Frisöre in der Corona-Krise

"Kollegen erhielten sogar Drohungen" (Update)

Wieslocher Friseurmeister Jörg Fahn spricht über "unmoralische" Angeboten von Kunden, Ungewissheit und ein mögliches Ladensterben

20.03.2020 UPDATE: 30.03.2020 18:15 Uhr 6 Minuten, 11 Sekunden
Der Wieslocher Friseurmeister Jörg Fahn schneidet einem Kunden die Haare. Ausreichend Abstand kann er jedoch nicht einhalten. Foto: Pfeifer

Von Alexander Albrecht

Wiesloch. Vor einigen Tagen hat die RNZ mit dem Wieslocher Friseur- und Innungsobermeister Jörg Fahn (Foto: Pfeifer) gesprochen – wenig später musste er wie seine Kollegen sein Geschäft wegen der Corona-Pandemie schließen. Im Interview äußert er sich zur aktuellen Situation in seiner Branche.

Herr Fahn, wie haben die Kunden auf die Schließung Ihres Geschäfts reagiert?

Die meisten fragen freundlich nach und verstehen die Situation sehr gut, nachdem wir ihnen alles erklärt haben.

Jeder hat Verständnis?

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Leider nein. Es gab zwei unfreundliche Anfragen. In einer meinte der Kunde "Sie könnten das ja privat machen, das hat doch mit ihrer Arbeit nichts zu tun". Kollegen erhielten sogar Drohungen. Man werde sich eben einen anderen Friseur suchen, wenn man ihnen nicht die Haare schneide, hieß es. Es ist zwar eine Minderheit, die so reagiert, aber sie erhöht den Druck. Momentan ist es für uns alle schwer.

Sie meinen die Ungewissheit?

Ja. Wir Friseure wissen nicht, wann und wie es weitergeht. Ist es wie vorher? Dürfen wir weniger Kunden pro Tag bedienen, da die Ansteckungsgefahr nach der Kontaktsperre fortbesteht? Kann ich meine Mitarbeiter überhaupt noch bezahlen? Keiner meiner Kollegen möchte seine Arbeitskräfte entlassen. Wir wissen, was wir an ihnen haben. Gutes Personal zu bekommen ist schwer, sehr schwer.

Fürchten Sie ein Ladensterben?

Einen Monat dürften die meisten Friseure überstehen. Bei einem zweiten wird es schon extrem eng, besonders wenn noch Miete und Darlehen zu den Personalkosten dazu kommen. Ein Ladensterben befürchte ich gerade bei den Neugründungen, die noch nicht in der Lage waren, Rücklagen zu bilden und einen Kundenstamm aufzubauen. Bei den etablierten Unternehmen wird sich wie nach jeder Krise die Spreu vom Weizen trennen. Es haben all jene eine sehr gute Chance, die ihr Handwerk verstehen und professionell ausüben.

Glauben Sie, dass manche Ihrer Kollegen aus purer Existenznot vielleicht doch die "unmoralischen" Angebote der Kunden annehmen und ihnen privat die Haare schneiden?

Das könnte bei den Angestellten passieren. Bei den Selbstständigen hoffe ich, dass sie wissen, was hier auf dem Spiel steht. Unsere Verbände und Innungen appellieren stark und regelmäßig, den Verlockungen zu widerstehen. Schwarze Schafe wird es hier und da immer geben. Ich persönlich habe meine Mitarbeiter ausdrücklich schriftlich angewiesen, kein Angebot anzunehmen. Hausbesuche sind strafbar. Nach der Landesverordnung, die auf das Infektionsschutzgesetz beruht, drohen Bußgelder von bis zu 25.000 Euro.

Wie bewerten Sie die auf den Weg gebrachten staatlichen Hilfen?

Der gesamte Bundestag hat unbürokratisch und schnell entschieden, dafür vielen Dank. Jetzt müssen die Unterstützungsleistungen nur noch ankommen, und ich hoffe, dass hier nicht allzu knausrig ausgewählt wird, sondern etwas großzügiger. Zu viel gezahltes Geld kann sich der Staat ja bei der Steuerprüfung zurückholen. Jetzt zählt erstmal jeder Euro.

Wie können die Kunden helfen?

Die Homepages der Friseure besuchen und sich informieren, ob sie vielleicht eine Aktion gestartet haben. Ansonsten anrufen. Die Friseure dürfen weiterhin Farbe für zu Hause verkaufen. Die können die Kunden entweder abholen oder sie wird – sofern möglich – geliefert. Hilfreich sind auch nette Worte und Treuebekenntnisse. Niemand muss aber ein schlechtes Gewissen haben, wenn er sich nicht meldet. Wir wissen, dass das nicht böse gemeint ist.

