Mannheim

Polizeiwissenschaftler kritisiert den Einsatz

Nach einer Polizeikontrolle kollabierte ein Mann und starb. Der Vorfall erregt die Gemüter. Jetzt äußern sich die Ermittler zu dem Polizeieinsatz.

02.05.2022 UPDATE: 09.05.2022 19:15 Uhr 20 Minuten, 49 Sekunden
Der Tod des 47-Jährigen hat für große Betroffenheit und Wut gesorgt, wie dieses Bild vom „Tatort“ zeigt. Foto: Priebe

Mannheim. (alb/lsw) Ein Experte hat den umstrittenen Polizeieinsatz in der vergangenen Woche am Mannheimer Marktplatz, nach dem ein 47-Jähriger in der Klinik starb, als unverhältnismäßig kritisiert. Den beiden Beamten sei klar gewesen, dass der Mann psychisch krank ist. "Das macht den Fall für mich so unfassbar", sagte der Polizeiwissenschaftler Thomas Feltes laut einer Medieninformation.

Der Verstorbene war Patient im Zentralinstitut für Seelische Gesundheit (ZI) und hatte kurz vor dem Vorfall die Einrichtung gegen den Rat seines Arztes verlassen. Der Mediziner und zwei Ordnungshüter der nahe gelegenen H 4-Wache liefen ihm hinterher. "Ein Beamter sollte in solchen Fällen wissen, dass die Person auf bestimmte polizeiliche Maßnahmen anders reagiert als andere Menschen", erklärte Feltes. Was bei dem Aufeinandertreffen zunächst passierte, ist unklar.

Auf einem Video ist zu sehen, wie einer der Beamten auf dem Rücken des 47-Jährigen sitzt und ihm zwei Mal mit der Faust ins Gesicht schlägt. Feltes’ Schätzungen zufolge ist in drei von vier Fällen, in denen ein Mensch nach einer polizeilichen Maßnahme ums Leben komme, der Betroffene psychisch erkrankt. Zum einen wüssten Polizisten meist nicht, wie man mit solchen Menschen umgehen solle. Zum anderen sei es für sie oft schwer, eine psychische Erkrankung zu erkennen.

Die Mannheimer CDU hat indes "in aller Deutlichkeit" eine verallgemeinernde Diffamierung der gesamten Polizei und insbesondere Angriffe auf Beamtinnen und Beamte verurteilt. Gerade in der Quadratestadt seien die Ordnungshüter für ihre besonnene Art bekannt, teilte Kreisverbandschef Christian Hötting mit. Die Beamten, von denen in Mannheim 20 Prozent einen Migrationshintergrund hätten, "treten tagtäglich auch mit ihrem Leben und ihrer Gesundheit für ein friedliches Miteinander ein", sagte er. Bei der Demonstration am vergangenen Samstag auf dem Marktplatz sei es einigen nur darum gegangen, sich gegen den Staat und seine Institutionen zu stellen. "Das ist schade, denn für solche durchschaubaren Manöver ist der Tod eines Menschen zu tragisch", so Hötting.

Update: Montag, 9. Mai 2022, 8.15 Uhr


Kollmar irritiert mit Aussage über möglichen Prozess

Von Alexander Albrecht

Mannheim. In einer emotional aufgeladenen Situation machen Kleinigkeiten manchmal den Unterschied aus. So hat Polizeipräsident Siegfried Kollmar sehr genau gelesen, dass Parteivertreter nach dem Einsatz von zwei Beamten am Marktplatz, bei dem ein 47-Jähriger später starb, eine "lückenlose Aufklärung" forderten. "Wenn man das verlangt, muss man ja irgendwo im Hinterkopf haben, dass genau das nicht passiert", mutmaßt er bei der Sitzung des Sicherheitsausschusses des Mannheimer Gemeinderats.

Kollmar hätte sich eine andere Reaktion gewünscht und schiebt gleich einen Textbaustein hinterher: "Ich vertraue auf die vollständige Aufklärung von Polizei und Justiz." Umgekehrt muss es ebenso erlaubt sein, Aussagen des Chefs von mehr als 2500 Bediensteten zu hinterfragen. Womit wir wieder bei den Nuancen sind. Kollmar berichtet den Stadträten, dass ihn der Anwalt der Angehörigen des toten Deutsch-Kroaten angerufen habe. "Vermutlich der Nebenklägervertreter", sagt der Polizeichef in einem Halbsatz. Eine Nebenklage setzt gleichwohl eine "Hauptanklage" der Staatsanwaltschaft und einen Prozess vor einem Gericht voraus. Bis dahin ermittelt das Landeskriminalamt (LKA). Und gehen die Staatsanwälte lediglich einem Anfangsverdacht gegen die zwei Beamten nach.

Die Ankläger könnten das Verfahren aber auch einstellen, wenn sich die Vorwürfe gegen die Ordnungshüter nicht erhärten. Oder weiß Kollmar schon mehr? Und warum äußert er sich überhaupt dazu, hat das Präsidium doch das Verfahren gegen die eigenen Kollegen abgegeben? Nein, Kollmar könne tatsächlich keine Einschätzung "hinsichtlich einer möglichen Prozessführung abgeben", teilt der Mannheimer Polizeisprecher Patrick Knapp auf Anfrage mit. Mit seiner Aussage habe er vielmehr zum Ausdruck bringen wollen, dass er den Kontakt zu den Angehörigen suchen werde, sobald die Ermittlungen abgeschlossen seien und ein offenes Gespräch mit ihnen ohne Einschränkungen der Justiz möglich ist.

