfe-Handlung" verurteilen: zu einem Jahr und zehn Monaten, zur Bewährung ausgesetzt.
Richterin Loos sagte, der 36-Jährige habe billigend in Kauf genommen, dass Verträge gefälscht und Tests nicht durchgeführt worden seien. Betrug am Staat sei kein Kavaliersdelikt, das Urteil solle ein "Signal" sein, dass solche Taten hart bestraft würden. Positiv wertete die Vorsitzende das Geständnis von Hakim C., dass er bislang nicht vorbestraft sei und sich im Gegensatz zu den Komplizen nicht aus dem Staub machte. Loos ordnete einen Werteinzug eines Teils des Schadens bei dem Angeklagten und dem flüchtigen Haupttäter an.
Update: Donnerstag, 29. September 2022, 19.25 Uhr
Einladung zum Betrug mit den Corona-Bürgertests
Von Alexander Albrecht
Mannheim/Heidelberg. Die Corona-Pandemie sorgt im vergangenen Jahr für "Goldgräberstimmung"; landauf, landab sprießen private Teststationen wie Pilze aus dem Boden. Mit vergleichsweise wenig Aufwand lässt sich viel Geld verdienen. Ein passender Ort, ein Hygienekonzept und ein sogenanntes Leistungszertifikat – viel mehr ist nicht notwendig, um ein solches Zentrum recht unbürokratisch und ohne wesentliche medizinische Vorkenntnisse betreiben zu dürfen. Der Staat lässt die Anbieter weitgehend gewähren, schließlich werden die Testnachweise von den Menschen schnell benötigt. Die laxe Kontrollpraxis ist aber auch eine Einladung zum Betrug und zieht zwielichtige "Unternehmer" an.
Die Politik tut sich schwer, das Problem zu lösen, dafür vermasseln mittlerweile die Anklagebehörden den schwarzen Schafen der neuen Testbranche immer häufiger die Tour. Meist werden sie von den Banken informiert, die stutzig wurden, weil auf Konten teils riesige Summen eingegangen waren. Die Institute zeigen die Vorgänge nach dem Geldwäschegesetz an. Inzwischen laufen bundesweit mehrere Hundert Ermittlungsverfahren gegen mutmaßliche Ganoven.
Vor dem Mannheimer Landgericht hat am Montag der erste große Prozess wegen Betrugs mit Coronatests begonnen. Angeklagt ist Hakim C., ein 36-jähriger, gebürtiger Ludwigshafener. Die 4. Große Wirtschaftsstrafkammer unter dem Vorsitz von Christiane Loos hat bis Mitte November 20 Verhandlungstage angesetzt. Die Staatsanwaltschaft sieht Hakim C. als Teil einer fünfköpfigen Bande. Dass er sich in dem Verfahren alleine verantworten muss, hat einen einfachen Grund: Drei der Männer befinden sich laut Anklägerin Jeanie Henn auf der Flucht, ein Vierter ist erst kürzlich festgenommen worden, als der Prozess bereits angesetzt war. Fluchtgefahr nimmt die Justiz auch bei dem 36-Jährigen an, weshalb er sich seit Ende Januar dieses Jahres in Untersuchungshaft befindet.
Das Gesundheitsamt des Rhein-Neckar-Kreises hatte Mitte August 2021 Hakim C. damit beauftragt, Bürgertests anzubieten. Für sein "Schnelltestzentrum" gab er eine Adresse in Heidelberg-Wieblingen an – die Wohnanschrift eines flüchtigen Mitangeklagten, wie man heute weiß. Damit der Betrieb überhaupt aufgenommen werden durfte, legte er für seinen Compagnon ein – jedoch gefälschtes – Zertifikat eines Lehrgangs in Leverkusen vor, das diesen zur Abnahme der Tests berechtigte. Tatsächlich war der Mann nicht bei der genannten Stelle im Rheinland erschienen. Wie viele beziehungsweise ob überhaupt Bürgerinnen und Bürger in Wieblingen vorbeikamen, ist dagegen unklar.
Fest steht, dass Hakim C. nie ein Gewerbe für die Teststation angemeldet hat, wie es das Gesetz vorschreibt. Trotz keiner oder wenig Kundschaft: Das Geld floss trotzdem auf sein eigens dafür eingerichtetes Konto. Ohne vorherige Prüfung seiner Abrechnung über angeblich erbrachte Leistungen überwies ihm die Kassenärztliche Vereinigung Baden-Württemberg (KVBW) für die Monate August und September 2021 insgesamt 240.558 und für den Oktober weitere 104.745 Euro. Die KVBW erhält – wie jede andere Einrichtung dieser Art in Deutschland – jeden ausgegeben Euro für die Bürgertests vom Bundesamt für Soziale Sicherung zurück. Aus Steuergeldern also bezahlten die Vereinigungen damals 18 Euro pro Bürgertest, die sich wiederum aufteilten in zwölf Euro für die eigentliche Testung und sechs Euro für das Material. In ähnlicher Manier wie Hakim C. sollen nach Angaben von Henn die drei weiteren Angeklagten vorgegangen sein. Sie ergaunerten mehr als drei Millionen Euro unter anderem für eine Teststation im Mannheimer Stadtteil Schwetzingerstadt. Beim Prozessauftakt erfährt die Öffentlichkeit bis auf den Geburtsort und das Geburtsdatum nichts über Hakim C.. Er will sich weder zu seiner Person noch "zur Sache" äußern.
Den ersten Verhandlungstag dominiert stattdessen ein anderes Thema. Hakim C. sind zwei Anwälte aus Mainz als Pflichtverteidiger zur Seite gestellt worden. Diese lehnt der Angeklagte jedoch ab. Stattdessen will er sich von zwei anderen Juristen – sogenannten Wahlverteidigern – vertreten lassen. Einer der beiden beantragt, dass das Verfahren ausgesetzt wird, und führt dafür drei Gründe an.
Erstens habe er keine Akteneinsicht erhalten, womit er sich nicht auf den Prozess vorbereiten könne. Zweitens habe die Kammer noch nicht auf den Wunsch seines Mandanten nach einem Verteidigerwechsel reagiert. Und drittens lehne der Angeklagte die Vorsitzende Richterin wegen Befangenheit ab. Loos verfolge ein rein "prozessuales" Interesse und stelle dieses über jenes von Hakim C. nach einer ordnungsgemäßen Verteidigung, der er vertraue. So könne er, der Anwalt, wegen eines anderen Verfahrens in Stuttgart nicht an allen Verhandlungen teilnehmen.
Nach einer kurzen Unterbrechung weist die Richterin den der Kammer erst am Sonntag zugegangenen Antrag zurück. Dem Anwalt sei bereits Ende Juli die "Akte" als CD zugestellt worden. Zudem habe sie den Prozessablauf mit den Pflichtverteidigern von Hakim C. besprochen.
Wie Jeanie Henn am Rande der Verhandlung sagt, seien kürzlich zwei Männer vom Amtsgericht Schwetzingen wegen des Betrugs mit Corona-Tests verurteilt worden, einer zu Haft, der andere zur Bewährung. Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) will, dass künftig das Robert-Koch-Institut (RKI) die Abrechnungen kontrolliert. Dazu hatten sich weder die Gesundheitsämter noch die Kassenärztlichen Vereinigungen in der Lage gesehen.