Angenommen, ein Mann mit Durchschnittsfriseur will sich unbedingt selbst die Haare schneiden oder ungelernte Angehörige legen Hand an. Haben Sie Tipps, damit das anschließend nicht ganz furchtbar aussieht?

Selbst die Haare schneiden, ist so ein Ding. Versuchen Sie mal, etwas spiegelverkehrt zu machen. Es ist nicht einfach. Es gibt ja "Friseure", die eine Ausbildung hinter sich haben und dennoch keinen ordentlichen Haarschnitt hinbekommen. Wie sieht es dann erst bei Laien aus? Also, ich denke, dass man seine Haare auch mal ein, zwei Monate später schneiden lassen kann. Man stylt die längeren Haare halt etwas anders, ändert den Scheitel von der einen auf die andere Seite oder versucht es mal ohne. Lassen wir uns mal überraschen, ob wir eine neue "Corona-Haarmode" bekommen. Wird bestimmt interessant.

Und die Senioren?

Bei älteren Menschen, die seit 50, 60 oder 70 Jahren fast wöchentlich bei ihrem Friseur waren, sieht es leider ganz anders aus. Viele dieser Kunden haben Schwierigkeiten, sich die Haare selbst einzulegen. Hier kann man leider keine Tipps geben. Nicht jeder von ihnen hat Lockenwickler oder eine Trockenhaube zu Hause. Senioren werden von der Krise sowieso am härtesten getroffen. Wir Jüngeren kommen viel leichter durch, jammern aber viel mehr. Wir sollten uns die älteren Menschen zum Vorbild nehmen.

Update: Montag, 30. März 2020, 18.15 Uhr


So ist die Corona-Krisen-Stimmung bei den Friseuren (Update)

Hinweis der Redaktion: Dieser Artikel entstand vor der Änderung der "Rechtsverordnung über infektionsschützende Maßnahmen gegen die Ausbreitung des Coronavirus" am 20. März 2020. In Punkt 4 heißt es dort: "Frisöre müssen schließen". Damit mussten alle Frisöre in Baden-Württemberg am heutigen Samstag schließen.

Von Alexander Albrecht

Rhein-Neckar. Silke Fahn kann sich auch in Corona-Zeiten nicht über mangelnde Arbeit beklagen. Ganz im Gegenteil: "Ich bin nur noch am Telefon." Sie ist Rezeptionistin im Haarstudio Fahn, das ihr Mann Jörg in der Wieslocher Hauptstraße führt. Erfreulich sind die Anrufe weniger – aber verständlich.

Bis Ostern waren sämtliche Termine in dem Geschäft ausgebucht, jetzt hagelt es wegen des Virus Absagen. Auf "50 Prozent plus", beziffert Friseurmeister Jörg Fahn die aktuellen Umsatzeinbußen. Er versteht seine Klientel. "Die Leute sind sehr vernünftig." Zwei Teilzeitkräfte habe er allerdings schon beurlauben müssen. Die Frauen hätten keine Betreuungsplätze für ihre Kinder finden können.

Das derzeit fünfköpfige Team einschließlich zweier Auszubildender gibt sich alle Mühe, die Kundschaft so vorsichtig wie möglich zu behandeln. Lediglich ein bis zwei Personen werden zeitgleich die Haare geschnitten – mit mehr als drei Meter Abstand zueinander. Jeder Kunde müsse sich nach Betreten des Ladens zunächst die Hände desinfizieren, erklärt Silke Fahn. Nach jeder Behandlung würden die Frisierplätze gereinigt, ebenso Türgriffe, Waschbecken und der Wartebereich.

Die Frisöre schneiden den Kunden lediglich hinter oder seitlich von ihnen die Haare. Augenbrauen, Wimpern oder Bärte sind tabu. Wie Ärzte könnten aber auch sie nicht den geforderten Abstand von 1,50 Meter einhalten, räumt Jörg Fahn ein, der auch Obermeister der Friseur-Innung Heidelberg-Kraichgau ist. In Apotheken und Supermärkten halten Plexiglas-Konstruktionen oder Klebeband auf dem Boden die Kunden auf Distanz. Das ist in den Salons nicht möglich. 

