Abschiebung von Mostafa N.

SPD sieht Vertrauensbruch gegenüber Ehrenamtlichen (Update)

Der Landrat zeigt sich über die Umstände der Festnahme "irritiert" - Keine Angaben zu Begleitumständen

17.01.2020 UPDATE: 18.01.2020 06:00 Uhr 5 Minuten, 47 Sekunden
Stefan Dallinger (CDU). Fotos: HP/BK

Rhein-Neckar. (cab/sha) Die in ihren Begleitumständen umstrittene Festnahme des 26 Jahre alten Afghanen Mostafa N. am 10. Januar in den Räumen der Ausländerbehörde des Landratsamts Rhein-Neckar-Kreis schlägt weiter hohe Wellen. Eine ehrenamtliche Betreuerin des Ladenburger Arbeitskreises für Flüchtlinge und Hilfsbedürftige war an jenem Tag mit Mostafa N. in dem Glauben ins Landratsamt gekommen, dass die Duldung ihres Schützlings verlängert wird – stattdessen erfolgte die Verhaftung. Nun hat sich auch die SPD-Kreistagsfraktion in die Diskussion eingeschaltet.

Ein solcher Vertrauensbruch gegenüber Ehrenamtlichen dürfe sich nicht wiederholen – dies sei die einhellige Meinung der SPD-Kreisräte, berichtet Fraktionsvorsitzender Ralf Göck. Man nehme die klare Aussage des Landrats beim Wort, dass solch eine Instrumentalisierung des Ehrenamts nicht mehr vorkommen werde. "Alles andere wäre ein Schlag ins Gesicht der freiwilligen Helferinnen und Helfer, die dem Kreis und den Gemeinden viel Arbeit abnehmen", betont der Sinsheimer Kreisrat und frühere Landtagsabgeordnete Helmut Göschel in einer Mitteilung der Sozialdemokraten.

"Erwarten deutlich mehr als nur starke Worte"

Allerdings seien sich die Kreisräte bewusst, dass sie für Abschiebungen nicht zuständig seien. Dies sei eine staatliche Aufgabe, also Sache des Landes. Insoweit erwarte man von der "grünen Regierungsfraktion" deutlich mehr als nur die starken Worte ihres parlamentarischen Geschäftsführers, Uli Sckerl.

Sckerl hatte die Abschiebung von Mostafa N. als schweren Fehler bezeichnet. Die Grünen und insbesondere er selbst hätten "leider vergeblich" von Innenminister Strobl gefordert, N. eine Perspektive in Deutschland zu geben. Die Abschiebung eines jungen Menschen mit guten Chancen ausgerechnet auch noch nach Afghanistan sei "grottenfalsch".

Auch interessant
Abschiebung von Mostafa N.: Landrat Dallinger nach Verhaftung von Mostafa N. in der Kritik
Abschiebung von Mostafa N.: "Ich habe ihn auf dem Präsentierteller serviert"
Abschiebung von Mostafa N.: Mostafa N. aus Ladenburg soll nach Afghanistan abgeschoben werden

So einfach wollen die Genossen Sckerl aber nicht aus der Sache "entlassen". Die Ehrenamtlichen hätten zu Recht gefragt, warum in diesem Härtefall nicht anders entschieden worden sei. Für die SPD sei klar, dass in einem solchen Verfahren die Integrationsbeauftragten vor Ort gehört werden sollten, etwa auch mit einer Prognose zum Integrationswillen der ausreisepflichtigen Person.

Update: Montag, 20. Januar 2020, 20.55 Uhr


Von Carsten Blaue

Karlsruhe/Heidelberg. In der Aufarbeitung der in ihren Begleitumständen umstrittenen Festnahme des 26 Jahre alten Afghanen Mostafa N. am 10. Januar in den Räumen der Ausländerbehörde des Landratsamts Rhein-Neckar-Kreis hat das Regierungspräsidium Karlsruhe (RP) auf die Aussagen von Landrat Stefan Dallinger reagiert.

In einer Stellungnahme auf Anfrage der RNZ verteidigt das RP das Vorgehen. Dallinger hatte am Freitag im Gespräch mit der RNZ sinngemäß gesagt, er selbst habe im Vorfeld nichts von der geplanten Festnahme gewusst. Darauf erwidert das RP, dass die Ausländerbehörde im Landratsamt über die geplante Festnahme und das Vorgehen "vollumfänglich informiert" gewesen sei. Offenbar wurde intern also einfach nicht an die Spitze des Landratsamts weitergegeben, dass die Polizei einen Ausreisepflichtigen an jenem Freitag in Büros der Kreisverwaltung festsetzen würde – obwohl das nicht gerade ein alltäglicher Vorgang ist.

