Mannheim

Auschwitz-Überlebende erinnerte an die NS-Gräuel gegen Sinti und Roma

Zilli Schmidt im "RomnoKher"-Kulturhaus - "Ich will es erzählen, solange ich lebe"

21.09.2020 UPDATE: 22.09.2020 06:00 Uhr 2 Minuten, 28 Sekunden
Die 96-jährige Zilli Schmidt bei ihrem Vortrag in Mannheim. Foto: vaf

Von Heike Warlich-Zink

Mannheim. "Du sollst dir ein Bild machen – Über Völkermord, Erinnerung und Widerstand" lautet der Titel einer Veranstaltungsreihe von "zeitraumexit" und "RomnoKher" in Zusammenarbeit mit "Off//Foto Festival" und Teil der "einander.Aktionstage 2020" in Mannheim. Vorgestellt werden künstlerische und dokumentarische Ansätze wie Ausstellungen, Gespräche und Lesungen, um sich dem Vergessen entgegenzustellen. Denn wie kann man sich ein Bild machen, wenn es immer weniger Zeitzeugen gibt, oder die Opfer nicht über das Erlebte sprechen können? Auch Zilli Schmidt hat erst im hohen Alter damit begonnen, öffentlich von ihrem Leben zu erzählen.

Die 96-Jährige lebt in Mannheim und ist eine der Letzten, die über den Völkermord der Nazis an den Sinti und Roma Zeugnis ablegen kann. Sie war Ehrengast im "RomnoKher", Kulturhaus der Sinti und Roma Baden-Württemberg in B7, 16, wo die Schauspielerin Carmen Yasemin Zehentmeier aus den Erinnerungen von Zilli Schmidt las, die vor wenigen Wochen unter dem Titel "Gott hat mit mir was vorgehabt!" als Buch veröffentlicht wurden.

"Ich will es erzählen, solange ich lebe. Und ich habe es aufgeschrieben, damit man nachlesen kann, was sie gemacht haben", so die Zeitzeugin. Damit es nicht vergessen wird und als Appell, gemeinsam gegen Rassismus und Ausgrenzung einzutreten. Sie versteht das als ihren Auftrag und schöpft Kraft aus ihrem Glauben. "Das hat Gott so gewollt. Ich hab‘ ihn immer bei mir gehabt", sagt sie dazu auch im Film, der zur Buchpremiere unter dem Titel "…die bringen nur die Verbrecher weg" entstanden ist. Ein Zitat ihres Vaters, der fest davon überzeugt war, dass seiner Familie nichts passieren würde: "Denn wir sind ja unbescholtene Leute."

Zilli Schmidt erinnert sich an eine glückliche Kindheit mit Eltern und Geschwistern. Kreuz und quer zieht die Familie mit ihrem Wanderkino durch die Bauerndörfer in Thüringen, wo sie 1924 als Cäcilia Reichmann geboren wird. Doch je länger Hitler an der Macht ist, umso enger wird es für die Sinti und Roma insgesamt.

"Wir bekamen keine Stellplatzgenehmigungen mehr, wurden als ’Zigeuner’ beschimpft und in Geschäften nicht bedient", berichtet sie von zunehmenden Anfeindungen und Repressalien. Die Reichmanns fliehen schließlich bis nach Frankreich. Metz wird ihr letzter Wohnort in Freiheit. Zilli, die 1940 ihre Tochter Gretel zur Welt bringt, wird als erste verhaftet, kommt ins Gefängnis und kurz darauf ins Konzentrationslager Lety.

Am 11. März 1943 wird sie mit dem Viehwaggon nach Auschwitz-Birkenau in den Abschnitt des Konzentrations- und Vernichtungslagers gebracht, den die Nazis als "Zigeunerlager" bezeichnen. Die Häftlinge selbst müssen beim Aufbau helfen. Zilli Schmidt schildert den täglichen Überlebenskampf, den quälenden Hunger, die Willkür der KZ-Aufseher, den Tod vieler Menschen, die aufgrund der im Lager herrschenden Zustände nicht überleben. Sie spricht über den 2. August 1944, als sie als "Arbeitsfähige" vom Rest ihrer mittlerweile ebenfalls in Auschwitz inhaftierten Familie getrennt und ins Frauenarbeitslager Ravensbrück abtransportiert wird. Dort erfährt sie, dass alle im Lager Verbliebenen noch am selben Tag in den Gaskammern von Auschwitz-Birkenau getötet wurden, darunter ihre vierjährige Tochter Gretel, die Eltern, ihre Schwester mit den sieben Kindern und weitere Angehörige.

Dass die Reichmanns zu diesem Zeitpunkt überhaupt noch am Leben sind, verdanken sie vor allem ihrer jüngsten Tochter. "Ich habe im Lager geklaut wie ein Rabe. Nicht von Mithäftlingen, aber im Magazin, in der Küche, um meine Familie mit Essen zu versorgen", berichtet sie. Später wird sie der Gedanke quälen, "hätte ich sie verhungern lassen, wären sie nicht ins Gas gegangen".

Die Schuldgefühle, das schlechte Gewissen, es selbst geschafft zu haben und dass die Liebsten tot sind – darüber spricht Schmidt, der zusammen mit einer Cousine im Februar 1945 die Flucht aus Ravensbrück gelingt, im Buch ebenso wie von ihrem Kampf um Wiedergutmachung.

Nach Kriegsende, gerade einmal Mitte Zwanzig, beschließt sie dennoch: "Ich will leben." 1948 lernt sie ihren 1989 verstorbenen Mann Toni Schmidt kennen, den sie 1973 in Mannheim heiratet. Die Ehe blieb kinderlos.

Info: Weitere Termine und Tickets der "Du sollst dir ein Bild machen"-Reihe unter www.zeitraumexit.de oder www.sinti-roma.com

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