Die Stadträte nehmen das deutliche Wort Kollmars zu Beginn seiner Rede in ihren Beiträgen auf. Natürlich habe man Vertrauen in die Mannheimer Polizei, so der Tenor. Dabei betont Kollmar selbst, "dass wir ein ganz schlechtes Bild abgegeben haben" und meint vermutlich auch da die beschuldigten Kollegen. Die Entscheidung, die beiden vorläufig vom Dienst zu suspendieren, fiel nach einem Gespräch Kollmars "mit unserem Juristen". Danach steht auf gefährliche Körperverletzung mit Todesfolge eine Mindeststrafe von drei Jahren und ein Jahr in einem minder schweren Fall. "Ein Jahr hieße Entlassung", stellt Kollmar klar.

Beiden sei mit der Suspendierung der Boden unter den Füßen weggerissen worden, sie würden von einer Polizeipsychologin betreut. "Notfalls 24 Stunden lang", so Kollmar. In die Debatte mischt sich auch Emir Delalic vom Migrationsbeirat ein. Er sagt, was gerade in einem großen Teil der migrantischen Gesellschaft in Mannheim los sei. Bei diesem machten sich Ängste breit, wegen ihres Äußeren von der Polizei härter angegangen zu werden. Das hält Kollmar für "konstruiert". Schließlich seien die zwei Beamten von einem Arzt des Zentralinstituts für Seelische Gesundheit (ZI) alarmiert worden, weil der 47-Jährige die Einnahme von Medikamenten verweigerte. Seinen Migrationshintergrund habe man ihm nicht angesehen, und dieser habe auch keine Rolle gespielt.

Update: Freitag, 6. Mai 2022, 21 Uhr


Anzeige gegen Polizisten nach Todesfall bei Kontrolle

Mannheim. (dpa) Gegen die beiden Beamten, die bei der tödlich geendeten Polizeikontrolle in Mannheim im Einsatz waren, liegt nach Angaben der Staatsanwaltschaft eine Anzeige vor. Sie stamme von einem unbeteiligten Dritten, antwortete ein Sprecher der Behörde am Freitag auf die Frage, ob Angehörige des gestorbenen 47-Jährigen die Anzeige gestellt hätten. Da die Staatsanwaltschaft und das Landeskriminalamt Baden-Württemberg nach dem Vorfall vom Montag sowieso schon ermitteln, hat die Anzeige keine besonderen Konsequenzen.

Bei der Polizei-Kontrolle in der Mannheimer Innenstadt war der 47 Jahre alte Patient des Zentralinstituts für seelische Gesundheit Mannheim zusammengebrochen und zunächst wiederbelebt worden. Später starb er im Krankenhaus. Die Ermittlungen werden nach Angaben der Behörden noch einige Wochen in Anspruch nehmen. Für Samstag ist laut Polizei in der Innenstadt eine Versammlung gegen Polizeigewalt geplant.

Wie der Sprecher der Staatsanwaltschaft weiter mitteilte, hat diese noch eine Handvoll Eingaben bekommen, die sich mit dem Fall befassen. Insbesondere würden darin Unmut und Bestürzung über den Vorfall zum Ausdruck gebracht, teilte der Sprecher mit. Teils seien auch Links dabei zu Videos im Internet, die das Geschehen ausschnittsweise zeigen sollen. "Es handelt sich dabei um bekannte Aufnahmen."

Update: Freitag, 6. Mai 2022, 16.29 Uhr


Tod nach Polizeikontrolle - Klärung dauert

Mannheim. (dpa) Bis zur Klärung der tödlichen Polizeikontrolle in Mannheim ist Geduld gefragt. "Wir müssen uns Zeit nehmen, das zu rekonstruieren", sagte ein Sprecher des Landeskriminalamts (LKA) Baden-Württemberg am Donnerstag. "Wir müssen sekundengenau das Tatgeschehen nachvollziehbar machen." Die abschließenden Obduktionsergebnisse sollen in sechs bis acht Wochen vorliegen.

Die an dem Einsatz am Montag beteiligten Polizisten hatten ihre Bodycams nicht aktiviert. Dennoch rechnet die Gewerkschaft der Polizei (GdP) mit Antworten auf die wichtigsten Fragen. "Ich gehe davon aus, dass die Hintergründe und Umstände dieses Geschehens restlos aufgeklärt werden", sagte der baden-württembergische Landeschef Gundram Lottmann der Deutschen Presse-Agentur. Er verwies auf sehr viele Zeugen und Videos. Der Einsatz könne daher auch ohne die Kameras rekonstruiert werden, gab er sich zuversichtlich.

Bei der Polizeikontrolle in der Mannheimer Innenstadt war ein 47 Jahre alter Mann zusammengebrochen. Die Einsatzkräfte und ein anwesender Arzt des Zentralinstituts für seelische Gesundheit Mannheim, der mit der Polizei den Patienten gesucht hatte, kümmerten sich um den Mann. Später starb dieser aber im Krankenhaus.

Nach LKA-Angaben vom Mittwochabend wurden Spuren stumpfer Gewalt an der Leiche des Mannes festgestellt. Diese seien "von geringer Intensität gewesen". Es sei weiter unklar, ob der 47-Jährige eines gewaltsamen oder eines natürlichen Todes gestorben sei. Der Mann habe auch eine Herzinsuffizienz (Herzschwäche) gehabt.

Im Internet kursieren Videos, auf denen Schläge eines Polizisten gegen den Kopf eines auf dem Boden liegenden Mannes zu sehen sind. Der 47-Jährige soll sich nach Angaben von Polizei und Staatsanwaltschaft gewehrt haben.

Gegen die beiden Polizisten wird wegen des Verdachts der Körperverletzung im Amt mit Todesfolge ermittelt. Sie sind vom Dienst suspendiert, wie der Mannheimer Polizeipräsident Siegfried Kollmar am Mittwochabend bei einer Pressekonferenz gesagt hatte.

Die Ermittler sehen sich seit dem Vorfall heftiger Kritik und einer Debatte über Polizeigewalt ausgesetzt. "Wir ermitteln gründlich, aber das erfordert Zeit", sagte Staatsanwalt Romeo Schüssler. "Niemand muss uns dazu auffordern, herauszufinden, was passiert ist."

