Mannheim: Viel mehr als ein Gebetsraum
Bundesweit erster interreligiöser Gebetsraum eingeweiht - Im neuen Stadtteil "Franklin" könnte daraus ein Begegnungszentrum werden

Am Freitagnachmittag hat das "Forum der Religionen" den neuen interreligiösen Gebetsraum in Benjamin Franklin Village eingeweiht. Einmal am Tag wollen sowohl die christlichen Konfessionen als auch die muslimischen Gemeinden eine feste Gebetszeit anbieten. Nur leben hier momentan gerade einmal 750 Flüchtlinge. Fotos: Gerold
Von Diana Deutsch
Man stelle sich vor: Eine Vierfach-Garage aus Beton, etwa 20 Meter lang und vier Meter breit mit Wellblechdach und gläsernen Schiebetüren auf der Südseite. Der Boden ist ausgelegt mit feinen arabischen Teppichen. An der östlichen Stirnseite steht eine Gebetsnische umrahmt mit Fotos von der Kaaba in Mekka. An der Westseite beleuchtet die Osterkerze ein Franziskuskreuz und eine orthodoxe Ikone. So sieht er aus, der bundesweit erste interreligiöse Gebetsraum in einer Erstaufnahmestelle für Flüchtlinge. Während eines weltuntergangartigen Gewitterregens wurde dieser Gebetsraum am Freitagnachmittag im Benjamin Franklin Village (BFV) in Käfertal feierlich eingeweiht.
Mannheim ist eine bunte Stadt. Hier leben so viele Nationen und Religionen zusammen wie kaum irgendwo anders in Deutschland. Seit vielen Jahren gibt es deshalb das "Forum der Religionen", das sich regelmäßig trifft und in das alle Religionen und Konfessionen ihre Vertreter entsenden. Wenn sich das "Forum der Religionen" einig ist, besitzt es eine Schlagkraft, der man nur schwer etwas entgegensetzen kann. Im vergangenen Dezember, als die Zahl der hier lebenden Flüchtlinge ihren Höhepunkt erreicht hatte, war sich das Forum sogar sehr einig. "Es kann nicht sein, dass ein Flüchtlingslager zur religionsfreien Zone erklärt wird, nur weil man Angst vor Gewalttätigkeiten hat", sagt der evangelische Pfarrer Joachim Vette, der die Menschen in Franklin betreut.
Relativ schnell sah das auch Manfred Beuchert ein. Der Abteilungsleiter im Karlsruher Regierungspräsidium, der für die Unterbringung der Flüchtlinge zuständig ist, machte sich in "Franklin" auf die Suche nach einem geeigneten Raum und fand einen alten Werkstattschuppen. "Wenn die Flüchtlinge nach ihrem langen Weg, den vielen Strapazen und großer Angst hier ankommen, brauchen sie einen Raum, in den sie sich zurückziehen können." Das Deutsche Rote Kreuz schließlich übernahm die Renovierung der unwirtlichen Baracke, in der es weder Heizung noch Bodendämmung gab und Kabel lose von der Decke herunterbaumelten.
Die Bauarbeiten zogen sich hin. Erst wurde der Architekt krank, dann kamen Handwerker nicht zum vereinbarten Termin. Und jetzt, da aus der Betongarage endlich ein freundlicher Gebetsraum geworden ist, sind die Flüchtlinge weg. "Im Dezember mussten wir über 5000 Menschen hier in Benjamin Franklin betreuen", erinnert sich Manfred Beuchert. Jetzt sind es noch 760. Tendenz: täglich weniger. Der Prozentsatz der Christen unter den Vertriebenen lag stets konstant bei etwa zehn Prozent. "Bei 5000 Menschen waren das mehrere Hundert", rechnet Joachim Vette vor. Jetzt zählt man nur noch zweistellig.
Die Vertreter der Religionen und Konfessionen in Mannheim ließen sich die Freude über ihren interreligiösen Gebetsraum von den Zahlen so wenig nehmen wie vom Wolkenbruch. Sie entledigten sich fröhlich ihres Schuhwerks, denn wenn Christen und Muslime einen Gebetsraum gemeinsam nutzen, müssen die einen die heiligen Regeln der anderen mitbefolgen. Dann wurde gebetet. In den verschiedenartigsten Gewändern und mehreren Sprachen. Wobei man immer wieder aufs Neue staunt, wie viele Gemeinsamkeiten die drei abrahamitischen Religionen besitzen. "Am tiefsten beeindruckt hat mich in der Planungsphase das große Engagement der jüdischen Gemeinde für den Gebetsraum", überlegt Joachim Vette. "Dabei war bislang noch kein einziger Jude unter den Flüchtlingen."
Einmal am Tag wollen sowohl die christlichen Konfessionen als auch die muslimischen Gemeinden eine feste Gebetszeit anbieten. "Am Freitag wird regelmäßig ein Imam hier predigen", verspricht Talat Kamran, der muslimische Sprecher. Vette will mit seinen katholischen, lutherischen und orthodoxen Kollegen erst einmal einen täglichen Andachtsplan für die nächsten drei Wochen ausarbeiten. "Wenn wir dann merken, dass die Pfarrer allein hier sitzen, müssen wir neu überlegen." Vette spricht’s und strahlt.
Die unscheinbare Garage mit Wellblechdach ist nämlich in Wahrheit viel mehr als ein Gebetsraum. Es ist die Keimzelle des ersten interreligiösen Gebetszentrums in einem neu entstehenden Stadtteil. BFV war die größte Siedlung der US-Army in Deutschland. In den kommenden Jahren wird hier ein Stadtquartier für bis zu 8000 Bürger entstehen. Pfarrer Vette: "Wir haben jetzt die Chance zu beweisen, dass ein interreligiöses Gebets- und Begegnungszentrum funktionieren kann und in diesem neuen Stadtteil dringend gebraucht wird."