Bauchredende Pfarrerin

Wenn Hahn Otto von der Mannheimer Kanzel spricht

Pfarrerin Maibritt Gustrau beherrscht die Kunst des Bauchredens und nutzt sie für ihre Gottesdienste

06.09.2020 UPDATE: 07.09.2020 06:00 Uhr 2 Minuten, 54 Sekunden
Dank dem frechen Otto kann Pfarrerin Maibritt Gustrau ihre Predigt in ein anderes Licht rücken. Foto: Gerold

Von Marco Partner

Mannheim. Ein Hahn steht für Kraft, Vitalität, Potenz und Aufbruchstimmung. Manchmal aber steht der gefiederte Freund auch auf der Kanzel. Redet in der Kirche, wie ihm der Schnabel gewachsen ist, und verwandelt die Predigt von einem Monolog in einen aberwitzigen Dialog. In Mannheim greift die evangelische Pfarrerin Maibritt Gustrau seit Kurzem in die Trickkiste, beziehungsweise mit der Hand in eine Bauchrednerpuppe.

Mit dem frechen Plüschhahn Otto hat sie ein neues Element geschaffen, und gibt somit während der Predigt auch Nichttheologen eine Stimme. "Die Besucher finden es ziemlich witzig, es ist mal etwas Anderes. Der Gottesdienst wird dadurch unterhaltsamer", sagt die Pfarrerin über das Wirken in ihrer neuen Doppelrolle. Mit ihrem politischen Zwiegespräch Mitte Juni stieß sie auf große Resonanz, stand von Hamburg bis Österreich in den Zeitungen. Dabei behielt sie die Begeisterung für das Bauchreden lange für sich, und zögerte damit, jemanden in ihr verborgenes Talent einzuweihen.

Die Idee für die zweite Stimme aus dem Bauch trägt Maibritt Gustrau nämlich schon ein wenig länger mit sich herum. Um die Jahrtausendwende, als sie sich selbst im Theologiestudium befand, besuchte sie einen Studienfreund in den USA. In der Nähe von Seattle wurde der Kommilitone bei seinem Vikariat von einem sehr kreativen Mentor betreut: Ein amerikanischer Pfarrer, der in seiner Andacht zu ungewöhnlichen Methoden griff. "Am Ende fasste er mit einer Mädchenhandpuppe die Predigt noch einmal kindgerecht zusammen", erzählt die Pfarrerin. Die Aufmerksamkeit und weit aufgerissenen Augen der Kinder beeindruckten sie. Und natürlich auch die Kunst des Bauchredens.

Also besuchte sie ein paar Jahre später Patrick Martin, den "König der Bauchredner", der es mit seiner Stimmenvielfalt ins Guinness-Buch der Rekorde schaffte und auch die erste Bauchredner-Schule Europas eröffnete. Dort wurde die zwischen Karlsruhe und Pforzheim aufgewachsene Pfarrerin in die Geheimnisse der Ventriloquist-Kunst eingeweiht. Stark inspiriert kehrte sie nach Hause. Dann aber standen andere Dinge im Vordergrund. Gustrau promovierte, schrieb ein Buch über "Orientalisches Christentum in Reiseberichten deutscher Theologen", machte berufliche Station in Heidelberg, Eberbach, Pforzheim und Karlsruhe. Und die fremde Stimme aus dem Bauch blieb zunächst stumm.

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Seit September 2013 ist Maibritt Gustrau als Gemeindepfarrerin in der Christus-Friedensgemeinde tätig. Vor knapp drei Jahren rückte das im Inneren schlummernde Vorhaben wieder ins Bewusstsein. Sie kaufte sich mehrere Handpuppen, und übte konsequenter. Doch weder vor Freunden noch vor der Familie präsentierte sie ihre Kunst. Erst im Advent 2019 feierte Hahn Otto Premiere. Unangekündigt, zur großen Überraschung einiger Gemeindemitglieder, und der Kirchgänger. "Ich wollte mir die Freiheit lassen, den richtigen Moment abzuwarten", erklärt sie.

Die Faszination: "Plötzlich habe ich die Möglichkeit, mich auf der Kanzel zu unterhalten. Da ist jemand anderes, der Dinge sagt, die ich nicht sagen kann oder darf", erklärt die Pfarrerin. Der vorwitzige Gockel vertrete auch ein wenig die Hörer. "Viele können sich mit ihm identifizieren, da er die Dinge ein wenig anders sieht. Er stellt nicht nur Fragen, er hat auch eine Ahnung vom Leben, sagt seine Meinung und fragt vieles nach."

Bewusst habe sie eine weiße Gestalt gewählt, die auch aus der Entfernung sichtbar ist und wie ein Kontrast zum schwarzen Talar wirkt. Otto, der Name habe sich einfach aufgedrängt. "Er ist richtig frech, ein Machotyp, und fühlt sich natürlich als Chef im Hühnerstall. Mit Otto ist es lustiger. Es tut dem Gottesdienst gut, wenn etwas Leichtigkeit hineinkommt, auch zu ernsten Themen", erklärt die Pfarrerin. Und dennoch: "Es ist kein Kabarett, kein Varieté. Die Predigtordnung ist vorgegeben. Dann wird sie ein wenig auseinandergenommen und hinterfragt."

Mit der Puppe schafft die bauchredende Pfarrerin somit eine Nähe, indem sie sich ein stückweit herausnimmt beziehungsweise in eine fremde Rolle schlüpft. Überhand nehme der Gockel zu ihrer Rechten aber nicht. "Er führt kein Eigenleben, es läuft alles nach Plan", sagt Gustrau lachend. Und Hahn Otto kommt auch nicht jeden Sonntag, sondern nur einmal pro Quartal zum Einsatz. Zuhause lebt der vorlaute Kapaun im Koffer. "Er darf auf die Sakristei, aber nicht mit aufs Sofa", verrät die Pfarrerin. Auf Instagram und Co. ist der Federheld noch nicht vertreten. Aber was nicht ist, kann ja noch werden. Die Fan-Gemeinde zumindest darf sich schon auf den nächsten Auftritt freuen, im September seht der Gockel wieder auf der Kanzel.

Und wie genau lernt man nun eigentlich die Kunst des Bauchredens? "Das ist ein Geheimnis und wird wie bei Zauberern nicht verraten. Ich kann nur sagen: Man braucht keine besonderen physischen Voraussetzungen. Es ist ähnlich wie beim Instrument spielen: Üben, üben, üben." Auch Hahn Otto schweigt trotz Nachfrage zu diesem Thema. Da sind sie einer Meinung.

Info: Die Predigtreihe "..., sagt Otto" wird am Sonntag, 20. September, um 11 Uhr in der Friedenskirche, Traitteurstraße 50, fortgesetzt.

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