Die Polizisten hatten ihre Bodycams den Angaben nach bei dem Einsatz nicht angestellt. Die Schulterkameras sollen vor allem Angriffe auf Beamte dokumentieren. In den meisten Fällen werden sie im sogenannten Pre-Recording-Modus genutzt: Dabei werden kontinuierlich kurze Sequenzen aufgezeichnet und nach 45 Sekunden überschrieben. Erst wenn der Beamte ein zweites Mal auf einen Knopf drückt, wird die letzte Sequenz nicht gelöscht und auch die weitere Aufnahme gespeichert.

Wie der LKA-Sprecher am Donnerstag sagte, ist dieses Vorgehen mit Datenschützern abgesprochen. Allerdings müsse man dann in einem "dynamischen Geschehen" daran denken, noch auf den Kameraknopf zu drücken und dies auch anzukündigen. LKA-Präsident Andreas Stenger hatte am Mittwoch gesagt, das wäre laut Dienstanweisung angezeigt gewesen. Warum es nicht passierte, sei Gegenstand der Ermittlungen.

Der baden-württembergische Landesdatenschutzbeauftragte Stefan Brink erklärte, der Einsatz von Bodycams sei nur dann zulässig, wenn es zur Abwehr einer Gefahr erforderlich sei. In bestimmten Fällen sei dies auch ohne vorherige Ankündigung zulässig: "Wenn beispielsweise aufgrund einer akuten Situation keine Zeit für eine vorherige Information möglich ist." Tatsächlich könne es vorkommen, dass Beamte im Einsatzgeschehen keine Gelegenheit haben oder nicht daran denken, die Kamera einzuschalten.

GdP-Landeschef Lottmann erwartet kein Aufflammen einer Debatte über den Einsatz solcher Kameras, die seit der landesweiten Einführung des Geräts 2019 bei Zehntausenden Einsätzen benutzt wurden. "Wenn aber der konsequente Gebrauch von Bodycams gefordert wird, dann stehe ich dahinter", sagte Lottmann der dpa. "Dann muss sie aber auch überall und ohne Abstriche genutzt werden dürfen."

Update: Donnerstag, 5. Mai 2022, 18.53 Uhr


Tod nach Polizeikontrolle - "stumpfe, aber nicht massive Gewalt"

Von Alexander Albrecht

Mannheim. Die Ermittler von Polizei und Staatsanwaltschaft haben bei einer Pressekonferenz am Mittwochabend weitere Details zu dem Polizeieinsatz mit tödlichem Ende am Mannheimer Marktplatz genannt. Die RNZ fasst die wichtigsten Ergebnisse zusammen.

> Der verstorbene Mann: Der 47-Jährige wurde in Heidelberg geboren und hat kroatische Wurzeln. 2017 ist er eingebürgert worden und befand sich zuletzt im Mannheimer Zentralinstitut für Seelische Gesundheit (ZI) in Behandlung. Am Montag habe er dann gegen den Rat seines Arztes die Einrichtung verlassen, sagte Andreas Stenger, der Präsident des Landeskriminalamts. Der Mediziner habe befürchtet, dass der Mann sich etwas antun könnte und sei deshalb auf der nahen H 4-Wache vorstellig geworden. Zusammen mit zwei Beamten "verfolgte" er den Patienten bis zum Marktplatz, wo es vor einer Metzgerei zu der Auseinandersetzung kam. Laut Stenger reagierte der Mann nicht auf Ansprachen und wehrte sich gegen die polizeilichen Maßnahmen. Man sehe auf den Videos, "dass da Bewegungen sind, dass da ein Schlagen ist".

> Die Todesursache: Laut Stenger liegt das endgültige Ergebnis der Obduktion erst in sechs bis acht Wochen vor. Die Heidelberger Rechtsmediziner hätten am Leichnam Spuren "stumpfer, aber nicht massiver Gewalt" festgestellt. So sei etwa die Nase des Verstorbenen nicht gebrochen und das Gehirn nicht beschädigt gewesen. Ein Handyvideo zeigt, wie einer der beiden Beamten dem bäuchlings auf dem Boden liegenden 47-Jährigen zwei Mal mit der Faust ins Gesicht schlägt. Es kam zuvor Pfefferspray zum Einsatz. Der Mann habe allerdings auch unter einer Herzinsuffizienz gelitten, teilte Stenger mit. Dabei ist das Organ nicht mehr in der Lage, den Körper mit ausreichend Blut und Sauerstoff zu versorgen.

Ob es eine Wechselwirkung zwischen der schweren Vorerkrankung und den Schlägen gab, werde von den Rechtsmedizinern geprüft. Insofern stehe die genaue Todesursache noch nicht fest, sagte der LKA-Chef. Eine chemisch-toxikologische Untersuchung soll Aufschluss darüber geben, ob der Mann unter dem Einfluss von Medikamenten stand. Er sei vor Ort rund eine halbe Stunde lang reanimiert worden. Offenbar sei er noch am Leben gewesen, als die Einsatzkräfte ihn mit dem Rettungswagen ins Krankenhaus brachten, wo er kurze Zeit später starb.

> Die Beamten: Der Mannheimer Polizeipräsident Siegfried Kollmar sagte, die beschuldigten Ordnungshüter seien Mitte 20 und hätten vor sechs, sieben Jahren ihren Dienst angetreten. "Sie sind also keine blutigen Anfänger." Kollmar hat die beiden vorläufig vom Dienst suspendiert. Die Staatsanwaltschaft ermittelt gegen sie wegen gefährlicher Körperverletzung mit Todesfolge im Amt.