"Deshalb ist es nicht nachvollziehbar, warum es bei uns eine Ausnahmeregelung gibt, wir aber dennoch einer Ansteckungsgefahr ausgesetzt werden. Wir dürfen nicht selbstständig schließen, sonst erhalten wir keine staatliche Förderung", ärgert er sich.

"Eine neue Frisur, ein neuer Style können sicherlich auch der Psyche eines Menschen helfen, aber als lebensnotwendig erachten wir dies nicht", so Fahn. Die Friseur-Verbände seien an dem Thema dran, bislang gebe es aber nichts Neues. Weitere Betriebsöffnungen seien für viele Menschen nicht nachvollziehbar, weiß er: "Nach dem Motto: ,Na, wenn der Frisör noch offen hat, kann es ja nicht so schlimm sein’."

Das sieht die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi ähnlich. Sie hat am Freitag gefordert, die Friseurgeschäfte zu schließen – schon allein, weil der gebotene Abstand zwischen Haarschneider und Kunde nicht eingehalten werden könne. Jörg Fahn arbeitet wie viele seiner Kollegen ohne Mundschutz, der zudem an anderer Stelle noch dringender gebraucht werde. Vorgeschrieben sei dieser aber seit jeher in Nagelstudios.

"Und die mussten schließen", sagt Fahn, "verstehen kann ich das nicht." Verdi fordert zugleich Unterstützung für die Friseurgeschäfte. "Wir brauchen unbürokratische Hilfen für die selbstständigen Ladenbesitzer zur Finanzierung der laufenden Kosten und Hilfen für die Angestellten", erklärt Vorstandsmitglied Christine Behle in einer Mitteilung. Wenn ein Laden schließe, würden die Beschäftigten ohne staatliche Hilfsmaßnahmen sofort entlassen. Deshalb bräuchten sie einen Anspruch auf Kurzarbeitergeld, der ihre Existenz sichere. Ein sauberer Schnitt also.

Die Fahns haben noch Glück, dass sie "zu 98 Prozent" treue Stammkunden haben. Manche hätten den Auftrag trotz Absage bezahlt und das Geld überwiesen. Derweil steigt die Unruhe und Nervosität in der Branche. Eine Schwetzinger Friseurmeisterin will erst gar nicht ihren Namen in der Zeitung lesen, weil sie Angriffe auf sich gerade in den Sozialen Netzwerken fürchtet.

Sie habe im Moment noch "gut zu tun". Wobei hauptsächlich Männer zu ihr in den Laden kämen. "Denen schneiden wir die Haare mit der Maschine meist viel kürzer als sonst. Damit es länger hält", erzählt die Frau. Nach wie vor schauten aber auch ältere Menschen vorbei, die sich regelmäßig die Haare waschen und föhnen lassen. "Da fragen wir vorher ganz genau nach, ob das mit Blick auf ihre Gesundheit wirklich sein muss", versichert die Friseurin. Sie ist froh, dass sie das Geschäft in Schwetzingen vor vier Jahren übernehmen konnte. Müsste sie Miete zahlen, "würde ich mir überlegen, ob ich den Vertrag kündige".

Freiwillig schon dichtgemacht hat Serhat Yildiz seinen Laden in den Mannheimer Quadraten. Er spricht von einer "extrem schwierigen Situation" und mache das, um seine Familie zu schützen. Doch nicht jeder Kunde habe dafür Verständnis. "Eine Frau hat mich kürzlich übel beschimpft. Man befinde sich ja schließlich nicht im Krieg, meinte sie", berichtet Yildiz. "Das ist doch unglaublich, oder?"

Er hofft trotzdem auf schnelle und unbürokratische Hilfe des Staates. Ansonsten würden mehr als die Hälfte der Mannheimer Frisöre Pleite gehen, fürchtet er. Auch in Wiesloch hätten schon zwei Geschäfte vorübergehend ihre Pforten geschlossen, hat Silke Fahn erfahren.

Noch will das baden-württembergische Sozialministerium die Läden nicht schließen. "Der Besuch eines Frisörs gehört zur persönlichen Hygiene jedes Einzelnen. Die Standards in den Salons sind ohnehin sehr hoch, die Mitarbeiter entsprechend sensibilisiert", begründete ein Sprecher kürzlich die Ausnahmeregelung. "Na ja", meint Silke Fahn. "Bei allem Verständnis für die Hygiene kann ich mir wirklich nicht vorstellen, dass unsere Kunden zu Hause verwahrlosen, wenn sie ein paar Wochen nicht ins Haarstudio kommen können", sagt sie.

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