Das Regierungspräsidium betont zudem, dass die "Vollstreckung der Ausreisepflicht" von Mostafa N. rechtmäßig gewesen sei. Auch kann die Karlsruher Behörde nicht nachvollziehen, dass N. unter Vorspiegelung falscher Tatsachen festgenommen worden sein soll. Der Afghane habe gewusst, dass er seit April 2019 "vollziehbar ausreisepflichtig" gewesen sei. Er habe also jederzeit mit seiner Abschiebung rechnen müssen – zumal er nicht freiwillig ausgereist sei. N. selbst habe zudem den Termin mit der Ausländerbehörde vereinbart, da dessen Duldung zum 15. Januar ausgelaufen wäre und hätte verlängert werden müssen. Das RP habe N. dafür also nicht eigens einbestellt.

Der Ladenburger Arbeitskreis für Flüchtlinge und Hilfsbedürftige (AK) erzählt an diesem wesentlichen Punkt eine andere Version, die das Landratsamt des Rhein-Neckar-Kreises Anfang vergangener Woche bestätigt hat. Demnach war es eben nicht N. selbst, der den Termin für die Verlängerung seiner Duldung vereinbart hat, sondern eine ehrenamtliche Betreuerin des AK, die über eine Vollmacht für N. verfügte.

Und die Flüchtlingshelferin war es auch, die ohne weitere Begründung oder Erklärung von der Ausländerbehörde dazu aufgefordert wurde, N. zu diesem Termin am 10. Januar mitzubringen. Also musste die AK-Aktive davon ausgehen, dass die Duldung ihres Schützlings an diesem Tag verlängert wird. Sie musste und konnte nicht ahnen, dass man ihn ausgerechnet in ihrem Beisein festnimmt. Darin liegt der Vorwurf der Vorspiegelung falscher Tatsachen, der Täuschung und Instrumentalisierung der Ehrenamtlichen. Und diese Umstände sind es auch, die das Vertrauen zwischen den Ladenburger Flüchtlingshelfern und dem Landratsamt zunächst ins Wanken gebracht hatten – bis zu einem wohl klärenden Gespräch am vergangenen Freitag.

Zudem ging es um das Vertrauensverhältnis zwischen N. und seiner Betreuerin. Dem RP geht es alleine um die Rechtmäßigkeit des Handelns, nicht um die Begleiterscheinungen: Es sei rechtens gewesen, so eine Sprecherin der Karlsruher Behörde gegenüber der RNZ, Mostafa N. in der Ausländerbehörde festzunehmen. Hinter verschlossenen Türen.

"Vielleicht hätten sie ihn sonst auf einer Baustelle festgenommen", schätzte eine AK-Ehrenamtliche vergangene Woche am Telefon. Ladenburgs Bürgermeister Stefan Schmutz nannte die Abschiebung beim Neujahrsempfang der Stadt am Sonntag einen Fehler und ein "verheerendes Signal" an das unermüdliche Engagement der Flüchtlingshelfer. Das Vorgehen der beteiligten Behörden werfe Fragen auf, die geklärt werden müssten.

Mostafa N. war Ende 2015 nach Deutschland eingereist und lebte seit 2016 in Ladenburg. Im Juni jenes Jahres wurde er vom Mannheimer Amtsgericht wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von zehn Monaten mit zweijähriger Bewährung verurteilt. N. soll damals betrunken einen Mitbewohner geschlagen haben. Der von N. am 10. August 2016 gestellte Asylantrag wurde am 31. Mai 2017 vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge abgelehnt.

Mit dem Gesetz geriet N. nach seiner Verurteilung nicht mehr in Konflikt. Er machte eine Lehre als Tiefbaufacharbeiter, schloss diese im Juni 2019 erfolgreich ab und erhielt für seine Leistungen von der Handwerkskammer Mannheim Rhein-Neckar-Odenwald eine Auszeichnung. Zuletzt absolvierte er nach Angaben des AK eine Aufbaulehre als Rohrleitungsbauer beim Mannheimer Bauunternehmen Diringer & Scheidel.

Im Januar 2016 trat N. in den Sportverein ASV Ladenburg ein und entwickelte sich zu einem vielfach eingesetzten Funktionär der Ringer-Abteilung. ASV-Ringerchef Herbert Maier hatte N. im August 2019 attestiert, wie wichtig er für den Verein ist. Maier schrieb damals: "Wir vom ASV können sagen, dass wir ein tolles Mitglied gewonnen haben, dem wir für die Zukunft im Verein und in seinem privaten Leben nur das Beste wünschen."

Am vergangenen Mittwochmorgen ist der Abschiebeflug in der afghanischen Hauptstadt Kabul gelandet. Mit an Bord auch Mostafa N.