Der Leiter der Mannheimer Anklagebehörde, Romeo Schüssler, erklärte, die Beamten hätten sich bislang nicht zu den Vorwürfen geäußert. "Sie sind meines Wissens noch nicht auffällig geworden", sagte er. Die Ordnungshüter hatten bei dem Einsatz ihre Bodycams nicht aktiviert. "Das wäre in diesem Fall jedoch angezeigt gewesen", betonte Stenger. Einen rassistischen Hintergrund sieht der LKA-Chef aktuell nicht. Die Beamten hätten ja dem Hilferuf des Arztes Folge geleistet und nicht gewusst, mit wem sie es zu tun bekommen. Schüssler verwies in diesem Zusammenhang auf einige schwierige rechtliche Fragen. Dazu zähle, ob die Beamten sich angemessen verhalten hätten oder ob die Voraussetzungen für eine Gewahrsamnahme des 47-Jährigen gegeben waren. Schüssler machte aber keinen Hehl daraus, dass er die Schläge "befremdlich" findet.

Die Polizei steht wegen des Eingreifens von zwei Beamten massiv in der Kritik. Foto: Priebe

> Die Anfeindungen: Kollmar zeigte sich entsetzt ob der Reaktionen auf den Vorfall in den Sozialen Medien und nannte drei konkrete Beispiele. Ein User habe gefordert, man solle einem der Beamten "den Kopf abschlagen", ein anderer "setzte" 100.000 Euro für die Tötung der Polizisten aus. Kollmar sprach von 150 Hassnachrichten. Alle Kommentatoren würden angezeigt. Für ebenso "völlig unakzeptabel" hält er es, dass ein Einsatzführer mit einer vollen Wasserflasche beworfen und Kollegen mit übelsten Schimpfwörtern beleidigt worden seien. Er, Kollmar, habe kein Problem damit, sich zu entschuldigen, "wenn wir Fehler gemacht haben". Man müsse aber auch sehen, dass die insgesamt 2600 Polizisten des Präsidiums "ganz überwiegend" gute Arbeit machten. Die Beamten würden vielfach darauf vorbereitet, in kritischen Situationen besonnen zu reagieren. "Dieser Fall ist ein Tiefschlag für uns", sagte Kollmar. Man werde einige Wochen und Monate brauchen, um das Vertrauen der Bevölkerung zurückzugewinnen. "Unsere Bemühungen haben einen Knacks bekommen."

> Die Ermittlungen: Stenger sagte, es hätten sich rund 30 Zeugen gemeldet, außerdem seien den Ermittlern mehr als 70 Videos zur Verfügung gestellt worden. Zum Teil handle es sich aber um identische Sequenzen. Und man dürfe sich nicht von einzelnen Clips täuschen lassen.


Von Alexander Albrecht

Mannheim. Manchmal überschlagen sich die Ereignisse: Kaum hat die RNZ das Telefonat mit dem Polizeiausbilder Professor Rafael Behr beendet, lädt das Mannheimer Präsidium zu einer Pressekonferenz ein. Zuvor hatte der Experte der Akademie der Polizei in Hamburg den Ermittlern ausdrücklich dazu geraten, im Fall des Einsatzes auf dem Marktplatz "transparent, umfassend und am besten persönlich" zu informieren. Dies helfe, das in Teilen der Bevölkerung verloren gegangene Vertrauen wiederherzustellen – "zumindest bei denen, die man erreichen kann".

Rafael Behr. Foto: dpa

Denn "natürlich" polarisiere das Thema und stünden die Menschen der Polizei nach dem Tod von George Floyd kritischer gegenüber. Ein weißer Beamter hatte vor zwei Jahren im US-Bundesstaat Minnesota neun Minuten und 29 Sekunden lang mit vollem Körpergewicht auf dem Hals des Afroamerikaners gekniet und ihm die Luft zum Atmen genommen. Im Juni 2021 hatte ein ähnlicher Fall in Tschechien Schlagzeilen geschrieben. Und wie in Mannheim spielten Zeugenvideos auch hier eine wichtige Rolle. Darauf zu sehen war, wie zeitweise drei Polizisten minutenlang auf einem jungen Rom knieten. Der Mann verstarb noch während des Rettungseinsatzes. Aus Sicht von Behr drängen sich nicht zwingend Parallelen zwischen den beiden brutalen Einsätzen und dem Mannheimer Geschehen auf. Die in den Sozialen Medien kursierenden Videos deuteten nicht auf einen Gewaltexzess wie in den USA und der tschechischen Kleinstadt hin.

Wenn der Festgenommene sich wehre, dürfe die Polizei unter Umständen sogar sogenannte Schockschläge anwenden, um mittels Schmerz den Widerstand zu brechen. "Vielleicht war das auch in Mannheim so."

Behr sieht es "generell positiv", dass sich die Beamten jetzt rechtfertigen müssten. Eine Polizei, der man nicht mehr auf die Finger schauen dürfe, verselbstständige sich. Auch bräuchte sie "eine Fehlerkultur". Stattdessen werteten es die Beamten oft als Zeichen von Schwäche, wenn sie mit einer Ermittlungspanne konfrontiert würden. Behr hat auch grundsätzlich nichts dagegen, wenn Passanten die Ermittler bei ihrer Arbeit filmten. Schließlich trügen die Ordnungshüter bei manchen Einsätzen ja selbst Videokameras (Bodycams). Dass nach dem Tod des 47-Jährigen hauptsächlich Migranten auf die Barrikaden gingen und den Einsatz am Marktplatz kritisierten, kann der Polizeisoziologe nachvollziehen. Tatsächlich rücke diese Gruppe oft ins Visier der Beamten.

Ursache sei in der Regel aber kein fremdenfeindlich motiviertes "Racial Profiling", sondern der soziale Status. Migranten – vor allem junge Männer – hielten sich aus Mangel an Rückzugsräumen oft an Orten auf, die ohnehin im Fokus der Polizei stünden: Parks, Hauptbahnhöfe oder Fußgängerzonen.

Update: Mittwoch, 4. Mai 2022, 21.08 Uhr


Leiche zeigt Spuren von stumpfer Gewalt

Mannheim. (dpa) Die zahlreichen ungeklärten Fragen zum Tod eines Mannes bei einer Polizeikontrolle in Mannheim könnten nach Angaben des Landeskriminalamtes erst in sechs bis acht Wochen beantwortet werden. Zwar sind nach Angaben des baden-württembergischen Landeskriminalamtes (LKA) Spuren stumpfer Gewalt an der Leiche festgestellt worden. Diese seien aber "von geringer Intensität gewesen", sagte LKA-Präsident Andreas Stenger am Mittwoch. Es sei weiter unklar, ob der 47-Jährige eines gewaltsamen oder eines natürlichen Todes gestorben sei. Der Mann habe auch eine Herzinsuffizienz (Herzschwäche) gehabt.

Der Mann war am vergangenen Montag nach dem Zusammenbruch zunächst wiederbelebt worden, später aber im Krankenhaus gestorben. Zuvor soll er sich nach Angaben von Polizei und Staatsanwaltschaft gewehrt haben. Gegen die beiden beteiligten Polizisten wird inzwischen wegen des Verdachts der Körperverletzung im Amt mit Todesfolge ermittelt. Sie sind nach Angaben des Mannheimer Polizeipräsidenten Siegfried Kollmar vom Dienst suspendiert.

Die Männer seien seit mehreren Jahren im Polizeidienst. "Das sind Kollegen, die haben schon das eine oder andere Dienstjahr auf dem Buckel", sagte Stenger. Die Beamten haben sich aber nach Angaben der Staatsanwaltschaft noch nicht zum Ablauf geäußert. Sie seien seines Wissens bislang auch nicht auffällig geworden, sagte der Leitende Oberstaatsanwalt der Staatsanwaltschaft Mannheim, Romeo Schüssler.

Seit dem Tod des Mannes sieht sich die Polizei heftiger Kritik ausgesetzt. Im Internet kursieren Videos, auf denen Schläge eines Polizisten gegen den Kopf eines auf dem Boden liegenden Mannes zu sehen sind. Unklar bleibt, warum die Polizisten bei dem Einsatz ihre Bodycams am Körper nicht aktiviert hatten.

Nach Angaben von LKA und Staatsanwaltschaft hatte zunächst ein Arzt des Zentralinstituts für seelische Gesundheit Mannheim die Polizei über den 47-jährigen - einen Patienten - informiert, der hilfsbedürftig sei. Die beiden Beamten und der Arzt hätten den Mann gesucht und in der Innenstadt entdeckt. "Er hat sicherlich den Anweisungen der Beamten, stehenzubleiben, nicht Folge geleistet", sagte LKA-Chef Stenger. Man sehe zudem auf den Videos, dass er sich widersetzt habe, "dass da Bewegungen sind, dass da ein Schlagen ist". Man dürfe sich aber nicht von einzelnen Videosequenzen täuschen lassen, sagte er weiter.

Bislang haben sich laut LKA rund 30 Zeugen gemeldet. Außerdem seien mehr als 70 Videos zur Verfügung gestellt worden - inwieweit es sich dabei zum Teil um identische Videos handelte, ist nach Worten des LKA-Präsidenten noch unklar. Wegen scharfer Kommentierungen in den sozialen Medien wurden nach Polizeiangaben aber auch 150 Verfahren eingeleitet. Der Fall wird die Polizei aus Sicht ihres Mannheimer Präsidenten Siegfried Kollmar viel Vertrauen in der Stadt kosten. "Wir werden einige Wochen und Monate brauchen, bis wir Vertrauen zurückgewonnen haben", sagte Kollmar am Mittwoch in Mannheim. "Unsere Bemühungen haben einen Knacks bekommen."

Nach Angaben der Behörden handelte es sich bei dem verstorbenen 47-Jährigen um einen deutschen Staatsbürger mit kroatischen Wurzeln. Der Mann sei im September 2017 eingebürgert worden.

Update: Mittwoch, 4. Mai 2022, 17.32 Uhr


Tod nach Polizeieinsatz - rund 30 Zeugen melden sich

Mannheim. (dpa) Im Zusammenhang mit der Polizeikontrolle in Mannheim, bei der ein Mann gestorben ist, haben sich beim Landeskriminalamt (LKA) Stuttgart bisher rund 30 Zeugen gemeldet. Außerdem seien rund 70 Videos zur Verfügung gestellt worden - inwieweit es sich dabei zum Teil um identische Videos handelte, ist nach Worten eines LKA-Sprechers vom Mittwoch noch unklar. Zeugenvernehmungen wie auch die Auswertung der Filmsequenzen werden einige Zeit dauern, zumal man auch mit weiteren Hinweisen rechne.

Bei der Kontrolle in der Mannheimer Innenstadt war am vergangenen Montag ein 47-Jähriger zusammengebrochen, musste wiederbelebt werden und starb noch am selben Tag im Krankenhaus. Zuvor soll er sich nach Angaben von Polizei und Staatsanwaltschaft gewehrt haben. Gegen die Polizisten wird inzwischen ermittelt. Vom Dienst suspendiert sind sie nach Kenntnis des LKA-Sprechers nicht. Disziplinarrechtliche Maßnahmen seien in einem so frühen Stadium unüblich.

Die Leiche des Mannes sollte am Mittwochvormittag in der Rechtsmedizin Heidelberg obduziert werden. Ergebnisse dazu werde es vorerst nicht geben, sagte ein Sprecher der Mannheimer Staatsanwaltschaft. Ein Obduktionsbericht könne viele Wochen dauern. Möglicherweise gebe es aber Ende der Woche erste Erkenntnisse.

Direkt nach dem Polizeieinsatz waren im Netz Videos aufgetaucht, die das Geschehen zeigen sollen. Dabei ist zu sehen, wie ein Polizist mehrfach auf den Kopf eines am Boden liegenden Mannes einschlägt. Ob die Sequenz die besagte Kontrolle zeigt, ist nicht bestätigt.