Update: 19. Januar 2020, 20.15 Uhr


Von Carsten Blaue

Heidelberg/Ladenburg. Petra Fuhry vom Ladenburger Arbeitskreis "für Flüchtlinge und Hilfsbedürftige" spricht am gestrigen Freitag im Landratsamt mit der Ehrenamtsbeauftragten sowie mit dem Leiter des Ordnungsamtes des Rhein-Neckar-Kreises. Und Landrat Stefan Dallinger telefoniert mit der Karlsruher Regierungspräsidentin Sylvia M. Felder. Die interne Aufarbeitung der zumindest in ihrer Art umstrittenen Festnahme des 26 Jahre alten Afghanen Mostafa N. ist in vollem Gange. Der Ausreisepflichtige war am Freitag vergangener Woche in den Räumen der Ausländerbehörde im Landratsamt festgesetzt und am Dienstag abgeschoben worden. Fuhry ist N.s Betreuerin. Sie war dabei – und davon ausgegangen, dass der Termin in der Behörde der Verlängerung von N.s Duldung dient und nicht seiner Festnahme.

Auch Dallinger war im Vorfeld offenbar nicht darüber informiert worden, dass es dazu in seinem Hause kommen würde: "Ich wusste nichts von dieser Verwaltungspraxis in den Räumen des Landratsamts des Rhein-Neckar-Kreises", so der Landrat am Freitag auf RNZ-Anfrage. Über den Vorgang an sich ist er alles andere als glücklich, auch wenn er am Telefon vorausschickt: "Ich stehe hinter der Rechtslage, dass Menschen, die ausreisepflichtig sind, abgeschoben werden. Und ich habe Verständnis für die Polizei, dass geeignete Maßnahmen ergriffen werden müssen, um die Abschiebung zu organisieren. Wir stehen grundsätzlich hinter den Maßnahmen und haben die Aufgabe, das Regierungspräsidium dabei zu unterstützen." Doch Dallinger lässt mit Blick auf den konkreten Fall Mostafa N. ein großes Aber folgen: "Dennoch bin ich von dieser konkreten Verwaltungspraxis ebenfalls irritiert. Deshalb habe ich meinem Fachamt (dem Ordnungsamt, Anm. d. Red.) die Anweisung gegeben, solche Maßnahmen künftig nicht mehr zu unterstützen – nur noch, wenn ich vom Land Baden-Württemberg dazu angewiesen werde."

Darüber informiert Dallinger gestern auch die Regierungspräsidentin. Dallinger legt sich also quer, wenn gegenüber Ehrenamtlichen und abgelehnten Asylbewerbern nicht mit offenen Karten gespielt wird: "Wir erwarten zu Recht, dass sich Menschen, die zu uns kommen, an unsere westlichen, christlichen Werte halten. Damit ist eine Abschiebung unter Vorspiegelung falscher Tatsachen, wie in diesem Fall geschehen, nicht zu vereinbaren." Weil er das so sieht, nimmt er auch zur Kritik Stellung, die Linken-Fraktionschef im Kreistag Edgar Wunder und Grünen-Landtagsabgeordneter Uli Sckerl geäußert haben: "Ebenso irritiert bin ich von politischen Kreisen, die mich kritisieren, ohne zu wissen, dass ich bereits entsprechende Maßnahmen eingeleitet habe, die einen solchen Vorgang künftig verhindern werden. Ich kann nur an diese Kreise, darunter Landtagsabgeordnete und Innenexperten, appellieren, ihrer eigenen Verantwortung gerecht zu werden."

Die Gespräche sollen gestern übrigens gut gelaufen sein. Laut Kreis-Sprecherin Silke Hartmann sei die Unterredung mit Fuhry "sehr offen und gut" gewesen: "Wir sind sicher, dass wir auf Basis dieses Gespräches weiterhin vorbehaltlos und vertrauensvoll mit Frau Fuhry zusammenarbeiten werden." Und auch das Telefonat zwischen Dallinger und Felder sei " sehr konstruktiv" gewesen, so Hartmann: "Die Regierungspräsidentin hat die Aussage des Landrats zur Kenntnis genommen. Sie gibt die Informationen an ihre Fachabteilung weiter." Die RNZ stellt gestern dazu eine Anfrage an das Regierungspräsidium. Flüchtlingshelferin Petra Fuhry ist nicht zu erreichen.

(Der Kommentar wurde vom Verfasser bearbeitet.)
(zur Freigabe)
Möchten sie diesen Kommentar wirklich löschen?
Möchten Sie diesen Kommentar wirklich melden?
Sie haben diesen Kommentar bereits gemeldet. Er wird von uns geprüft und gegebenenfalls gelöscht.
Kommentare
Das Kommentarfeld darf nicht leer sein!
Beim Speichern des Kommentares ist ein Fehler aufgetreten, bitte versuchen sie es später erneut.
Beim Speichern ihres Nickname ist ein Fehler aufgetreten. Versuchen Sie bitte sich aus- und wieder einzuloggen.
Um zu kommentieren benötigen Sie einen Nicknamen
Bitte beachten Sie unsere Netiquette
Zum Kommentieren dieses Artikels müssen Sie als RNZ+-Abonnent angemeldet sein.