Update: Mittwoch, 4. Mai 2022, 11.40 Uhr


Harte Vorwürfe gegen die Polizei - Wieder Demonstration (Update)

Von Alexander Albrecht

Mannheim. Der Tod eines 47-jährigen Mannes kurz nach seiner Festnahme in Mannheim lässt die Wogen in der Stadt hochschlagen. Wie am Montag demonstrieren auch am Dienstagabend viele Menschen auf dem Marktplatz gegen Polizeigewalt, darunter etliche Migranten. Blumen, Kerzen und Transparente mit wütenden Botschaften zeugen von der Anteilnahme vor einer türkischen Metzgerei, dem Ort des Geschehens.

Unter die Protestierenden mischt sich auch Zeynep Güney. Die Inhaberin eines Restaurants direkt neben der Metzgerei hat bereits viele Interviews gegeben, dabei war sie am Montagmittag gar nicht vor Ort. Ihre Mitarbeitenden hätten berichtet, wie der 47-Jährige auf der "Flucht" vor einem Arzt und zwei Polizisten "hierher gerannt ist" und sich an einem Tisch im Außenbereich festgehalten habe.

"Die Beamten haben ihn geschnappt, seinen Kopf auf den Boden gedrückt, ihm Handschellen drangemacht und ihn geschlagen", sagt sie. Angestellte hätten helfen und dem bereits bewusstlosen Mann ein Glas Wasser bringen wollen, seien aber von den Polizisten "ziemlich schroff" daran gehindert worden. Der Krankenwagen sei erst nach 25 Minuten gekommen, und Güney fragt sich seither, "an wen wir uns wenden wollen, wenn wir Hilfe brauchen".

Der später Verstorbene hatte sich gegen die Festnahme gewehrt, war von zwei Polizisten der nahen H 4-Wache überwältigt und am Boden fixiert worden. Auf einem Handyvideo ist zu sehen, wie er versucht, einen Beamten in den linken Arm zu beißen. Der drehte sich rechtzeitig weg und schlug dem Mann zwei Mal heftig mit der Faust ins Gesicht. Ein weiteres Video, das der RNZ zugespielt wurde, zeigt seine stark blutende Nase, während ein Helfer an ihm eine Herzdruckmassage durchführt.

Das für den Fall zuständige Landeskriminalamt (LKA) teilt mit, dass die Obduktion des Leichnams für diesen Mittwoch vorgesehen ist, die Ergebnisse der Rechtsmedizin werden bis Ende der Woche erwartet. Bei dem 47-Jährigen handelt es sich den Angaben zufolge um einen Deutschen. In den Sozialen Medien war am Montagabend kolportiert worden, er sei türkischen Staatsbürger.

Zu den Vorwürfen von Zeynep Güney will LKA-Sprecher David Fritsch gegenüber der RNZ keine Stellung nehmen. Ziel der Ermittlungen seiner Behörde und der Staatsanwaltschaft Mannheim sei eine detaillierte Rekonstruktion des Geschehens. Daher bittet Fritsch Zeugen weiterhin darum, Videos im Hinweisportal der Polizei Baden-Württemberg unter https://bw.hinweisportal.de zu übermitteln. Der Sprecher teilt weiter mit, dass der Tote Patient im Zentralinstitut für Seelische Gesundheit (ZI) in Mannheim gewesen sei. Nach übereinstimmenden Informationen der RNZ befand er sich dort in ambulanter Behandlung. Am späten Montagvormittag muss ein Gespräch zwischen ihm und seinem Arzt aus dem Ruder gelaufen sein.

Gegen den Rat des Mediziners habe sich der 47-Jährige aus dem ZI entfernt und sei in Richtung Marktplatz gelaufen. Auf dem Weg lag die H 4-Wache, wo der Arzt um Hilfe bat. Zwei Polizisten schlossen sich dem Mediziner an. Vor der Metzgerei trafen die drei dann den Mann an. Zeynep Güney widerspricht ebenfalls in Sozialen Medien verbreiteten Gerüchten, wonach er in ihrem Lokal gegessen habe und seine Rechnung nicht bezahlen wollte. "Das sind alles Lügen", sagt sie.

Unterdessen hat die Staatsanwaltschaft Mannheim – routinemäßig und wie in solchen Fällen üblich – ein Ermittlungsverfahren gegen die beiden beteiligten Polizisten wegen des Verdachts der Körperverletzung im Amt mit Todesfolge eingeleitet. ⋌> S. weiterer Artikel


Politiker fordern Aufklärung

Der Mannheimer Oberbürgermeister Peter Kurz (SPD) hat sich tief betroffen vom Tod des 47-jährigen Mannes "während oder infolge eines Polizeieinsatzes" gezeigt. Jeder wisse, wie wichtig den Einwohnern der Stadt ein respektvolles Verhalten sei. Der Einsatz werfe Fragen auf, die beantwortet werden müssten. "Dafür sind Institutionen wie das Landeskriminalamt und die Staatsanwaltschaft berufen." Eine Bewertung des Falls vor deren Untersuchungen verbiete sich. "Und ich appelliere an alle, das genauso zu halten" mahnte er zu Besonnenheit.

Die Mannheimer Bundestagsabgeordnete Gökay Akbulut (Die Linke) hatte noch am Montagabend bei einer von Migrantenvereinen organisierten Demonstration auf dem Marktplatz gesprochen und die Staatsmacht hart kritisiert. "Dieser Vorfall macht deutlich, dass wir eine gesellschaftliche Debatte über polizeiliches Verhalten brauchen. Das durch die Videos dokumentierte Vorgehen ist weit entfernt von ,Freund und Helfer’. Ohne diese ,Hilfe’ würde der Mann wohl noch leben", erklärte Akbulut.

Leider wisse man, wie schlecht die Aufklärungsquote ist, wenn die Polizei gegen sich selbst ermittle. Die Tragödie dürfe nicht, wie so oft, als Einzelfall unter den Teppich gekehrt werden. Landes-Innenminister Thomas Strobl (CDU) warnte hingegen vor einer pauschalen Kritik an der Polizei: "Bis konkrete Ermittlungsergebnisse vorliegen, dürfen die Beamten nicht vorverurteilt oder gar das Ziel von Hass und Hetze werden – weder auf der Straße noch im Netz." Ähnlich äußerte sich Gundram Lottmann, der Landeschef der Gewerkschaft der Polizei. Er nannte manche Reaktionen in den Sozialen Medien gegenüber seinen Kollegen "menschenverachtend".

Die Grünen-Bundestagsabgeordnete Melis Sekmen verlangte eine restlose Aufklärung des Falls. Welchen Hintergrund "das Opfer" habe, spiele erst mal keine Rolle. "Ungerechtfertigte Gewalt in unserem Rechtsstaat" sei aufs Schärfste abzulehnen. Die SPD-Fraktion im Gemeinderat vertraut wie Kurz auf die Arbeit der Ermittlungsbehörden, die im Anschluss an die Untersuchungen die "notwendigen Konsequenzen" ziehen müssten.

Update: Dienstag, 3. Mai 2022, 20.15 Uhr


Mannheim. (dpa) Menschen halten inne. Blumensträuße liegen auf dem Gehweg. Nach dem Tod eines Mannes bei einer Polizeikontrolle in der Innenstadt von Mannheim sieht sich die Polizei heftiger Kritik ausgesetzt. Ein Sprecher des Landeskriminalamts Baden-Württemberg (LKA) sagte am Dienstag, der ganze Ablauf des Geschehens solle rekonstruiert werden. Die Leiche des Mannes soll am Mittwoch obduziert werden. Mit ersten Ergebnissen werde am Ende der Woche gerechnet. Es sei ein "besonderer Fall". Der Mann war am Montag während einer Kontrolle zusammengebrochen und dann später gestorben.

Gegen die beiden beteiligten Polizisten wurde ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Körperverletzung im Amt mit Todesfolge eingeleitet, wie die Staatsanwaltschaft mitteilte. Im Internet kursieren Videos, auf denen Schläge eines Polizisten gegen den Kopf eines auf dem Boden liegenden Mannes zu sehen sind. Ob dieses Video echt ist oder überhaupt die fragliche Polizeikontrolle zeigt, ist nicht geklärt. Nach Vorwürfen rassistisch motivierter Gewalt hatte das LKA am Montagabend betont, dass der Mann kein türkischer Staatsbürger sei. Solche Spekulationen hatte es zuvor gegeben. Laut Staatsanwaltschaft handelt es sich um einen Deutschen. Man habe Kenntnis von einem Video, sagte der LKA-Sprecher. Aus ihm dürften nicht voreilig Schlüsse gezogen werden. Es werde allen Vorwürfen nachgegangen.

Der Mann war in Behandlung im Zentralinstitut für seelische Gesundheit Mannheim (ZI) und verließ gegen Anraten des Arztes das ZI in Richtung Marktplatz, wie die Staatsanwaltschaft weiter mitteilte.

Vor allem im Internet wird der Einsatz heftig kritisiert. Die Linken-Bundestagsabgeordnete Gökay Akbulut (Linke) aus Mannheim forderte eine lückenlose Aufklärung. Es sei wichtig, mit weiteren Protestveranstaltungen den Druck aufrechtzuerhalten.

Der Vorsitzende des Bundeszuwanderungs- und Integrationsrats (BZI), Memet Kilic, sagte, die Polizei habe als ausführendes Organ der Exekutive in ihrem Handeln weitreichende Eingriffsmöglichkeiten in die Grundrechte der Bürger. Deshalb müsse sie einer wachsamen demokratischen Kontrolle unterliegen: "Das im Netz verbreitete Video über dem polizeilichen Einsatz, bei dem ein Mann mit Migrationshintergrund ums Leben kam, sorgt zurecht für Fragezeichen. Umso wichtiger ist es nun, dass die Polizei Mannheim, das Landeskriminalamt Baden-Württemberg und die Staatsanwaltschaft eine transparente und rassismuskritische Aufklärung dieses Todes vorantreiben."

Der Oberbürgermeister von Mannheim, Peter Kurz (SPD), sagte, alle seien sehr betroffen vom Tod eines Menschen während, nach oder in Folge eines Polizeieinsatzes. "Sie alle wissen, wie wichtig uns ein friedliches, ein respektvolles Zusammenleben in unserer Stadt ist." Deswegen werfe dieser Polizeieinsatz Fragen auf. Diese Fragen müssten beantwortet werden, dafür seien Institutionen berufen wie die Staatsanwaltschaft, wie das Landeskriminalamt. "Ich denke, eine Bewertung des Polizeieinsatzes vor den Ergebnissen dieser Untersuchungen verbietet sich und ich appelliere an alle, dies genauso auch zu halten."

Ein 47-Jähriger war am Montag während einer Kontrolle durch zwei Polizisten zusammengebrochen und starb später im Krankenhaus. Er hatte sich gegen die Kontrolle gewehrt und war von den Beamten überwältigt worden. Was zu seinem Tod führte, ist bisher unklar. Zuvor hatte ein Arzt des Zentralinstituts für Seelische Gesundheit die Polizei informiert, weil ein Patient möglicherweise Hilfe brauche. Zwei Beamte und der Arzt machten sich auf die Suche nach dem Mann.

Die Gewerkschaft der Polizei (GDP) verurteilte Hass- und Hetzbotschaften in den sozialen Medien im Zusammenhang mit dem Vorfall scharf. GdP-Landeschef Gundram Lottmann sagte, solche Reaktionen seien nicht nur völlig unangemessen, sondern auch menschenverachtend. "Wir alle sind betroffen von dem traurigen Vorfall, vor allem die eingesetzten Beamten selbst. Derzeit ist weder die Todesursache bekannt, noch liegen konkrete Ermittlungsergebnisse vor."

Innenminister Thomas Strobl (CDU) warnte vor einer pauschalen Kritik an der Polizei: "Bis konkrete Ermittlungsergebnisse vorliegen, dürfen die Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten nicht vorverurteilt oder gar das Ziel von Hass und Hetze werden - weder auf der Straße noch im Netz."

Update: Dienstag, 3. Mai 2022, 16.36 Uhr


Bei Polizei-Kontrolle plötzlich kollabiert - Mann stirbt (Update)

Bei der Festnahme eines 47-Jähriger soll dieser "plötzlich kollabiert" sein und musste reanimiert werden. Später starb er im Krankenhaus.

Von Alexander Albrecht

Mannheim. Zwei Polizisten wollen einen offenbar verwirrten Mann am Montagmittag gegen 12 Uhr vor einer türkischen Metzgerei am Mannheimer Marktplatz festnehmen – wenige Minuten später versuchen Rettungskräfte, den 47-Jährigen wiederzubeleben. Er stirbt im Krankenhaus. Wie konnte das passieren? Was ist in der Zwischenzeit geschehen? Das sind die zentralen Fragen bei den Ermittlungen des Landeskriminalamts (LKA) in Stuttgart, das den Fall – wie üblich, wenn Kollegen betroffen sind – gemeinsam mit der Staatsanwaltschaft Mannheim übernommen hat.

Nach dem Vorfall kamen nach Angaben eines Polizeisprechers am Abend rund 100 bis 150 Menschen auf dem Marktplatz zusammen. Linke Gruppen forderten in sozialen Medien Aufklärung. Demonstranten warfen der Polizei auf Schildern rassistische Gewalt vor. Das LKA schrieb auf Twitter: "Um Falschmeldungen vorzubeugen, es handelt sich bei dem Verstorbenen NICHT um einen türkischen Staatsbürger." Welche Nationalität der Mann hatte, wurde nicht mitgeteilt.

Die Polizei äußerte sich nicht zu dem Vorfall. Das LKA hat die Ermittlungen - insbesondere zum Verlauf des Polizeieinsatzes - übernommen. Wann mit weiteren Erkenntnissen gerechnet werden kann, blieb zunächst unklar.

Am Dienstag teilte das LKA mit, die Leiche des Verstorbenen solle bald obduziert werden - wann genau sei aber noch nicht bekannt. 

Ein WhatsApp-Video, das der RNZ vorliegt, zeigt, wie die beiden Beamten der nur wenige Fußmeter entfernt liegenden H4-Wache den bulligen Mann bereits zu Boden gebracht haben und fixieren. "Isch räsche mich. Isch hol’ en Rischter. Rischter", schreit der Mann in Kurpfälzer Mundart. Immer wieder will der Mann in Bäuchlingslage seinen Oberkörper aufrichten. Das Atmen fällt ihm zunehmend schwer, wie es scheint. Als er seine ganze Kraft zusammen nimmt, den Kopf dreht und einen der Polizisten in den linken Arm beißen will, schlägt ihm dieser zweimal mit der Rechten heftig ins Gesicht. In diesem Moment stoppt der 30-sekündige Videoclip. Der Rest ist unklar.

LKA-Sprecher David Fritsch sagt, dass ein Arzt des Zentralinstituts für Seelische Gesundheit (ZI) die Einsatzkräfte wegen des 47-Jährigen um Hilfe gebeten habe. Deshalb sei es auch keine Routinekontrolle gewesen, als die Beamten gemeinsam mit dem Mediziner den Mann im Bereich G2/H2 "lokalisierten". Er habe sich gewehrt und sei daraufhin überwältigt worden. "Die Kollegen mussten unmittelbaren Zwang anwenden", erklärt Fritsch. Wobei "Zwang" im Polizeirecht ein dehnbarer Begriff sei, der vom einfachen Festhalten über den Einsatz von Pfefferspray und Schlagstock bis zum Gebrauch der Schusswaffe reiche.

Letzteres schließt der Sprecher aus. Vielmehr sei der 47-Jährige den bisherigen Erkenntnissen zufolge "plötzlich kollabiert" und hätte reanimiert werden müssen. Ein Augenzeuge berichtet der RNZ, dass die Ordnungshüter den Mann noch zu ihrem Dienstfahrzeug bringen wollten. "Sie bemerkten allerdings, dass er sein Bewusstsein bereits verloren hatte und machten sofort selbst eine Herzdruckmassage", sagt er. Weder ihnen noch dem Notarzt sei es jedoch gelungen, ihn wiederzubeleben. Während er ins Krankenhaus gebracht wird und den Kampf gegen den Tod verliert, sperrt die Polizei den Tatort mit Flatterbändern ab und befragt Zeugen.

Zum Beispiel Mitarbeitende und Gäste der Metzgerei und eines angrenzenden Restaurants. Es ist zu dieser Zeit schon einiges los auf dem und rund um den Marktplatz. Viele Menschen essen im Außenbereich der Lokale zu Mittag oder flanieren durchs Viertel. Entsprechend dürfte es den LKA-Experten nicht an Hinweisen fehlen, und es gebe wahrscheinlich zahlreiche Handyvideos, wie der Augenzeuge vermutet. Nach drei Stunden werden die Flatterbänder wieder entfernt. Das Landeskriminalamt hat die Leiche beschlagnahmt und erhofft sich von der Obduktion durch die Rechtsmedizin wichtige Ansatzpunkte.

Info: Das Landeskriminalamt nimmt unter der Telefonnummer 0800 / 50 35 03 53 3 Hinweise entgegen. Videos können unter dem Link https://bw.hinweisportal.de/ übermittelt werden.

Ort des Geschehens

Update: Dienstag, 3. Mai 2022, 09.22 Uhr

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